Roy Palmer - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 259

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Der Sandsturm wurde etwas stärker. Der Wind jaulte und pfiff, der Sand tanzte über die Decks, blieb mal hier liegen, mal da, wurde wieder hochgefegt und wirbelte weiter. Vor den Schotten ließ er sich erneut nieder, und es schien, als wolle er sich hier nun endlich ausruhen, doch heimlich kroch er durch Ritzen und Fugen und irrte durch die Schiffsräume. Er überzog alles mit seiner feinen Schicht. Er klebte den Männern der «Isabella» in den Augenwinkeln, den Nasenlöchern und den Ohren. Dies war das Ende im Kanal des Todes, den die «Isabella», die über alle Weltmeere gesegelt war, nie wieder verlassen würde. Sie konnte nicht mehr vor und zurück. Und die Männer waren fahl vor Wut und Erbitterung…

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-595-8

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Kairo.

Die Sonne sandte an diesem frühen Morgen ihre wärmenden Strahlen auf die Decks der „Isabella VIII.“ und tauchte den ganzen Hafen in ein anheimelndes, freundliches Licht. Goldene Kronen schienen die kleinen Wellen des Nils zu verzieren und der Umgebung einen besonderen Glanz zu verleihen.

Selbst die Dhaus und die Feluken, die Bagallas und die Ghanjas an den Piers wirkten jetzt nicht mehr so düster wie in der Dunkelheit. Sie wiegten sich in beständigem Rhythmus. Das Knarren ihrer Rahen und Blökke und das Plätschern des Wassers an ihren Bordwänden waren die Begleitmusik dazu.

Die „Isabella“ wirkte hier fast wie ein Fremdkörper, denn es gab kein anderes europäisches Schiff. Allein ihr großer Rumpf überragte die Nil-Segler, und die Masten erhoben sich wie Giganten, die mit ihren weit ausladenden Armen nach der Stadt griffen.

Zwei verschiedene Welten trafen hier aufeinander. Wenngleich an diesem Morgen auch ein Eindruck von Heiterkeit und Unbeschwertheit entstehen mochte, so vergaßen die Männer der „Isabella“ doch keinen Augenblick, mit welch unangenehmen Überraschungen jene andere Welt, die dort zum Greifen nahe jenseits des Schanzkleides lag, ihnen bei ihrer Reise durch Ägypten aufgewartet hatte. Dies hier, das war kein Hort des Friedens, sondern eine Region voller Gefahren, und deshalb war es nur allzu verständlich, daß die Crew des Philip Hasard Killigrew all das, was der Strom ihr abverlangt hatte, in einem einzigen Begriff zum Ausdruck brachte: Scheißnil.

Und drüben auf der anderen Seite des Schanzkleides – wie dachte man dort?

Teils mißtrauisch oder neugierig, teils haßerfüllt waren die Blicke, die man von Bord der benachbarten Schiffe, von den Piers und den Hafenanlagen aus zu der englischen Galeone hinübersandte. Die Ägypter trieben Handel mit dem Ausland, doch trotzdem sahen sie jeden „Giaur“, jeden Ungläubigen, als einen Eindringling an. Und die ganz fanatischen Muslims unter ihnen töteten jeden Europäer, der ihnen in einer düsteren Hafengasse oder draußen in der Wüste begegnete.

Die Türken, die das Land beherrschten, waren den Engländern zwar wohlgesonnen, doch auch sie verbargen ihren Argwohn nicht, denn sie wußten, daß dieses majestätische Schiff mit den drei Masten bis zum ersten Katarakt des Nils hinaufgesegelt war. Was, beim Scheitan, hatten seine Besitzer dort gesucht? Waren sie etwa Grabräuber, Frevler und Banditen, an deren Händen das Blut unschuldiger Menschen haftete?

Kairo, El Qâhira. Man schrieb heute den 8. Mai 1592, und somit waren nahezu drei Monate vergangen, in denen die „Isabella“ ihre beschwerliche Fahrt den Strom hinauf und wieder hinunter unternommen hatte, denn Februar war es gewesen, als sie zum erstenmal hier festgemacht hatte.

Festgemacht, auch dieses Wort war eigentlich ein Hohn, denn seinerzeit war die „Isabella“ ja zunächst einmal mit voller Wucht auf eine der Nil-Inseln gelaufen, und es hatte einigen Aufwandes bedurft, um sie wieder flottzukriegen. Obendrein war Bill auch noch baden gegangen und wäre um ein Haar von einem der Krokodile verschlungen worden, wenn Smoky und Blacky ihn nicht gerettet hätten.

Als die „Isabella“ dann endlich wieder frei gewesen war, hatte sich ihr ein kleines Boot mit zwei Arabern und einem Türken genähert, kontrollierenden Beamten, die allerlei Fragen gestellt hatten – und erst anschließend hatte der Seewolf tatsächlich den Hafen von Kairo anlaufen können.

