Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-506-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Vom Frühlingserwachen war hier, nördlich des 50. Breitengrades, weiß Gott nichts zu spüren. Bitter kalt war es geworden, seit sie Neufundland, das auch nicht gerade das Paradies auf Erden war, verlassen hatten. Das Sonnenlicht wärmte nicht mehr, es war von stumpfem, fahlem Glanz.
Erfreulicherweise hatte aber der Sturmwind nachgelassen, und die nur noch mäßig bewegte See schien unter dem eisenfarbenen Himmel von einem silbrigen Geäder überzogen zu sein.
„Wenigstens ein Lichtblick“, sagte Smoky, der Decksälteste, der sich eine dicke Wolljacke übergezogen hatte und neben Al Conroy, Will Thorne und Blakky auf der Back der „Isabella VIII.“ stand und voraus blickte. „Aber wohin führt uns dieser Törn eigentlich?“
„Direkt nach Thule“, erwiderte Al. „In eine Stadt aus Eisblöcken, deren komischen Bewohnern im Lauf der Zeit wegen der Mordskälte ein Fell gewachsen ist …“
„Ach, hör doch auf.“
„Dorthin, wo man das Gold mit dem Eispickel freilegen muß.“
„Blödsinn“, brummte Smoky. „Glaub doch nicht, daß du mich mit deinen Sprüchen beeindrucken kannst. Hendrik Laas hat selbst gesagt, daß es da oben kein Gold gibt.“
„Ja, Hendrik Laas“, sagte Will Thorne. „Wenn der jetzt mit dabeiwäre – er könnte uns genau sagen, wann die ersten Eisberge erscheinen und die Wale und die weißen Bären.“
„Er ist nun aber mal nicht mit von der Partie“, erklärte Blacky. „Er segelt mit seiner ‚Sparrow‘ vor Dänemarks Küsten und fischt Heringe oder weiß der Teufel was. Na, ich gönne es ihm. Und wir kommen auch ohne den guten Hendrik aus, Will, glaub’s mir.“
„Klar kommen wir ohne ihn aus“, sagte der Segelmacher der „Isabella“, aber so richtig überzeugt war er davon nicht, vor allen Dingen deshalb nicht, weil er an das verdammte Packeis dachte, mit dem sie vor einiger Zeit schon einmal böse zu tun gehabt hatten.
Die „Isabella VIII.“ segelte mit raumem Wind nordwestlichen Kurs, und nicht einmal ihr Kapitän wußte so ganz genau, wohin die Reise nun eigentlich ging, denn das Kartenmaterial, über das er verfügte, war höchst unzulänglich. Deshalb hatte Hasard den Kurs eher „nach Gefühl“ festgelegt und verließ sich mehr oder weniger auf seinen seemännischen Instinkt.
Gewiß, schon ein Mann wie Kolumbus hatte sich vor nunmehr fast hundert Jahren mit Karten des Florentiners Toscanelli versorgt, und es hatte damals schon den Globus des Martin Behaim gegeben. Nicht ohne Karten war also die Neue Welt entdeckt worden, und seither waren die Zeichnungen viel präziser geworden, besonders, was die Darstellung des neuen, nun nicht mehr rein hypothetischen Kontinents betraf. Contarini und Mercator hatten wunderschöne Weltkarten hergestellt, und seit fünf Jahren gab es auch einen richtigen gedruckten Seeatlas, den „Mariner’s Mirror“ von Lucius Wagenhaer. Aber alle „Mappae mundi“, „Portolani“ und „Roteiros“ krankten immer noch an der großen Längenungenauigkeit – und an der höchst vagen Wiedergabe des Nordpolargebietes samt der mutmaßlichen Nordwestpassage.
Philip Hasard Killigrew hatte soeben an die Innenseite der Rückwand des Ruderhauses eine selbstgefertigte Skizze geheftet, auf der der ungefähre Kurs für Pete Ballie, den Rudergänger, eingezeichnet war. Die Skizze zeigte Bacalaos, die Neufundlandbank, das nördlich davon liegende Seegebiet und einen Küstenstrich, der von Hendrik Laas, dem Dänen, als „Labrador“ bezeichnet worden war.
An diesem Land Labrador wollte sich der Seewolf zunächst orientieren – so, wie Laas es ihm geraten hatte. Später würde er sich weiter nach Norden hinauftasten und überall nach jenen Marken suchen, die der Däne ihm beschrieben hatte, damit die Seewölfe auf dieser Reise wenigstens über eine gewisse Ortung verfügten.
