„Nein, nie“, sagte der Österreicher.
„Auch egal“, sagte Balnave. „Aber ich blicke jetzt durch, was hier gespielt wird.“ Er senkte die Stimme. „Der Spelunkenwirt sorgt dafür, daß die Garde immer reichlich Leute abbergen kann. Dafür erhält er Prozente. Und die Gardisten kassieren ihr Geld von den Halunken, denen die Galeeren gehören.“
„Von den Kaufleuten?“ Untermayer war empört. „Das sind ja feine Sitten!“
„Und wir sind verraten und verkauft, im wahrsten Sinne des Wortes“, sagte Balnave.
Giorgio Almirante zupfte den Engländer am Ärmel. „Wir müssen abhauen!“ zischte er.
„Wie?“ fragte der Engländer gedämpft.
„Wenn ich das wüßte“, stöhnte der Österreicher.
„Kann man nicht einen der Posten überwältigen?“ flüsterte Balnave.
Almirante schüttelte den Kopf. „Die sind auf der Hut. Die überlistest du nicht, Inglese.“
„Dann müssen wir sie bestechen“, sagte Balnave.
„Mit was denn?“ Untermayer schüttelte nur erbittert den Kopf. „Die Huren haben uns total ausgeplündert.“
„Die haben auch ihre Prozente“, sagte Jim Balnave grimmig. „Wißt ihr eigentlich, was für Blödmänner wir sind, daß wir denen auf den Leim gegangen sind?“
„Ich weiß es“, erwiderte der Österreicher. „Aber was nutzt es jetzt noch, sich etwas vorzuwerfen? Wir können doch nichts ändern.“
„Das stimmt“, murmelte Balnave. „Warten wir ab, was das Schicksal uns in den nächsten Stunden beschert.“
Das Schicksal lautete, daß die Gefangenen an Bord einer dreimastigen Galeasse geschleppt und an den Ruderbänken festgekettet wurden. Wegen „Ruhestörung und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Venedig“, waren sie jeder zu einem Jahr Sklavendienst verurteilt worden.
Eine Farce – ein absurdes und gemeines Spiel.
Sie konnten sich nicht zur Wehr setzen. Sie mußten sich der Peitsche des Zuchtmeisters beugen. So lief die Galeasse aus dem Hafen von Venedig aus, durchquerte die Lagune und glitt auf die See.
Doch nach einem Jahr war der Zwangsdienst nicht vorbei. Er sollte noch länger dauern – sehr viel länger.
Der Knall der Peitsche zerriß die Luft. Jim Balnave schrie auf. Der geflochtene Lederriemen klatschte auf seinen nackten Rücken. Der Engländer riß die Augen weit auf. Er sah das verzerrte Gesicht des Zuchtmeisters über sich. Der Bulle – so nannten die Sklaven der Galeasse den Kerl, und so sah er auch wirklich aus.
„Was ist, pennst du?“ brüllte der Bulle. „Dich bringe ich auf Trab, du Hurensohn!“
Balnave biß die Zähne aufeinander und packte wieder nach dem schweren Riemen. Die Ketten, mit denen er an die Bank gefesselt war, rasselten. Er ruckste an dem Riemen und setzte die Tätigkeit fort, zu der er für den Rest seines Lebens verdammt war. Er pullte wie ein Besessener. Weigerte er sich, prügelte ihn der Bulle zu Tode.
Die Männer der Galeasse hatten es einmal erlebt, wie ein bis auf die Knochen abgemagerter Mann renitent geworden war. Der Bulle hatte mit seiner Peitsche wie ein Verrückter auf ihn eingedroschen, bis sich der arme Teufel nicht mehr gerührt hatte.
Später hatte ihn der Zuchtmeister losketten lassen und nach außenbords befördert, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
Dumpf dröhnte der Klang der Trommel in Balnaves Ohren. Der Schlagmann gab wie üblich den Takt an. So ging das Tag und Nacht. Einige Sklaven waren nicht mehr richtig bei Sinnen. Kein Wunder – es war nur eine Frage der Zeit, dann verblödete man an Bord dieses Höllenschiffes.
Natürlich waren es reine Illusionen gewesen, denen sich der Österreicher anfangs hingegeben hatte. Die Venezianer kannten weder Rücksicht noch Menschlichkeit. Sie behandelten ihre Sklaven wie die übelsten Verbrecher.
Der Kapitän erschien höchst selten an Oberdeck. Er hieß Macaluso. Mehr wußten die Ruderer nicht über ihn. Nur eines war ihnen klar. Macaluso war ein kaltschnäuziger, skrupelloser Hund. Er kannte kein Erbarmen, mit keinem.