Hier hatten die Männer der „Isabella“ nun ihre erste Begegnung mit Othman Mustafa Ashmun gehabt, jenem Hafenbeamten, der sich als ausgesprochen hilfsbereit erwiesen hatte und so gütig gewesen war, an ihrer Ladung nichts zu beanstanden – gegen ein kleines Handgeld natürlich, das verstand sich von selbst.

Und nun lagen sie wieder in Kairo und warteten auf Ashmun, ohne dessen Hilfe sie mit all den Schätzen in den Frachträumen nicht passieren konnten. Außerdem sollte er ihnen als Lotse durch den Kanal der Pharaonen dienen, durch den die weiterführende Reise gehen sollte – eine Verbindung vom Nil zum Roten Meer, eine großartige Entdeckung, die einen neuen, einfacheren Seeweg nach Indien bedeuten konnte, wenn alles so klappte, wie Hasard sich das vorstellte.

Der Seewolf stand auf dem Achterdeck seines Schiffes und besah sich das Treiben im Hafen. Ben Brighton trat als erster neben ihn, etwas später tauchten auch Ferris Tucker, Big Old Shane und die beiden O’Flynns auf.

Hasard blickte zu Dan O’Flynn, der erst am Vortag zusammen mit Batuti wieder zurückgekehrt war. Die beiden hatten einen Ritt bis zum Roten Meer unternommen, um sich zu überzeugen, daß die ganze Geschichte vom Kanal der Pharaonen und allem, was damit zusammenhing, auch wirklich keine Legende war. Ja, Dan und der Gambia-Mann hatten das Rote Meer gesehen, doch der Teufelsritt durch die Wüste hatte sie fast das Leben gekostet.

„Ja“, sagte Dan nach einer kurzen Begrüßung. „Wenn die Karawane nicht gewesen wäre, wären Batuti und ich jetzt nicht hier – sondern dort, wo auch die alten Pharaonen schlummern.“

„Sei still“, sagte sein Vater. „Darüber soll man keine Witze reißen, das weißt du doch.“

„Es ist mir ja auch ernst.“

Big Old Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, lenkte rasch von dem Thema ab, ehe Old Donegal Daniel O’Flynn wieder in seine berüchtigten Ahnungen verfallen konnte.

„Verrate mir mal eins, Dan“, sagte er. „Dieses Mädchen Parisade, von dem du erzählt hast – ist sie wirklich so hübsch, oder hast du mal wieder kräftig übertrieben?“

„Sie ist umwerfend hübsch“, versicherte Dan. „Schwarzhaarig, kohlschwarze Augen, ein liebliches Gesicht, ein wenig verträumt vielleicht, schlank und graziös. Zum Anbeißen, ich schwör’s.“

Ferris Tucker grinste. „Wie kannst du das so genau wissen? Sie war doch verschleiert, denke ich.“

„Na, für mich hat sie den Schleier eben fallen lassen“, sagte Dan.

„Nur den Schleier?“ wollte Shane wissen.

„Darüber zerbrecht euch mal schön den Kopf. Ich verrate euch doch nicht alles“, sagte Dan und grinste ebenfalls.

Ben Brighton wandte sich an den Seewolf. „Dieser Ashmun“, sagte er. „Glaubst du wirklich, daß er bald kommt?“

„Er hat doch gesagt, daß er uns ab heute früh zur Verfügung steht“, erwiderte Hasard. „Zweifelst du etwa daran?“

„Nein, eigentlich nicht, aber die Warterei geht mir auf die Nerven.“

„Was mich betrifft, ich traue dem Kerl nicht“, sagte nun Old O’Flynn. „Der bringt uns noch in Teufels Küche.“

„Du traust ja sowieso keinem“, brummte Big Old Shane. „Nicht mal dir selbst. Dabei haben Dan und Batuti das Rote Meer selbst gesehen, es war keine Gaukelei, oder?“

„Nein, war es nicht“, bestätigte Dan.

Hasard drehte sich zu seinen Männern um. „Eben. Und damit haben wir die Bestätigung, daß die Sache mit dem Kanal der Pharaonen kein Schmus ist und Ashmun uns keinen Bären aufgebunden hat. Ich finde, wir können uns auf seine Angaben ruhig verlassen. Überhaupt, er ist so ziemlich der einzige, der sich hier uns gegenüber loyal verhalten hat.“

„Kabil hat uns auch geholfen“, sagte der Alte.

Hasard fixierte ihn. „Das steht doch auf einem ganz anderen Blatt. Außerdem ist der Shilh jetzt fort und kann nichts mehr für uns tun. Auf wen sollen wir uns denn wohl sonst stützen, wenn nicht auf Ashmun?“

„Das weiß ich auch nicht“, entgegnete Old O’Flynn. „Vielleicht wäre es das beste, ganz von hier zu verschwinden und so schnell wie möglich ins Mittelmeer zurückzukehren.“

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