Hasard trat am Backbordschanzkleid des Quarterdecks neben Edwin Carberry und folgte dessen Blick, der auf die endlos wirkende Wasserfläche gerichtet war.
„Ed“, sagte der Seewolf. „Es wird bald Zeit, daß du dir von Will Thorne aus dem Eisbärfell, das Hendrik Laas dir geschenkt hat, ein Paar Hosen schneidern läßt.“
Carberry wandte den Kopf.
„Sir“, versetzte er dumpf. „Das tue ich erst, wenn mir vor Kälte der Achtersteven abfällt.“
„Soll das etwa heißen, daß du dich genieren würdest, so schöne weiße Fellhosen zu tragen wie der Däne?“
„Ich – ach wo, natürlich nicht. Aber ein Seewolf fängt doch nicht gleich beim ersten Frosthauch zu schnattern an wie, äh – ein alter Ganter, will ich meinen. Da muß es schon dicker kommen.“
„Ed …“
„Sir?“
„Ich schätze, es kommt noch ziemlich dick für uns. Zumindest, was die Temperaturen betrifft. Ich an deiner Stelle würde da schon Vorsorge treffen.“
Der Profos kratzte sich am Kinn – was mal wieder in etwa so klang, als bewege sich ein Heer Kombüsenschaben über chinesisches Reispapier. „Wenn es wirklich so kalt wird, wie du sagst, dann stelle ich das Eisbärfell selbstverständlich Siri-Tong und den beiden Lausejungs zur Verfügung. Ist das ein Vorschlag?“
Hasard lächelte. „Das ist sehr ritterlich von dir, Ed.“
„Hölle!“ entfuhr es da dem Profos. „Nein, ich bin in Merry Old England nicht zum Ritter geschlagen worden wie du – und die feinen Manieren sind weiß der Henker nichts für mich! Ich opfere doch nur mein kostbares Fell für die Rote Korsarin und die Bengel, damit sie nicht vor Kälte klappern und damit ihnen nichts abfriert. So war das gemeint …“
„Profos“, sagte Old O’Flynn hinter ihrem Rücken. „Paß nur auf, daß du deine Haut nicht noch zu Markte tragen mußt – oder daß dir sämtliche Felle wegschwimmen.“
Carberry blickte den Alten so freundlich an wie ein hungriger Hai.
„Donegal“, brummte er. „Du hast auch schon weniger faule Witze gerissen, ehrlich.“
„Mag schon sein“, sagte O’Flynn. „Aber was diesen Törn hier betrifft, so prophezeie ich euch …“
„Donegal!“ rief Big Old Shane, der an der Querbalustrade des Achterdecks lehnte und schräg von oben auf sie herabsah. „Wir wollen’s gar nicht wissen. Deine dämlichen Spökenkiekereien interessieren uns nicht, kapiert?“
„… so prophezeie ich euch, daß wir nicht nur vor Kälte zittern werden“, fuhr der Alte unbeirrt fort. „Einen Vorgeschmack von dem, was uns erwartet, haben wir ja durch das verfluchte Schiff der Toten gekriegt. Aber das war noch gar nichts. Je weiter wir nach Norden segeln, desto größer ist die Gefahr, richtigen Gespenstern und Dämonen zu begegnen. Da oben, hab ich mir sagen lassen, gibt’s einen riesengroßen Geist, ganz aus Eis geschaffen, der mit seinem Gifthauch ganze Schiffscrews töten kann. Er bricht sich die Zapfen aus seinem Frostbart und spießt dich damit auf, Profos, ich schwör’s dir.“
Carberrys Mund hatte sich vor Staunen geöffnet, und für eine Weile war er wohl richtig gefesselt gewesen, aber jetzt verzog er verärgert das Gesicht und brummelte: „Donnegal, wage dich bloß nicht in die Reichweite meiner Fäuste. Ich bin heute früh nicht zu Witzen aufgelegt, schon gar nicht zu so faulen, wie du sie erzählst.“
„Ihr werdet noch an meine Worte denken“, sagte O’Flynn. „Ihr alle werdet euch noch mächtig umsehen und dann eingestehen: O ja, Hölle und Teufel, Donegal hat mal wieder recht gehabt! Jawohl, genau das werdet ihr stammeln, wenn die Dämonen der Finsternis ihre Klauen nach euch ausstrecken.“ Mit diesen Worten humpelte er davon und hielt Ausschau nach jemandem, bei dem er mehr Erfolg mit seinen haarsträubenden Gruselgeschichten hatte. Er stieg den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter und fluchte leise vor sich hin.
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