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© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-970-3
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Fred McMason
Als sie zum Rammstoß ansetzt, gibt es kein Ausweichen mehr
Istanbul, November 1597 .
Die schweren Ketten klirrten leise, als sich der hochgewachsene schlanke und dunkelhaarige Mann bewegte. Sie hatten ihm die Arme und auch die Beine mit solchen Ketten gefesselt. Wenn er einen Schritt tat, mußte er hüpfen .
Das Gesicht mit dem schwarzen Schnauzbart war gekennzeichnet von den Leiden, die er in den letzten Wochen und Tagen über sich hatte ergehen lassen müssen. Ali Mustafa erschienen diese Tage wie Ewigkeiten .
Sie hatten ihn gefoltert, diese Schergen des Teufels, sie hatten ihm ihre Peitschen durch das Gesicht gezogen und über seinen Körper, um ihn zur Aussage zu zwingen. Aber sie hatten kein Geständnis erpressen können .
Hochaufgerichtet stand er da und blickte aus kohlschwarzen Augen auf das dürre Männchen mit dem lächerlichen Ziegenbart. Es war der Kadi, der das Urteil über ihn fällen würde .
Dieses Urteil kannte Ali Mustafa längst. Es war kein Geheimnis, denn so war es in letzter Zeit immer vollstreckt worden. Sie würden ihn vor das Rohr einer Kanone binden und dann die Kanone abfeuern …
Die Hauptpersonen des Romans:
Ali Mustafa– die drei Kadis von Istanbul haben ihn wegen Spionage zum Tode verurteilt, aber er ist unschuldig.
Ibrahim– tritt als „stärkster Mann der Welt“ auf und ist ein wahres Monster von Muskelbergen.
Edwin Carberry– der Profos hält Ibrahim für einen „Rumtöner“ und will es genau wissen.
Old Donegal O’Flynn– entdeckt unter seiner Koje einen „Wassermann“ und ergreift die Flucht.
Philip Hasard Killigrew– der Seewolf ergreift auch die Flucht, aber vor dem Rammsporn einer Riesen-Galeere.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Das Männchen mit dem Ziegenbart war dürr, klein und hatte graue schüttere Haare. Es trug Schnabelschuhe und ein langes silberblaues Gewand. Das Männchen hatte Weltschmerz im Blick und wässerige, etwas verschleiert wirkende Augen, die ständig an dem Angeklagten vorbeischauten.
„Ich wiederhole noch einmal die Anschuldigungen, Ali Mustafa, den Frevel, den man dir vorwirft und wegen dem du hier vor dem Gericht der Oberen Drei stehst.“
Neben dem Kadi saßen noch zwei ebenfalls alte Männer, die mit steinernen Gesichtern zu Boden blickten und sich nicht regten. Auch die Schergen im Hintergrund bewegten sich nicht. Wie aus Stein gehauen standen sie an den Wänden des Gerichts.
„Ich kenne die Anschuldigungen“, sagte Ali Mustafa ruhig. „Sie sind haltlos und verleumderisch. Sie sind außerdem durch nichts bewiesen worden.“
Der Kadi blickte unwillig auf den Angeklagten.
„Es gibt Zeugen“, beharrte er. „Zwei Zeugen, die einen einwandfreien Ruf haben.“
„Auch ich habe einen einwandfreien Ruf. Ich bin ein Nachfahre Suleiman des Großen. Man hat mir etwas derart Lächerliches noch nie in meinem Leben vorgeworfen.“
„Dein Leben war nur kurz“, sagte das ziegenbärtige Männchen, „und es wird auch nicht mehr lange währen. Es sei denn, du gibst deine schändliche Tat endlich freimütig zu, Ali Mustafa.“
„Ich habe nichts zuzugeben“, sagte der Angeklagte stolz und mit erhobenem Kopf. „Deine sogenannten Zeugen, hoher Kadi, sind erbärmliche Schufte, die mich um mein Vermögen gebracht haben. Sie haben intrigiert und mich durch ihre falschen Beschuldigungen vor Gericht gebracht. Wo sind die Zeugen denn, warum werde ich ihnen nicht gegenübergestellt?“
„Die Zeugen sind bereits vernommen worden. Eine Gegenüberstellung ist nicht mehr erforderlich.“
Der Ziegenbärtige verzog ein wenig das Gesicht. Er dachte an den großen Beutel mit Goldstücken, den er erhalten hatte. Wenn er Ali Mustafa nicht zum Tode verurteilte, konnte das für ihn selbst sehr üble Folgen haben. Nicht nur, daß er das Gold zurückgeben mußte, für ihn als Kadi stand noch mehr auf dem Spiel – Ansehen, Würde, Glaubwürdigkeit und was der edlen Dinge mehr waren.
