Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-734-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Sumpffieber
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Florida, das „Land der Blumen“, wie die Spanier es getauft hatten, war wirklich unberechenbar. Fort St. Augustine hatte eine unangenehme Überraschung für die Seewölfe bereitgehalten – der Pirat Mardengo hatte die „Isabella IX.“ sofort massiv befeuert, als sie in die Mündung des Rio Matanzas eingelaufen war. Nur die Schatztruhen der Spanier, die sich jetzt an Bord der „Isabella“ befanden, entschädigten die Männer unter dem Kommando von Philip Hasard Killigrew wieder etwas für die Gefahren, denen sie während der vergangenen Stunden ausgesetzt gewesen waren. Doch schon nahte neues Unheil – diesmal war es Rasmus, der den Arwenacks nicht wohlgesinnt war. Ein Wetterwechsel kündigte sich durch drohende Vorzeichen an, und so wurde auch Hasards Plan, an der Ostküste von Florida nach Norden zu segeln, in Frage gestellt.
Es war dunkel geworden, die Seewölfe segelten gut zwanzig Meilen querab von Fort St. Augustine auf Kurs Norden. Hasard hatte soeben seine Inspektion des Schiffes abgeschlossen und kehrte auf das Achterdeck zu Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und den beiden O’Flynns zurück, die die Wetterentwicklung mit besorgten Mienen verfolgten.
„Die Lady ist ziemlich lädiert“, sagte der Seewolf. „Aber sie ist doch noch voll seetüchtig und manövrierfähig, wie ich das angenommen hatte. Wir haben keinen Wassereinbruch oder Lecks unter der Wasserlinie. Das Ruder ist vollständig intakt. Wir sind zwar ganz schön gerupft worden, können aber noch von Glück sagen, daß wir segeln können.“
„Und die Schatztruhen?“ fragte Ben. „Sind sie auch wirklich ordentlich gestaut? Wir hatten ja nicht viel Zeit, wir mußten so schnell wie möglich aus St. Augustine verschwinden.“
„Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten“, erwiderte Hasard. „Sie sind alle festgezurrt, ich habe eben noch mal alles überprüft.“ Er warf einen Blick voraus, wo ein weit verästelter Blitz den Nachthimmel erhellte. Die Umrisse düsterer Gewitterwolken zeichneten sich in dem weißlichen Licht ab. Es war kälter geworden, der Wind sprang jetzt schlagartig um und blies böig aus Norden. „Ich hatte gehofft, wir könnten die schlimmsten Schäden an Deck rasch beheben“, fuhr er fort. „Aber in dem Punkt habe ich mich geirrt. Wie die Dinge stehen, müssen wir das auf später verschieben.“
Er trat zur Balustrade und rief seiner Crew ein paar Befehle zu. Der Kurs wurde geändert, bis er auf Nordosten anlag. Fluchend korrigierten die Männer die Stellung der Rahen, bis sie ganz hart nach Steuerbord angebraßt waren. Die „Isabella“ segelte nun mit Backbordhalsen über Steuerbordbug liegend hoch am Wind, doch Hasards Hoffnung, gegen den Nordwind aufkreuzen zu können, wurde bald zerstört.
Mit Sturmstärke heulte der Wind heran.
„Wahnsinn!“ brüllte Big Old Shane. „Wenn wir weiterhin kreuzen, brechen wir uns sämtliche Gräten!“
„Das hält die Lady nicht aus!“ schrie auch Old O’Flynn.
Hasard sah ein, daß sie recht hatten. Er mußte den Kurs wieder ändern, nach Süden ablaufen und versuchen, eine geschützte Bucht zu erreichen, wenn der Wind und der Seegang weiter zunahmen.
Wieder rief er seine Befehle: „Abfallen vom Wind! Wir gehen auf Kurs Süden!“
„Aye, Sir!“ brüllte Carberry, dann fuhr er zu den Männern auf dem Hauptdeck herum. „Abfallen, ihr Kanalratten! Habt ihr’s nicht gehört?“
„Spannt die Manntaue! Verschalkt die Luken und Schotten!“ schrie der Seewolf.
