Roy Palmer - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 207

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Auf der spanischen Dreimast-Galeone «Vadavia» erwischte es einen Mann nach dem anderen – Fieber, Bewußtlosigkeit, Erbrechen, Delirium. Kapitän de Arce wußte sich keinen anderen Rat, als die kranken Männer auf einer einsamen Insel auszusetzen – um nicht seine gesamte Besatzung zu verlieren. Natürlich wollte er die Kranken nicht im Stich lassen. Auf der Rückkehr von seiner Handelsfahrt würde er sich um sie kümmern. Aber diese Rückkehr war mehr als fraglich, als ihm die Piraten-Flotte im Genick saß und zum Kampf stellte. Allerdings hatten diese Piraten nicht mit den Seewölfen des Philip Hasard Killigrew gerechnet…

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-543-9

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Don Gaspar Nunez de Arce, der Kapitän der spanischen Dreimast-Galeone „Vadavia“, stand an diesem frühen Nachmittag nicht weit vom Besanmast entfernt auf dem Achterdeck seines Schiffes und blickte genau in dem Moment zu seinem Ersten Offizier Juan de Rivadeneira, als dieser die obersten Stufen des Backbordniederganges, der die Kuhl mit dem Achterdeck verband, mit drei unbeholfenen, wankenden Schritten bewältigte.

Eine böse Ahnung beschlich den Kapitän und ließ ihn nicht mehr los. Er nahm eine steife Körperhaltung an. Seine Hände ballten sich allmählich zu Fäusten. Er war ein schlanker und hochgewachsener Mann mit harten, wettergegerbten Zügen, die von dem Erkennen einer tödlichen Wahrheit gezeichnet waren.

Noch vor zwei Stunden hatte er mit de Rivadeneira in der Kapitänskammer am Pult gesessen. Sie hatten bei einer gemeinsamen Mittagsmahlzeit beratschlagt, was in der erschütternden Lage, in der sich die Besatzung des Schiffes befand, wohl am besten zu tun sei.

Juan de Rivadeneira war nicht nur de Arces ranghöchster und zuverlässigster Schiffsoffizier, er war auch der einzige echte Vertraute, den es für den Kapitän an Bord der „Vadavia“ gab, ein Mann, mit dem er offen alle Probleme besprach.

Seit jener bedrückenden Mittagsstunde jedoch, in der sie alles Für und Wider einer möglichen Notlösung erwogen hatten, hatte sich de Rivadeneiras Gestalt merklich gekrümmt, und auch mit seinem Gesicht schien eine Veränderung vorgegangen zu sein.

Don Gaspar Nunez de Arces Ahnung wurde zur Gewißheit, als der Erste Offizier zu taumeln begann und sich an der Schmuckbalustrade festhalten mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dort verharrte er nun, vornübergebeugt und mit einem seltsam starren Blick, der auf einen imaginären Punkt des Achterdecks gerichtet zu sein schien.

Mein Gott, dachte der Kapitän, heilige Jungfrau Maria, jetzt hat es auch ihn erwischt!

Er trat auf de Rivadeneira zu, und ihre Blicke begegneten sich plötzlich. Dem Kapitän entging nicht das fiebrige Flackern, das jetzt in de Rivadeneiras vormals so klaren hellen Augen war.

Das Achterdeck schwankte nur leicht unter Don Gaspar Nunez de Arces Füßen, und es bedurfte kaum der ausgleichenden Beinbewegungen, um die Körperbalance zu halten. Es war ein sonniger Tag und doch nicht zu heiß. Eine frische Brise wehte von Norden, aus dem Golf von Bengalen her, und trieb die „Vadavia“ auf ihrem südöstlichen Kurs genau auf die Andamanensee zu.

De Arces Blick wanderte nach Lee, zum tiefblauen Spiegel der See, dem die leichte Dünung ein sanftes Kräuselmuster verlieh. Zum erstenmal seit ihrem Auslaufen aus dem Heimathafen Malaga – Malaga in Süd-Andalusien, das jetzt so unerreichbar weit entfernt war – verspürte er den Wunsch, alle Verantwortung ablegen zu können, nur noch Beobachter der Geschehnisse zu sein und in die Rolle eines Mannes schlüpfen zu dürfen, der die Szene verlassen konnte, wann immer er es wollte.

„Senor“, sagte Juan de Rivadeneira. Seine Stimme klang rauh und schleppend, und das Sprechen schien ihm plötzlich erhebliche Mühe zu bereiten.

De Arce kehrte abrupt aus seinem Tagtraum in die erschreckende Wirklichkeit zurück. Sein Blick richtete sich wieder auf das Gesicht seines Ersten.

De Rivadeneira war kalkweiß. Kleine Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Züge hatten sich verzerrt.