„Die Anschuldigungen sind erfunden“, sagte der Gefangene noch einmal laut und deutlich. „Ich habe nie mit den Spaniern und Venezianern zusammengearbeitet, wie man mir das vorwirft. Ich kenne keinen einzigen Venezianer und erst recht keinen Spanier.“
„Du bist der Kollaboration mit dem Feind überführt“, sagte das Männchen böse. „Du hast mit den Teufeln zusammengearbeitet, die uns empfindliche Niederlagen beigebracht haben.“
Ali Mustafa lachte leise und hart. Ein verächtlicher Zug lag um seine Mundwinkel.
„Wo sind die Beweise, hoher Kadi? Bisher habe ich nur falsche Worte vernommen. Mit wem habe ich zusammengearbeitet, wo habe ich mich mit Spaniern und Venezianern getroffen? Bringt mir endlich den Beweis, hoher Kadi.“
„Verurteilt ihn endlich“, plärrte einer der alten Männer ungnädig. „Seine Schuld ist erwiesen. Wir haben noch mehr Fälle.“
Der Kadi nickte und erhob sich mit gekrümmtem Rücken.
„Im Namen Allahs verurteilen wir dich nach dem Gesetz des heiligen Korans. Man wird dich morgen, nach dem zweiten Gebet des Muezzin vom Leben zum Tode befördern. Der Henker wird dich, Ali Mustafa, vor eine Kanone binden. Wenn die Kanone gezündet wird, ist der Gerechtigkeit Genüge getan und dein Frevel gesühnt worden.“
Ali Mustafa hatte nichts anderes erwartet. Er sah den Kadi mit einem höhnischen Blick verächtlich an.
„Seit wann bestimmen die heiligen Gesetze des Korans, daß der Angeklagte vor eine Kanone gebunden wird? Mir ist kein derartiges Gesetz bekannt.“
„Das Urteil ist gesprochen!“ schrie das Männchen ärgerlich. „Du wirst nicht durch das Henkersschwert bestraft, sondern durch die Kanone. Das ist ein unehrenhafter Tod, und genau den hast du verdient, Ali Mustafa. Dir steht das letzte Wort zu. Hast du noch etwas zu sagen?“
In den kohlschwarzen Augen des Türken funkelte es.
„Ja. Verflucht sollt ihr alle sein, ihr hohen Herren, weil ihr durch meinen Tod eine goldene Nase verdient. Seid auf ewig verflucht, ihr und der Henker!“
„Bringt ihn hinaus!“ kreischte der Kadi wild. „Bringt ihn ganz schnell hinaus, damit sich der Fluch eines zum Tode Verurteilten nicht erfüllt.“
Voller Entsetzen sahen die drei Kadis zu, wie sich die Schergen auf Ali Mustafa stürzten und auf ihn einschlugen. Als er zusammenbrach, schleppten sie ihn an den Ketten hinaus.
Und da geschah das Unfaßbare: Der Kadi mit dem Zickenbart regte sich über die Verwünschung und den Fluch derart auf, daß sein Gesicht blau anlief, er am ganzen Körper zu zittern begann und schließlich zu Boden fiel, wo er sich in wilden Zuckungen wand.
Zwei Minuten später war er tot. Sein altes Herz hatte die Aufregung nicht verkraftet.
Die beiden anderen wurden bleich. Fassungslos starrten sie auf den Toten am Boden. Der Kadi lag jetzt auf dem Rücken. Sein Mund war wie zu einem Schrei geöffnet, seine gebrochenen Augen stierten seelenlos durch die Decke hindurch.
„Bei Allah“, stöhnte der eine. „Das hätten wir nicht tun sollen. Er ist Nachfahre Suleiman des Großen. Sein Geist wird nicht eher Ruhe geben, bis sich der Fluch auch an uns erfüllt.“
Der andere Kadi gab keine Antwort. Gebrochen an Leib und Seele stürzte er aus dem Verhandlungsraum. Er fühlte sich sterbenselend.
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