Die „Isabella“ richtete ihren Bugspriet unterdessen nach Osten. Pete Ballie, der Rudergänger, hatte auf Hasards Kommando hin Ruder Steuerbord gelegt. Schwer krängte das Schiff nach Steuerbord, der jaulende Sturmwind drückte mit Macht gegen die Backbordseite an. Fast schienen die Rahnocken in die aufgewühlte See tauchen zu wollen, dann aber richtete sich das Schiff, einem unergründlichen Gesetz der Natur gehorchend, plötzlich wieder auf, vollendete die Schleife und ging, nunmehr vor dem Wind laufend, auf südlichen Kurs.
„Schrickt weg die Brassen!“ brüllte der Profos. „Und dann weg mit den Marssegeln! Die Manntaue her! Kutscher, wie weit seid ihr an den Luken?“
„Gleich fertig!“ schrie der Kutscher, der mit Mac Pellew und den Zwillingen zusammen das Verschalken vornahm. Rege Betriebsamkeit herrschte überall an Deck, alle Handgriffe liefen nach einem oft erprobten Schema ab, und doch schien es nicht schnell genug zu gehen, denn die Gewitterfront aus Norden fegte mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit heran.
„Kurs Süden liegt an!“ schrie Pete Ballie.
„Kurs Süden halten!“ rief Hasard, dann ließ er auch den Großmars räumen. Bill, der den Posten des Ausgucks versehen hatte, enterte in den Hauptwanten ab und beteiligte sich sofort am Ausbringen der Manntaue.
Der Seewolf überlegte, was er tun sollte. Er konnte weder nach St. Augustine noch in die nähere Umgebung des Forts der Spanier zurückkehren. Die Gefahr, dort irgendwo entdeckt und von neuem angegriffen zu werden – von den Spaniern oder von Mardengos Piratenbande –, war zu groß. Ratsam erschien ihm hingegen, den Sturm zumindest in seinen ersten Ausläufern abzureiten und später, weiter südlich, nach einer geeigneten Bucht zu suchen, die ihnen für die Nacht Unterschlupf bot.
Sein Plan, an Florida vorbei höher nach Norden zu steuern, wurde somit vorerst durch das Wetter verhindert. Nach dem Land, das Carolina genannt wurde, hatte er segeln wollen, vielleicht sogar bis nach Virginia hinauf, wo sich in der Nähe der Kolonien, die Sir Walter Raleigh 1584 und 1587 gegründet hatte, möglicherweise größere Chancen boten, auf friedliche und verhandlungsbereite Indianer zu stoßen, als hier, im Land der Sümpfe und Stechmücken.
Hasard war auf der Suche nach einem Eingeborenenstamm, der bereit war, sich auf eine Nachbarinsel der Schlangen-Insel umsiedeln zu lassen. Der große Zuwachs an Menschen auf der Schlangen-Insel zwang dazu, eine Plantage zu schaffen, die die Versorgung mit Eßwaren und Trinkwasser sicherte. Eine solche Plantage mußte jedoch bearbeitet werden, und dies wiederum konnten nur Menschen tun, die im Bestellen von Feldern kundig waren.
Hasard, hegte einige Hoffnung, mit seinem Vorhaben Erfolg zu haben, obwohl er noch nicht genau wußte, wohin er sich wenden sollte. Immerhin, auch die erste Phase des Unternehmens – der Abstecher nach Fort St. Augustine – war kein „Schlag ins Wasser“ geworden, wie Ben Brighton bereits düster prophezeit hatte, Sie hatte den Seewölfen zwar keine Kontakte mit geeigneten Indianerstämmen eingebracht, dafür aber die Schatztruhen der Spanier, deren Inhalt für Philipp II. bestimmt gewesen war.
Ein Schatz von unermeßlichem Wert, Schmuck aus Gold und Diamanten – selten zuvor hatte selbst Hasard eine so große Ansammlung erlesener Kostbarkeiten gesehen! Trotz des Sturmes mußte er plötzlich lächeln, denn er dachte an Don Lope de Sanamonte, den Festungskommandanten von St. Augustine.
Don Lopes Miene war von grenzenloser Erschütterung und Verzweiflung gezeichnet gewesen, als die Männer der „Isabella“ ihm zunächst aus der Klemme geholfen, ihn dann aber um den Schatz erleichtert hatten. Als sie das Fort verlassen hatten, hatte er sich von dem Schrecken immer noch nicht erholt. Sprachlos und mit offenem Mund hatte er dagestanden. Größer hätte die Schmach, die man ihm zufügte, nicht sein können – er war ein gebrochener Mann.
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