Roy Palmer - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 409

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Am Abend dieses Kampftages schlugen die Naturgewalten zu. Aus Osten fegte der Hurrikan heran und raste über die Schlangen-Insel weg. Nur wenig später erreichte er auch die beiden letzten spanischen Kriegsgaleonen, die von den letzten Gefechten schwer angeschlagen waren. Dies war der Zeitpunkt, zu dem Capitän Cubera auf dem Achterdeck der « San Jose» ein Gebet sprach, denn er wußte jetzt, daß es keine Hoffnung mehr gab. Aus Osten näherte sich ein Dröhnen, das die Wind – und Wassergeräusche noch übertönte – der Hurrikan. Es gab kein Ausweichen. Sie waren dem Untergang geweiht…

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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-817-1

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Entfesselte Karibik

Erst schlugen die Korsaren zu – den Rest erledigte der Hurrikan

Don Gonzalo de Vallejo, seines Zeichens Generalkapitän der spanischen Marine, ging über Leichen – auch über die seiner eigenen Männer. Er scheute sich auch nicht, Capitán Cubera niederzuschießen, der gewagt hatte, ihm zu widersprechen. Aber es sollte noch schlimmer kommen; denn als er sah, daß die Landungsboote im Abwehrfeuer der Schlangen-Insel umdrehten und zu den Kriegsgaleonen zurückgepullt wurden, da gab er den unmenschlichen Befehl, die Jollen mit Drehbassenfeuer zum Angriff zurückzutreiben. Und da passierte es, daß die Geschützführer an den Drehbassen taube Ohren hatten. Das war Befehlsverweigerung. Aber die Ereignisse überschlugen sich, denn der Schiffszimmermann meldete, er brauche Verstärkung für die Leckmannschaft …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Pepe Gasparo hatte es in den achtunddreißig Jahren seines bewegten Lebens weder zu Reichtümern noch zu Wohlstand gebracht. Er besaß kein Schiff und kein Haus, kein Gold und kein Silber. Sein ganzes Eigentum bestand im Grunde aus der Kleidung, die er auf dem Leib trug, einer Steinschloßpistole samt Munition, einem Säbel, einem Messer und derzeit drei Silberlingen in der rechten Wamstasche. Das war alles.

Dennoch war er fest überzeugt, ein Glückspilz zu sein.

Fortuna war keine Göttin, wie man sie sich früher vorgestellt hatte, das wußte er. Außerdem war er ein frommer Katholik und wurde höchstens dann ein wenig abergläubisch, wenn es sich ums Wetter handelte. Trotzdem: das Glück existierte. Dem einen lächelte es zu, dem anderen war es nicht wohlgesonnen. Es gab Pechvögel, die ewig von Krankheiten und Verdruß aller Art verfolgt wurden.

Wer hingegen Glück hatte, mußte es zu schätzen und zu ehren wissen. Für Pepe war das eine Sache des gegenseitigen Respekts. Wer das Glück für eine selbstverständliche Angelegenheit hielt, war ein Narr. Jede Chance, die sich einem bot, war ein großer Wurf und Gewinn, dessen hohen Wert man sich von Mal zu Mal vor Augen halten mußte.

Pepe war 1556 auf der von Spanien regierten Insel Sardinien geboren, und früh hatte er begriffen, welch erheblicher Unterschied zwischen Glück und Pech bestand. Seine Eltern waren Schäfer gewesen und hatten eine große Familie gründen wollen, aber er, Pepe, war der einzige Sohn geblieben. Er war erst vier Jahre alt gewesen, als seine Mutter, die im fünften Monat mit einem zweiten Kind schwanger ging, und sein Vater in den Hügeln von Nuoro erschossen wurden.

Blutrache. Sein Vater hatte den Fehler begangen, sich mit der Sippe eines anderen Hirten anzulegen. Der Streit ging um die besseren Weideplätze. So schnell, wie die Gegner aus dem Hinterhalt feuerten, konnte Pepes Vater nicht zurückschießen. Und auch für seine Frau gab es kein Erbarmen. Pech!

Pepe hingegen hatte Glück und wurde nicht gefunden. Er krabbelte in ein winziges Kellerloch, als sie sein Haus durchsuchten, und später trat er die Flucht an. Eine Familie von Fischern nahm ihn bei sich auf und zog ihn groß. Schon als Junge fuhr er mit zum Fang hinaus und lernte die Grundbegriffe der Seemannschaft.

Er wurde erwachsen, heuerte auf Küstenseglern an und gelangte bis nach Spanien, wo er sich fest niederließ. Einmal kehrte er bewaffnet nach Sardinien zurück, um Rache an den Mördern seiner Eltern zu üben. Doch sie waren nicht mehr am Leben. Eine Choleraepidemie hatte sie dahingerafft. Pech! Pepes Haus stand noch und war sein Eigentum. Er verkaufte es und hatte genug Geld, um sich für einige Zeit über Wasser zu halten.

