Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-428-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Donegal Daniel O’Flynn lag reglos in der Hängematte und lauschte.
Er hörte nicht das Klatschen der Wellen gegen die hölzerne Bordwand, er hörte auch nicht das Knarren der Rahen und Blöcke, das die stampfenden, schlingernden Bewegungen des Schiffes wie eine vertraute Melodie begleitete. Dan O’Flynn konzentrierte sich mit jeder Faser auf die Atemzüge der Männer, die rechts und links von ihm im Mannschaftslogis des Vorschiffs schliefen. Fremde Atemzüge. Und Männer, die Dan erst seit ein paar Tagen kannte. Denn auf der Dreimast-Galeone „Isabella VIII.“ führte im Augenblick nicht der Seewolf das Kommando, sondern ein größenwahnsinniger bretonischer Piratenkapitän.
Dan richtete sich vorsichtig auf und schwang die Beine aus der Hängematte.
Er biß die Zähne zusammen. Sein Rücken brannte, die Peitschenstriemen, die er dem verdammten Bretonen verdankte, waren immer noch nicht verheilt. Auch Batuti, der riesige Gambia-Neger, hatte zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen über sich ergehen lassen müssen.
Jean Morro, dem Bretonen, war es schließlich gelungen, seine beiden Gefangenen zum Borddienst auf der unterbemannten Galeone zu zwingen. Aber nicht, weil er sie etwa mit seiner Drohung eingeschüchtert hätte, sie sonst an der Rahnock aufzubaumeln oder in der Vorpiek verhungern zu lassen – das ganz gewiß nicht.
Dan und Batuti hatten sich nur zum Schein gebeugt.
Sie wußten, was das Piratengesindel nicht einmal ahnte: daß die Seewölfe ganz sicher nicht lange auf der Insel bleiben würden, auf der man sie zurückgelassen hatte. Der schwarze Segler war in der Nähe. Ein knüppelharter Sturm hatte ihn von der „Isabella“ getrennt, aber Siri-Tong und Thorfin Njal würden die Seewölfe suchen – und finden, davon war Dan O’Flynn überzeugt.
Irgendwann würde „Eiliger Drache über den Wassern“ die „Isabella“ einholen – und bis dahin wollten Dan und Batuti nicht mehr an Bord sein, damit die Piraten sie nicht als Geiseln benutzen konnten.
Aber verschwinden konnten sie nicht, wenn sie gefesselt in der Vorpiek lagen oder nach einer zweiten Abreibung mit der Neunschwänzigen nicht mehr fähig waren, sich auf den eigenen Beinen zu halten.
Deshalb hatten sie sich geduckt, hatten gehorcht und die Schikanen und Quälereien ihrer Gegner ertragen. Auch so blieb das Unternehmen schwierig genug. Dan und Batuti waren verschiedenen Wachen zugeteilt und ständig von Männern umgeben, die auf sie aufpaßten. Die Chance, etwa unbemerkt ein Boot abzufieren, war gleich Null. Aber inzwischen hatte die „Isabella“ die Höhe von Managua passiert, lag dicht unter Land auf Nordwestkurs, und gestern nachmittag hatten die beiden Seewölfe ein paarmal die Küste gesehen.
Sie würden schwimmen.
Daß sich Jean Morro damit aufhalten würde, die Küste von Nueva España nach ihnen abzusuchen, wenn er ihre Flucht entdeckte, bezweifelten sie. Aber Siri-Tongs Crew und die Seewölfe würden zum Beispiel Rauchzeichen richtig zu deuten wissen, wenn sie vorbeisegelten. Oder vielleicht war es auch möglich, irgendwo ein Boot aufzutreiben, mit dem sie den Kurs des schwarzen Seglers kreuzen konnten.
Dan O’Flynn warf noch einen letzten Blick auf die schlafenden Männer, die er in der Dunkelheit des Vorschiffs nur schattenhaft zu erkennen vermochte. Vorsichtig stieg er aus der Hängematte, glitt auf nackten Sohlen zum Schott und tastete nach dem Riegel. Schweiß stand auf seiner Stirn, als er – unendlich behutsam, um kein Geräusch zu verursachen – den Durchlaß öffnete. Wie ein Schatten huschte er nach draußen, und genauso behutsam wie vorher schloß er das Schott wieder.
Für ein paar Sekunden verharrte er auf dem Niedergang und lauschte.
