Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-377-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Wie ein stolzer Schwan pflügte die „Isabella VIII.“ durch das blaugrüne Wasser. Ihre Bugwelle, ein langer weißer Bart, schäumte und rauschte geheimnisvoll. Der Bug der stolzen, ranken Dreimastgaleone wurde in sanftem Rhythmus hochgehoben, gleich darauf sank er zurück in sein Element, und schon hob er sich wieder aus der glitzernden Fläche.
Dieser ständige Rhythmus bei achterlichem Wind sah nach Frieden und Behaglichkeit aus, aber das schien nur so.
Der Seewolf konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, wenn er den Profos sah. Ed Carberry war heute ganz anders als sonst, alle waren sie anders, fand Hasard. Bedrückt, sich immer wieder mißtrauisch umschauend, den Blick zeitweilig zum Himmel gekehrt. Jeder schien auf ein Wort des anderen zu warten – und der andere schwieg zumeist.
Der Profos aber schlich umher, als müsse er alle seine Freunde persönlich beerdigen.
Seine mächtige Gestalt lehnte am Steuerbordschanzkleid, sein Rammkinn war vorgeschoben, die Augen mißtrauisch zusammengekniffen, sein Mund nur ein schmaler Strich. Hasard sah jede einzelne Narbe in seinem kantigen Gesicht. Immer wieder sog Ed Carberry prüfend die Luft ein und schüttelte dann den Kopf.
Hasard winkte ihn zu sich heran, aufs Achterkastell. Carberry schob sich in der lauernden Haltung eines Verfolgten näher.
„Was ist los, Ed?“ fragte Hasard. „Steckt dir die Geschichte von den Azoren noch in den Knochen?“
Bevor der Profos antwortete, warf er einen schnellen Blick zu Pete Ballie, der diesmal nicht am Kolderstock, sondern am Ruder stand. Ja, die „Isabella“ hatte ein Ruder, diese Neuerung hatte Ferris Tucker auf der Werft des alten Hesekiel Ramsgate verlangt, dem sie das neugebaute Schiff abgekauft hatten. Es hatte viel Mühe und Überlegung gekostet, dieses Ruder mit dem dazugehörigen Ruderhaus zu bauen. Aber jetzt hatten sie es, und der Rudergänger war nicht mehr Wind und Wetter, überkommenden Seen und den anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt.
Der Profos grinste, aber das Grinsen erlosch so schnell, wie es erschienen war. Sein Gesicht verdüsterte sich fast augenblicklich.
„Nein, das ist vergessen“, beantwortete er Hasards Frage. „Wir haben vereinbart, daß wir darüber nicht mehr sprechen.“
Hasard wollte auch nicht mehr gern daran erinnert werden, obwohl im selben Moment noch einmal die Bilder vor seinen Augen abliefen.
Der Stunk mit den Engländern, die um jeden Preis die „Isabella“ versenken wollten, die Meuterei der Besiegten auf den Azoren, dann die Wilden und schließlich Scinders, der immer wieder versucht hatte, die Reparaturarbeiten an der „Isabella“ zu sabotieren, was ihm auch mit Hilfe von Pulver und Feuer mehrmals gelungen war. Und dann hing dieser Scinders, der Kommandant der zerschossenen Karavelle „Hermes“, eines Morgens in der ersten Dämmerung an einer Rah des Fockmastes. Wer ihn dort aufgehängt hatte, war nicht zu erfahren gewesen. Die vom Schuften todmüde Mannschaft hatte nichts bemerkt. Daraufhin hatte der Seewolf die Untersuchungen eingestellt.
„Was ist es dann?“ fragte Hasard weiter, der sich schon vorstellen konnte, was den Profos und die anderen so bewegte.
„Das Wetter ist es“, sagte Carberry grollend. „Das verdammte Wetter, und dieses dreimal verfluchte Sargasso-Meer. Wir segeln in Richtung Echo-Bank, und von hier ab geht es immer los. Sieh dir nur den Himmel an!“
Carberrys riesiger Daumen stach unmißverständlich nach oben, dreimal hintereinander und nachdrücklich.
Hasard hatte das natürlich längst bemerkt, genau wie die anderen. Sargasso-Meer! Das jagte jedem Seemann einen kühlen Schauer über den Rücken. Das Meer von den Bermudas bis hinunter nach Westindien war nicht geheuer. Sagen und Aberglaube gingen um. Jeder kannte eine haarsträubende Geschichte aus dieser Ecke der Welt, und jeder schmückte sie nach seinem eigenen gutdünken immer weiter aus.