An Bord einer Handelsgaleone wanderte er von Cadiz in die Neue Welt aus, doch in einem Sturm sank das Schiff, und er gehörte zu den wenigen Überlebenden, die sich auf eine der Inseln unter dem Winde retten konnten. Er hatte sein Geld verloren und doch wieder seine Existenz gerettet. Glück! Er schlug sich durch, gelangte bis nach Nombre de Dios und heuerte auf verschiedenen Schiffen an.

Sechsmal hatte er inzwischen den Atlantik in beiden Richtungen überquert, an Bord von Galeonen der großen Konvois oder auf einzelnen Handelsfahrern. Hundert Stürme hatte er überlebt und sich als Schiffbrüchiger viermal vor dem Tod durch Ertrinken oder Haibiß bewahrt. Er hatte sieben schwere Krankheiten überstanden, hatte keine Amputationen, konnte hervorragend sehen, hören und sprechen und erfreute sich bester Gesundheit.

Glück, großes Glück!

Vor sechs Jahren war er zur Marine gestoßen und als Seemann in die Mannschaft einer Kriegsgaleone aufgenommen worden. Kurz darauf war er auf die „San José“ übergewechselt – noch einmal Glück. Denn es war sehr angenehm, unter dem Kommando eines Mannes wie Don Garcia Cubera zu fahren. Cubera hatte ihn zum Fockmastgasten und Decksgasten mit besonderen Aufgaben befördert, und im Gefecht half Pepe an den Kanonen als Ladenummer mit – so wie jetzt.

Noch einmal küßte ihn Fortuna an diesem 29. Juli 1594, und zwar gegen drei Uhr nachmittags. Die „San José“ war schwer in Bedrängnis geraten, und die Schuld daran trug Don Gonzalo de Vallejo, der Generalkapitän und Menschenschinder, der in einem Anflug von Wahn nach dem Untergang seines Flaggschiffes die „San José“ geentert und das Kommando an sich gerissen hatte.

Er hatte nicht nur den Zweiten Offizier getötet, er hatte auch Don Garcia Cubera angeschossen, der ihm Paroli geboten hatte. Eine Woge des Hasses brandete diesem de Vallejo entgegen, und alles deutete auf Meuterei hin. Doch noch einmal regierte er mit eiserner Hand und wußte das Unternehmen aufrechtzuerhalten, das sie alle ins Unglück stürzte.

Cubera hatte es prophezeit, als sie noch in der Bucht von Grand Turk gelegen hatten. Zäher Widerstand schlug ihnen von der Schlangen-Insel, dem Schlupfwinkel der englischen Piraten und der „Indianerbrut“ entgegen, die Mauer war nicht zu brechen.

Sie hatten es mit allen Mitteln versucht. Aber weder rasender Beschuß von allen Seiten noch riskante Landemanöver brachten den Sieg. Wieder hatte der Feind alle Register gezogen, und Spaniens glorreiches Kriegsgeschwader trieb in den drohenden Untergang.

Es wäre denn ja auch zu schön gewesen. Hinsegeln, aus vollen Rohren feuern, landen und alles niederwalzen, was sich noch bewegt – so hatte de Vallejo, der gerade erst aus Spanien eingetroffen war, sich das vorgestellt. Er war der geborene Sieger, ausgeschickt, dem „Piratengesindel“ der Karibik eine Lektion zu erteilen, Exempel zu statuieren und dem Morden und Brandschatzen, das immer mehr um sich griff, für alle Zeiten ein Ende zu bereiten.

Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht, die Rechnung ging nicht auf. Philip Hasard Killigrew hatte bewiesen, daß er und seine Verbündeten nicht totzukriegen waren.

Plötzlich war er da und vollführte einen tollkühnen, waghalsigen Brander-Angriff auf das Flaggschiff – mit der Schaluppe, die den Deserteuren um Don Antonio de Quintanilla als Fluchtfahrzeug gedient hatte. Unfaßbar – und doch wahr! Er hatte das Flaggschiff durch die Explosion zerfetzt und zum Sinken gebracht – ungeheuerlich!

Inzwischen war auf einmal auch die kleine Dreimastkaravelle wieder zur Stelle, an der de Vallejo bereits bei Grand Turk schier verzweifelt war. Und eine Dreimastgaleone mit sechzehn Culverinen war wie aus heiterem Himmel aufgetaucht und griff in den Kampf ein. Unglaublich! Welche Überraschungen hielten diese Teufel von Engländern noch bereit?

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