Das stete Knarren, Knirschen und Ächzen der Takelage hatte sich verstärkt. Schritte erklangen: bedächtige Schritte, nicht das rastlose Klatschen nackter Sohlen auf den Decks, das man bei böigem Wind und unruhiger See hörte. Die „Isabella“ lag über Backbordbug und empfing den gleichmäßigen Ostwind raumschots. Sanft schob er sie dahin, unermüdlich, einschläfernd – in einer solchen Nacht brauchten die Männer an Deck kaum eine Hand zu rühren.
Dan wußte, daß Batuti die Steuerbordwache auf der Kuhl ging, zusammen mit Esmeraldo, diesem einäugigen Hundesohn.
Lautlos glitt Dan O’Flynn über den Niedergang. Sein Blick flog über die geblähten, fahl schimmernden Segel, über die Wanten und Pardunen, in denen der Wind sang. Eine Gestalt lehnte am Schanzkleid, noch schwärzer als die Nacht. Aber sie hob sich von dem bewegten, im Sternenlicht glitzernden Spiegel des Pazifik ab, und deshalb konnte Dan die Umrisse des hünenhaften Negers deutlich erkennen.
Batuti rührte sich nicht. Und Dan kümmerte sich vorerst nicht um ihn. Er schob sich auf dem Niedergang noch eine Kleinigkeit höher, wandte den Kopf – und jetzt hatte er auch den einäugigen Esmeraldo im Blickfeld.
Der lehnte lässig am Großmast und betrachtete angelegentlich die überlangen Rohre der Culverinen, von deren Reichweite und Treffsicherheit er sich bei dem Gefecht mit dem ahnungslosen schwarzen Segler hatte überzeugen können.
Auch das Ruderhaus der „Isabella“ erregte immer von neuem das Interesse der Piraten. Überhaupt war ihnen inzwischen klargeworden, was für ein außergewöhnliches Schiff sie da in ihre Hand gebracht hatten. Nur die gut verborgenen Schätze in den Frachträumen hatten sie noch nicht gefunden. Und auch nicht die Brandsätze, die die „Isabella“ an Bord hatte und mit denen die Piraten ohnehin nichts anzufangen wußten.
Dan O’Flynn packte den Belegnagel fester, den er bei seiner letzten Wache heimlich eingesteckt hatte.
Niemand war auf die Idee verfallen, ihn oder Batuti zu durchsuchen. Wahrscheinlich glaubten die Piraten, ihren Gefangenen endgültig das Rückgrat gebrochen zu haben.
Dan erschien es, als hätten die Kerle in ihrer Aufmerksamkeit sogar etwas nachgelassen, und er hoffte, daß das auch auf den einäugigen Esmeraldo zutraf, auf ihn – und auf die beiden Kerle drüben auf der Backbordseite.
Es waren die beiden Burgunder. Und die steckten dauernd die Köpfe zusammen und tuschelten über das Bordell, das sie in ihrer Heimat gründen wollten, wenn ihr Beuteanteil groß genug war, um mit einem eigenen Schiff den weiten Weg um Kap Horn und quer über den Atlantik zurück in die alte Welt segeln zu können. Nach den Gesprächen der beiden würde das ein Bordell werden, gegen das sich der Palast der Königin von England bescheiden ausnahm.
Dan grinste leicht, während er auf die flüsternden Stimmen horchte, die der Wind herübertrug. Ja, die Burgunder waren vollauf damit beschäftig, an ihrem Traum weiterzuspinnen. Dan glitt lautlos über die Kuhl, schlug einen Bogen und näherte sich dem einäugigen Esmeraldo von hinten.
Der Pirat hörte nichts.
Er schien mit offenen Augen zu träumen.
Dan holte aus, nahm Maß – und hieb dem Einäugigen den Belegnagel auf den Schädel.
Es klang hohl, fand Dan. Auf jeden Fall ziemlich leise, genau wie das gedämpfte Röcheln, das der Einäugige noch hervorbrachte. Rasch fing Dan den stürzenden Körper auf und ließ ihn vorsichtig auf die Planken gleiten.
Batuti hatte sich umgedreht.
Das Weiß seiner Augäpfel schimmerte, und die prächtigen Zähne blitzten im Dunkeln, als er die Lippen zu einem breiten Grinsen verzog. Lautlos huschte Dan zu ihm hinüber. Kein Wort fiel. Irgendwie hatte es der hünenhafte Neger bereits geschafft, eine Leine auszubringen. Dan nickte ihm zu, schwang sich geschmeidig über das Schanzkleid und hangelte sich Hand über Hand nach unten.
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