Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-381-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Eine sanfte Dünung bewegte sich unter einem handigen Nordwestwind, der die „Isabella VIII.“ über Backbordbug liegend, unaufhaltsam ihrem Ziel entgegenschob – der Schlangen-Insel.
Es war der einundzwanzigste April 1581. Die Sonne, ein großer, flammender Ball, stand im Zenit.
An Bord der „Isabella“ herrschte immer noch Hochstimmung. In ihren Laderäumen ruhten Perlen, Gold- und Silberbarren, die Hasard in einem waghalsigen Manöver den Spaniern abgenommen hatte.
Ben Brighton, Sam Roscill und der Seewolf, hatten sich von einem spanischen Preßkommando auf das spanische Flaggschiff „Flor de Espana“ anheuern lassen und es nach einem listenreichen Manöver „übernommen“. Noch weitere Silbergaleonen waren ihnen in die Hände gefallen. Jetzt ruhte die Beute im Laderaum der „Isabella“ und der andere Teil befand sich an Bord des Zweimasters der Roten Korsarin.
Hasard stand neben Ben Brighton auf dem Achterkastell. Der Seewolf suchte die See mit dem Spektiv ab.
Fremde Schiffe waren nicht zu sehen. Nur ganz hinten, am Horizont, tauchten die blutroten Segel des Zweimasters auf, den Siri-Tong, die Rote Korsarin, befehligte.
Das Schiff mit der roten Lateinertakelung holte rasch auf. Es war klein, aber schnell und wendig.
„Uns bleibt noch eine knappe Stunde Zeit“, sagte Ben Brighton besorgt. „Bis dahin müssen wir die Passage durchsegelt haben.“
„Wir schaffen es noch“, versicherte der Seewolf. „Und die Rote Korsarin schafft es selbst in ein paar Stunden noch.“
Pete Ballie, der Rudergänger, drehte gerade die Sanduhr um, die jede halbe Stunde anzeigte.
Die Schlangeninsel war bereits in Sicht. Himmelhoch ragten die mächtigen schroffen Felsen aus dem Meer auf. Unmöglich für jedes Schiff, an diese teuflischen Klippen heranzusegeln, und noch unmöglicher war es, die schmale Passage zu durchsegeln, wenn man das Geheimnis der Inseln nicht kannte.
Die Seewölfe kannten es, die Rote Korsarin auch, sie kannte es schon länger, und doch war es jedesmal ein unheimliches und beängstigendes Erlebnis die Passage zu durchfahren.
Außer dem Seewolf selbst traute sich niemand das zu, selbst der ausgezeichnete Rudergänger Pete Ballie nicht.
Das Hindurchsegeln wurde immer zu einem Todesritt über messerscharfe Klippen, vorbei an scharfkantigen Felsen, überhängendem Gestein und reißendem Wasser. Fast immer riskierten sie das Schiff dabei.
Der handige Wind blies die schlanke Galeone schnell weiter. Ihr Bug hob und senkte sich, tauchte schäumend in die See, stieg dann wieder hoch, legte sich leicht nach Backbord über und wiederholte den Rhythmus beständig.
Es war eine Lust, zu leben, fand der Seewolf, noch dazu in diesem Teil der Welt, nahe den Caicos-Inseln, wo das Sargassomeer in die Karibische See überging, wo es die langen einsamen Strände mit den hohen Palmen gab, das blaugrüne Wasser, den tiefblauen Himmel und die strahlende Sonne.
Und dazu gab es dieses herrliche Schiff, die „Isabella VIII.“, den Rahsegler mit den schlanken, überhohen Masten, in den sich jeder von der Crew regelrecht vernarrt hatte.
Ein letztes Mal suchte der Seewolf das Wasser bis zum Horizont ab. Wäre ein anderes Schiff in der Nähe gewesen, dann hätten sie es nicht riskiert, die Insel anzulaufen, damit das Geheimnis gewahrt blieb.
Bedächtig schob er das Spektiv zusammen und reichte es Ben. Da traf ihn Pete Ballies fragender Blick.
Hasard lächelte dem Rudergänger zu. Er wußte den Blick des kleinen stämmigen Mannes zu deuten.
„Willst du es nicht versuchen, Pete?“ fragte der Seewolf.