Stieß die Galeasse auf Piraten und Schnapphähne, dann wurden die Galgenstricke konsequent und rigoros niedergemetzelt. Gnade gab es da nicht.
Das war die Aufgabe der Galeasse und ihrer Besatzung. Keine Waren sollte sie befördern. Macalusos Auftrag lautete, die Küsten der Adria und des übrigen Mittelmeeres abzuforschen und Venedig gegen „Freibeutergesindel und jeglichen anderen Abschaum der Menschheit“ zu sichern und zu schützen.
Macaluso war der Vereinigung der Kaufherren der „Serenissima“ – wie Venedig auch genannt wurde – Rechenschaft schuldig. Sie bezahlten ihn. Deshalb trachtete er danach, den hohen Herren so viele Köpfe wie möglich zu bringen.
Er jagte Piraten, und er versuchte auszuspionieren, was an fremden Küsten getrieben wurde. Ständig hegte er den Verdacht, irgend jemand könne ein Komplott gegen Venedig aushecken.
„He, Freund“, sagte Giorgio Almirante, der rechts neben Balnave angekettet war. „Tut mir leid. Ich habe versucht, dich aufzuwecken, als du einnicktest. Aber du hast zu tief geschlafen.“
„Ja, klar, das kann ich mir denken“, erwiderte Balnave. Italienisch hatte er inzwischen gelernt. So hatte die Reise an Bord der Galeasse auch etwas Positives, wie er manchmal mit Galgenhumor zu seinen Leidensgenossen zu sagen pflegte.
„Hast du wieder geträumt?“ fragte Untermayer. Er hockte links neben dem Engländer und pullte mit den Bewegungen einer Marionette.
„Ja“, antwortete Balnave.
„Von damals?“
„Ja, wie sich die Dinge in Venedig zugetragen haben“, entgegnete der Engländer.
Hinter seinem Rücken ertönte die Stimme von Beppe Grillo. „Mann, das hast du doch schon tausendmal geträumt.“
„Ich muß immer wieder daran denken“, sagte Balnave. „Sollte ich eines Tages in die verfluchte Stadt zurückkehren, werde ich mich bei dem Spelunkenwirt eigenhändig für das bedanken, was er uns angetan hat.“
Max Rinaldi, der seinen Platz neben Grillo hatte, brummte finster: „Das hoffst du noch? Du Träumer! Wir sehen die Serenissima nicht wieder.“
„Quatsch“, sagte Balnave. „Solange ich noch nicht auf dem Zahnfleisch krieche, werde ich es versuchen.“
„Abhauen willst du?“ zischte Rinaldi. „Schlag dir das aus dem Kopf.“
„Still“, raunte Untermayer. „Der Bulle ist wieder im Anmarsch.“
Der Zuchtmeister näherte sich und blieb neben, ihnen stehen.
„Was habt ihr zu quatschen, ihr faulen Mistkerle?“ fragte er. „Habt ihr Sehnsucht nach der Neunschwänzigen, oder was ist los?“
„Ach, ich habe meinen Kameraden hier nur nahegelegt, sie sollen kräftiger pullen, weil es dann als Belohnung Hähnchen zu futtern gäbe“, erklärte Beppe Grillo. Er war ein ausgesprochener Spaßvogel und versäumte keine Gelegenheit, seine Freunde zum Lachen zu bringen.
Aber es lachte dieses Mal keiner, denn der Bulle sah Beppe Grillo so drohend an, als wolle er ihn mit Haut und Haaren fressen.
„Du Sack!“ fuhr er ihn an. „Willst du mich wieder mal verarschen? Na, warte!“ Schon pfiff die Peitsche durch die Luft. Ein derber Hieb traf Beppes Schultern. Der Italiener duckte sich und biß sich auf die Unterlippe.
Der Bulle marschierte mit triumphierendem Grinsen weiter.
„Das hast du davon“, sagte Max Rinaldi vorwurfsvoll. „Immer mußt du diesen Bastard herausfordern.“
„Abwechslung muß sein“, sagte Grillo mit verkniffenem Grinsen.
„Besten Dank“, murmelte Jim Balnave.
„Für was denn?“ flüsterte Beppe Grillo.
„Na, für den Beistand.“ Der Engländer behielt den Bullen im Auge. Leise sprach er weiter. „Also, wenn sich irgendwo die Gelegenheit bietet, haue ich ab. Und wer mit mir türmen will, der sollte es sich schon jetzt gründlich überlegen.“
„Ich nehme meinen ganzen Grips zusammen“, erklärte der Mann aus Salzburg. „Und ich sage dir, das ist glatter Selbstmord. Nimm mal an, du springst außenbords, Jim. Wohin willst du dann schwimmen?“
Читать дальше