Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-449-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Blake spürte, wie die Hitze in ihm fraß, diese Hitze, die von einem erbarmungslosen Glutball herabfiel wie heißes Feuer, das sich in seine Lungen brannte und das Atmen zu einer einzigen Qual werden ließ.
Schweiß verklebte seine Haare, Schweiß rann ihm in Bächen über den Körper und saugte ihm den letzten Widerstand aus den Knochen.
Bei Gott, dachte er, wenn dieser fürchterliche Glutball dort oben nicht bald erlosch, wenn nicht bald Wind wehte, kräftiger Wind, der sie weiterblies, dann würden sie in ein paar Tagen alle tot sein.
Mit trüben Blicken starrte er auf die Segel. Schlaff und ausgebleicht hingen sie an den Rahen. Große, in sich zusammengefallene Leichentücher, oftmals geflickt, ausgebessert, gezeichnet von einer Zeit, als der Wind sie gebeutelt hatte, dieser lebensnotwendige Wind, von dem sie schon gar nicht mehr wußten, wie es war, wenn er wehte.
Wasser, dachte er in einem plötzlichen Anfall von Panik. Wohin man sah, gab es nichts als Wasser, salzig, lebensfeindlich, ohne Land. Keine Inseln, nicht einmal eine Wolke, von einem anderen Schiff ganz zu schweigen.
Er hieß Blake, Young Blake, wie sie ihn nannten, und er war der zweite Bootsmann der „Black Pearl“, dem Totenschiff, dem Seelenverkäufer, dem schwimmenden Sarg.
Verdammt, dreimal verdammt, dachte er. Ich habe eine Ader dafür, wenn Land in der Nähe ist. Land, eine lausige Insel nur, aber ich spüre nichts, und ich werde nie wieder etwas spüren. Nicht mehr lange, und ich werde krepieren wie Walters, diese treue Seele von einem Kerl. Skorbut, oder wie sie es nannten, wenn einem die Zähne ausfielen, wenn der Darm blutete, und wenn man keinen Hunger mehr hatte, obwohl der Magen seit Tagen nichts mehr zu verarbeiten hatte.
Ja, Walters, Segelmacher war er gewesen, ein guter Mann, einer, der immer half, der immer tröstete, der immer aufmunternde Worte fand. Schillernden Schleim und Blut hatte er gespuckt, bis er zusammengebrochen war.
Wann das war? Vor einer Woche vielleicht, oder vor einem Monat, vielleicht auch schon vor einem Jahr. Oder noch länger?
Egal, wie lange es her war. Wem half das?
Die brütende Hitze setzte dem Schweifen seiner Gedanken ein Ende. Vor seinen Augen flirrte heißer Sonnenglast, der sich über das ganze Schiff erstreckte.
Blake stand auf aus seiner kauernden Stellung und lehnte sich ans Schanzkleid.
Sekundenlang hatte er das Gefühl, als wäre er der einzige Mann an Bord der „Black Pearl“.
Das Ruder war festgelascht, auf dem Achterdeck war kein Mensch zu sehen. Er stieß sich schwerfällig ab, um einen Schluck aus dem Wasserfaß zu trinken.
Doch, einer war an Deck, und der stand mit dem Rücken zu ihm, einem fleischigen massigen Rücken und einem fetten Genick.
Reverend Thornton! Der Mann mit den frommen Sprüchen, Bordgeistlicher, dem anscheinend nichts fehlte, der immer kerngesund aussah.
Ob das von den frommen Sprüchen herrührte oder nur einfach davon, daß sie alle Reverend Thornton schon oft dabei ertappt hatten, wenn er heimlich das streng rationierte Wasser trank oder ebenso heimlich Proviant klaute?
Blake empfand Haß für den Mann, jäh ausbrechenden Haß auf das feiste Genick, den massigen Körper und auf Thorntons strotzende Gesundheit.
Kein Wunder, daß dem Kerl nichts fehlte, überlegte er. Das, was der Mannschaft abging, verleibte er sich heimlich ein und kaschierte seine Handlungsweise mit biblischen Sprüchen.
Blake wußte, daß er jetzt nicht ans Wasserfaß gehen und trinken durfte. Erst am Abend, hatte der Kapitän gesagt.
Bis dahin waren es noch lange, endlose Stunden in sengender Hitze, Stunden, die nicht vergingen und ihn ausdörrten.