„Lieber nicht“, wehrte Pete Ballie ab. „Wenn du am Ruder stehst, dann weiß jeder, daß wir heil hindurchsegeln. Du hast die besseren Nerven und außerdem mehr Geschick. Wenn ich dort persönlich hindurchsegele, dann springen die Kerle vorsichtshalber von Bord, weil sie vermuten, daß es Kleinholz gibt. Und dann sind wir das schöne Schiff los. Äh – wir sind schon ziemlich nahe dran“, meinte Pete lahm.
Hasard sah nach dem Stand der Segel. Alles stimmte. Ben Brighton, Ferris Tucker und Edwin Carberry, der Profos, waren immer darauf bedacht, daß die Stellung der Segel stimmte, daß der Wind geschickt ausgenutzt wurde, und daß man seine Arbeit so selbstverständlich verrichtete, damit niemand unnötige Befehle geben mußte.
Jetzt begann wieder der Nervenkitzel, als der Seewolf selbst das Ruder übernahm. Ein paar Männer versammelten sich auf dem Vorschiff, die anderen gingen an die Brassen und Schoten, um die Segel nach Durchfahren der Passage so schnell wie möglich aufgeien zu können.
Ferris Tucker lauerte auf der Back, um auf Hasards Zeichen den Anker zu werfen.
Nur noch ein paar hundert Yards bis zu der Passage. Der Wasserschwall, der in die dahinterliegende Bucht drängte, schob das Schiff mit ungeheurer Kraft voraus. Die Segel waren prall mit Wind gefüllt. Im stehenden Gut, den Wanten und Pardunen sang es leise.
Wenn der Seewolf jetzt auch nur noch um Handbreiten vom Kurs geriet, waren sie geliefert. Der reißende Wasserschwall, der handige Wind und die Wucht des schnell segelnden Schiffes würden ausreichen, um die Galeone total zu zerfetzen.
Immer mehr drängte das Wasser, immer stärker wurde der Flutstrom, der machtvoll durch die gefährlichen Klippen schoß.
Rechts und links rasten die Felswände näher, wahnsinnig schnell, als wollten sie das Schiff zermalmen.
Fast berührten sie die Bordwände.
Der Seewolf knüppelte die Galeone mit eiserner Hand hindurch und hielt das immer wieder leicht ausbrechende Schiff fest, bis es dem leisesten Druck des Ruders gehorchte.
Der Bug raste auf einen mitten im Wasser stehenden Felsen zu. Das war eine der gefährlichsten Stellen, die Hasards ganze Aufmerksamkeit und sein ganzes Können erforderte.
Wieder schlossen ein paar von ihnen die Augen, in der Annahme, gleich würde das berstende Krachen erfolgen. Blacky öffnete die Augen wieder und staunte wie die anderen auch.
Hasard war in einem eleganten Bogen um den schroffen Felsen herumgesegelt, haarscharf zwar nur, aber er hatte es wieder einmal geschafft. Einem wilden Ungeheuer gleich raste die „Isabella“ weiter in die Bucht.
Die Seewölfe kannten ihre Arbeit. Niemand konnte sich auch nur eine kleine Atempause gönnen, alles mußte blitzschnell gehen.
Die Segel wurden aufgegeit, Ferris Tucker ließ den Anker fallen. Zehn, zwanzig, dreißig Faden, schließlich vierzig. Sehr viel länger war die Ankertrosse auch nicht.
„Anker hält!“ brüllte der Schiffszimmermann nach achtern.
Die Fahrt nahm rapide ab, doch die Wucht, die Bewegungsenergie, die die „Isabella“ hatte, ließ sie in einem langen Bogen um das Ankertau schoien, bis sie schließlich zur Ruhe kam.
Pete Ballie atmete erleichtert auf.
„Das hätte ich nie geschafft“, gab er ehrlich zu. „Meine Nerven flattern jedesmal, wenn wir hier durchfahren.“
„Du mußt deine Nerven aufgeien“, sagte der Seewolf lachend. „Oder backbrassen, dann flattern sie nicht mehr!“
Vor ihnen lag auf Backbord der weiße Strand mit den Palmen, dem Dickicht und den dahinter ansteigenden Lavafelsen, unter denen sich der Schlangentempel verbarg, jener geheimnisvolle Tempel, über den sie immer noch nicht viel wußten, nur so viel, daß der Stamm der Araukaner-Indianer ihn vermutlich hier angelegt hatte.
Als an Deck alles klariert war, segelte die Rote Korsarin durch die Passage.
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