„Senor, jetzt ist es auch bei mir soweit“, stieß er hervor. „Jesus Maria, und ich Narr dachte, daß die verfluchte Krankheit mir nichts anhaben könne. Ich …“

De Arce stellte sich dicht vor ihn hin und legte ihm die Hand auf die rechte Schulter. „Sie reden mehr, als Ihnen vielleicht guttut, mein lieber de Rivadeneira. Sie sollten jetzt ins Achterkastell zurückkehren und Ihre Kammer aufsuchen.“

„Es fing ganz plötzlich an, Senor.“

„Und jetzt ist Ihnen hundeelend zumute, nicht wahr?“

„So übel war mir noch nie zuvor, nicht einmal auf meiner ersten Seereise und …“

„Wie ich annehme, wird es Ihnen auch abwechselnd heiß und kalt?“ erkundigte sich der Kapitän. Er hatte Mühe, das Gefühl aufkeimender Panik zu bezwingen.

Juan de Rivadeneira nickte mühsam. „Si, Senor. Heiß und kalt. Es ist entsetzlich.“

„Ich rufe den Medico, den Feldscher“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. Er sah auf und richtete seinen Blick über die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Achterdecks zur Kuhl hin bildete, hinunter auf das Hauptdeck. Er entdeckte die Gestalt von Pedro Gavena, dem Profos, und schrie ihm zu: „Senor Gavena, holen Sie sofort den Feldscher! Er wird hier auf dem Achterdeck gebraucht!“

„Si, Senor!“ rief der Profos und setzte sich eilends in Richtung auf das Vordeck in Bewegung.

Juan de Rivadeneira sah seine Umgebung durch gelbliche, wogende Schleier. Er spürte, wie seine Knie weich wurden, und klammerte sich mit beiden Händen an der Balustrade fest. Siedende Hitze stieg in seinem Inneren auf und trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Im nächsten Augenblick jedoch wurde ihm kalt, entsetzlich kalt, gerade so, als befände sich die „Vadavia“ mitten im Eismeer. Er begann am ganzen Leib zu beben und die Zähne aufeinanderzuschlagen.

Er riß die Augen weit auf, drehte sich halb herum, ließ die Balustrade los und torkelte zum Steuerbordschanzkleid. Er drohte zusammenzubrechen, hielt sich aber mit letzter Kraft doch noch aufrecht und schaffte es, sich mit dem Oberkörper über das Schanzkleid zu lehnen. Die Übelkeit übermannte ihn. Er erbrach sich. Während er sich mit beiden Händen festhielt, um nicht über Bord zu kippen, opferte er der See, wie die Seeleute zu sagen pflegten.

„Feldscher!“ schrie Don Gaspar.

Pedro Gavena, der Profos, hatte den Feldscher inzwischen aus dem Mannschaftslogis geholt, wo der Mann um diejenigen Decksleute bemüht gewesen war, die in den vergangenen Tagen bereits von der schweren Krankheit befallen worden waren.

Das waren Diego de Fajardo, der Schiffszimmermann, sowie die einfachen Seeleute Antonio, Aurel, Solis und Luis. In zwei Kammern des Achterdecks waren überdies Victor de Andrade, der Bootsmann der „Vadavia“, und Herra de Canduela, der Zweite Steuermann, untergebracht, die unter den gleichen Beschwerden litten.

Nun war auch noch der Erste Offizier erkrankt, und somit waren es acht Männer der Galeone, denen Übelkeit, Brechreiz und Fieber heftig zusetzten.

Angefangen hatte dies alles mit dem Zusammenbruch von Zimmermann Diego de Fajardo, den die Kräfte vor nunmehr achtzehn Tagen verlassen hatten, und zwar querab von Madras.

Die „Vadavia“ hatte sich in Küstennähe gehalten, statt den Indischen Ozean südlich von Ceylon zu durchsegeln. Drohende Stürme hatten Kapitän de Arce zu diesem zeitraubenden Kurswechsel veranlaßt. Alles Übel, so glaubte er jetzt, hatte begonnen, seit er jene Entscheidung getroffen hatte.

Mein Gott, mein Gott, dachte er in diesem Moment, vielleicht hätte ich doch lieber die Stürme abwettern sollen!

José Tragante, der Feldscher, stürzte aus dem Vordecksschott auf die Kuhl, hastete zum Steuerbordniedergang des Achterdecks und erstieg das Deck, indem er jeweils drei hölzerne Stufen mit einem Schritt nahm. Es war ihm sonst nicht erlaubt, das Achterdeck zu betreten, denn dieser Platz des Schiffes war dem Kapitän und seinen Offizieren vorbehalten, doch in dieser Ausnahmesituation war es Don Gaspar mehr als selbstverständlich, seinem „Medico“ den Zutritt zu gewähren. Tragante hingegen wünschte inständig, es hätte sich niemals ein Grund für diese Sondergenehmigung ergeben.

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