Dicht neben dem Reverend blieb er stehen und sah verlangend auf das Wasserfaß. Er wußte, daß es von langen grünen Fäden durchzogen war, daß es ekelhaft schmeckte und faulig roch. Es war vielleicht noch zu einem Viertel gefüllt und mehr als lauwarm.
„Möge die Versuchung nicht über dich kommen, mein Sohn“, sagte der Reverend halblaut, ohne sich umzudrehen. „Denn wer der Versuchung erliegt, ist des Teufels.“
„Dich ehrwürdigen Hurenbock soll der Teufel holen“, sagte Blake grimmig mit zusammengebissenen Zähnen. „Über dich ist doch vorhin auch die Versuchung gekommen, ich habe es gesehen, obwohl du dachtest, du wärest allein an Deck.“
„Lüge“, keuchte der Reverend. „Lüge! Das ist nicht wahr!“
„Dann stimmt es wohl auch nicht, daß du vorhin von dem Roggenbrot geklaut hast, eh?“ fragte Blake höhnisch.
Thornton wurde knallrot. Mit einer überhasteten Bewegung rieb er sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Ich bin ein bescheidener Diener des Herrn“, sagte er kläglich. „Ich bin nur ein Mensch …“
„Ein scheinheiliger, hinterhältiger“, fügte Blake hart hinzu. „Dich würden selbst die Haie wieder auskotzen, Reverend, weil sie sich an deiner schwarzen Seele die Zähne ausbeißen.“
Er verzichtete auf den Schluck Wasser, ließ Thornton stehen und ging mit schlurfenden Schritten nach achtern.
„Scheiß auf den verdammten Tag, an dem ich England verlassen habe“, murmelte er vor sich hin. „Und das schwöre ich mir selbst: An dem Tag, da wir Land erreichen, werde ich verschwinden und dieses Land nie wieder verlassen, bei Gott nicht. Scheiß auf die verdammte Seefahrt!“
Im Schatten des Segels ließ er sich nieder, ausgelaugt, total erschöpft, fertig und kaputt.
Etwas später döste er ein.
Blake träumte von einer grünen saftigen Insel. Ein Bach klaren Wassers, erfrischend kühl, grummelte durch üppige Vegetation, und auf der Insel wuchsen Früchte, in die er gierig hineinbiß.
Das Bild wechselte jäh. Zwei Männer gingen träge durch die üppige Vegetation und schleppten einen dritten mit sich.
„… schon eine Weile tot sein“, hörte er ein undeutliches Geflüster, „der dritte jetzt. Mein Gott, wie soll das weitergehen?“
Kein Traum, dachte Blake entsetzt, bittere Wahrheit.
Der Schweiß verklebte ihm die Augen, und so sah er alles wie durch einen Nebelschleier.
Auf den Planken der Kuhl standen der Kapitän, der Seemann Fisher und Reverend Thornton, der leise murmelte. Dann hoben sie zu dritt eine Gestalt auf, schoben sie über das Schanzkleid und ließen sie ins Meer gleiten.
Beim Aufklatschen des Körpers war Blake hellwach.
„Wer – wer war das?“ stammelte er.
Der Kapitän, bärtig, hohlwangig, sah ihn aus tief in den Höhlen liegenden Augen lange an.
„Endicot“, sagte er schwer. „Endicot war es.“
„Aber Endicot war doch gestern noch – noch gesund.“
„Gesund? Gestern? Wann war gestern, Mann? Er lag sicher schon zwei Tage tot in seiner Koje. Gehen Sie nach unten, Blake, legen Sie sich hin!“
Blake schüttelte eigensinnig den Kopf.
„Ich will nicht nach unten, Sir, da unten verreckt man nur. Ich will lieber an Deck krepieren. Darf ich einen Schluck Wasser haben, Sir?“
Endicots Tod hatte ihn aufgewühlt, er spürte, wie er am ganzen Körper zitterte. Himmel, was war bloß mit ihm los? Er hatte Endicot doch noch gesund gesehen, oder war er selber schon verrückt?
„Heute abend“, sagte der Kapitän, „heute abend gibt es einen Schluck Wasser, jetzt nicht.“
Blake starrte auf die Stelle im Wasser, wo die Leiche verschwunden war. Ab und zu perlte es dort, winzige kleine Bläschen stiegen auf und zerplatzten, wenn sie die Oberfläche erreichten.
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