Es hatte auch jetzt etwas Unheimliches an sich. Selbst der so gelassene Seewolf konnte sich diesem unaussprechlichem Etwas nicht entziehen.
Über ihnen schimmerte der Himmel längst nicht mehr in azurner Bläue. Dieses Blau war einem leichten Fahlgelb gewichen, das den Horizont verwischte, so daß man zwischen Himmel und Erde keinen genauen Unterschied mehr sah. Alles verschmolz ineinander, die Kimm mit dem Himmel, der Himmel mit dem Wasser.
Die Dünung wurde immer länger. Rollend hob sie das Schiff hoch, eine Bö knallte in die Segel und erstarb sofort wieder, noch bevor der Rudergänger reagieren konnte.
Auch der achterliche Wind begann sich unmerklich zu drehen. Mal blieb er ganz aus, dann wieder schob er die Galeone mit sanfter Gewalt vor sich her durch das Wasser, dessen Färbung sich allmählich dem Fahlgelb des Himmels anpaßte.
Es lag etwas in der Luft. Jeder spürte das überdeutlich, und jeder machte sich sogleich seine Gedanken darüber.
Hasard winkte ab. Es sollte geringschätzig aussehen, aber der gewiefte Profos erkannte deutlich die Geste der Sorge, die der Seewolf damit zum Ausdruck brachte.
„Es wird einen kleinen Sturm geben“, sagte Hasard. „Na und? Den reiten wir spielend ab. Hat vielleicht jemand Angst?“
„Bei diesem Schiff bestimmt nicht“, versicherte Carberry. „Und wer hat schon vor einem Sturm Angst? Von uns keiner!“
„Na also, dann ist ja alles in Ordung. Gib auf die Segel acht, Ed. Der Wind dreht ständig.“
„Aye, aye, Sir!“
Hasard runzelte die Stirn. Der „Sir“ blieb ihm sekundenlang im Hals stekken, denn wenn der Profos damit anfing, dann stimmte etwas nicht. Im nächsten Augenblick zuckte Hasard zusammen, als Carberrys brüllendes Organ aufklang.
„Himmel, Arsch und Sargassosee!“ schrie der Profos. „Das hat uns noch gefehlt, genau das! Dieser verfluchte Bastard soll doch gleich tot vom Himmel fallen!“
Verblüfft sah der Seewolf auf seinen Profos, der die mächtigen Fäuste zum Himmel hob und sie drohend schüttelte.
„Hau ab, du verdammtes Teufelsvieh, der Satan soll dich holen!“
„Na, da kann er uns ja gleich mitnehmen“, hörte er gleich darauf Ferris Tuckers Stimme. Auch der rothaarige Schiffszimmermann blickte mit entsetzt aufgerissenen Augen nach oben.
Und da schwebte er schon heran, ein Albatros, ein riesiger Sturmvogel mit einer Spannweite von über vier Yards. Thermische Aufwinde, die ihn getragen hatten, veränderten sich. Der riesenhafte Vogel schien in ein Luftloch zu fallen. Mit weit ausgebreiteten Schwingen sauste er im Sturzflug nach unten, genau auf die „Isabella“ zu.
An Deck zogen alle die Köpfe ein, als er dicht über die Masten dahinstrich, dann wild mit den schweren Flügeln schlug und wieder Auftrieb erhielt. Er segelte gegen den Wind und schraubte sich langsam höher, dann begann er, weite Kreise um das Schiff zu ziehen.
Dem abergläubischen Profos fuhr der Schreck gewaltig in die Knochen.
„Das bedeutet nichts Gutes“, versicherte Carberry in der Kuhl jedem, der es hören wollte. Sie drängten sich förmlich danach und hingen begierig an des Profos Lippen, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Stenmark, Dan und die anderen.
„Das ist einer der Vögel, die auf ihren Flügeln schwebend schlafen“, erläuterte Carberry. „Sie rufen Sturm hervor. Sie können sehr lange schweben, ohne die Schwingen zu regen, sie ändern die Richtung, indem sie einen Flügel so leicht bewegen, daß es niemand sieht. Wir kriegen Unglück, sage ich euch!“
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