Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-767-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
Die Brautfahrt des Old O’Flynn
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
2. März 1594.
Kurz vor Sonnenaufgang begann der Mahlstrom auf der Schlangen-Insel brodelnd in den Atlantik zu laufen.
Für die „Le Vengeur“ unter Jean Ribault war das der günstigste Zeitpunkt zum Auslaufen.
Kaum tasteten die ersten Strahlenfinger der Sonne über die östliche Kimm, ließ Ribault die Segel setzen. Der Sog erfaßte die „Le Vengeur“ und trieb sie in halsbrecherischem Tempo hinaus. Immer schneller werdend, durchsegelte sie Passage und Höllenriff und glitt unter vollem Preß in den Atlantik hinaus.
Jean Ribaults Patrouillendienst um die Schlangen-Insel bis hin zu Coral Island begann.
Dieser Wachtörn war vom Bund der Korsaren aufgrund schlechter Erfahrungen beschlossen worden und wurde nun ständig durchgeführt, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.
Für etwa drei Tage würde Ribault unterwegs sein und die Stützpunkte in weitem Bereich umtörnen. Der Sektor umfaßte die Windward-Passage, die Insel Tortuga sowie die Caicos- und Turks-Inseln.
Kehrte Jean wieder zurück, unternahm das nächste Schiff den Wachtdienst. So war „rund um die Uhr“ gewährleistet, daß sich keine Schnapphähne, Galgenstücke oder Spanier den Stützpunkten unbemerkt nähern konnten. Die Inseln mußten ihr Geheimnis wahren.
In der Bucht lagen jetzt die mit reicher Beute heimgekehrte „Isabella“, die Perlen-Galeone „Santa Clara“, die „Tortuga“ und der Schwarze Segler des Wikingers Thorfin Njal. Hasards Vetter, Arne von Manteuffel, befand sich mit der „Wappen von Kolberg“ in Havanna.
Der Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate hatte seinen morgendlichen Aufstieg in die Berge und Hügel beendet, den Sonnenaufgang genossen, seine stille Andacht für sich selbst abgehalten und sah der „Le Vengeur“ nach, die als heller Fleck nach Osten segelte. Sie segelte genau in die aufgehende Sonne hinein, und für einen Augenblick sah es so aus, als würde sie Feuer fangen.
Ramsgate kurbelte den Werftbetrieb an. War die Sonne aufgegangen, wurde gearbeitet, das war bei ihm schon immer so, und daran würde sich auch nichts ändern. Gleich darauf herrschte Hochbetrieb, und die Arbeit nahm ihren Verlauf.
Auf der Slipanlage lag die „Empress of See II.“ und ging der Vollendung entgegen. Sie war schon einmal zu Wasser gelassen, dann aber wegen einer Arbeit am Schwarzen Segler erneut auf geslipt worden.
In etwa zwei Tagen, so schätzte Ramsgate, konnte die dreimastige Karavelle dann endgültig vom Stapel laufen. Dann war Old O’Flynns großer Wunschtraum endlich erfüllt.
Fürwahr, dachte Ramsgate, die Karavelle ist wirklich ein feines Schiffchen, da brauchte er sich nicht selbst zu loben, das wurde ihm immer wieder bestätigt.
Allerdings hatte es wegen der Karavelle zwischen ihm und dem alten O’Flynn auch einen heftigen kurzen Streit gegeben.
Als O’Flynn von der Amerika-Reise zurückgekehrt war, entzückte ihn der Neubau, und er strich grinsend darum herum.
„Prächtig, prächtig“, lobte das alte Rauhbein. Dann wurde sein Blick hart und starr.
„Ein Zweimaster“, sagte er gallig, „soso, Zweimaster. Wieso hat sie nicht drei Masten?“
Hesekiel, der von dem störrischen Alten einiges gewohnt war, ließ sich durch das Gemotze nicht aus der Ruhe bringen.
„Deine alte ‚Empress‘ hatte auch nur zwei Masten“, sagte er ruhig.
Old O’Flynn fuhr fast aus der Haut. Er stampfte mit seinem Holzbein auf und blitzte Ramsgate an.
„Bist du auf der ‚Empress‘ gefahren oder ich, was? Ich fuhr auf dem Schiff, ich, Donegal Daniel O’Flynn. Und ich weiß verdammt genau, daß sie drei Masten hatte und nicht lausige zwei. Schließlich bin ich ja lange genug auf ihr gefahren.“
„Das sagtest du schon, und ich glaube dir das ja auch, Donegal“, meinte Ramsgate, immer noch ruhig. „Aber du hast immer nur von zwei Masten gesprochen. Das weiß ich genau, denn ich habe mich haarklein an deine Angaben gehalten.“
„Eben nicht. Hast du nicht, Hesekiel Ramsgate. Du hast nur zwei Masten gebaut, obwohl die ‚Empress‘ drei hatte. Und ich will verdammt sein, wenn sie nur zwei hatte. Schließlich kann ich noch bis drei zählen.“
Jetzt schwoll auch Ramsgate der Kamm, denn der kauzige Alte steigerte sich immer mehr in sein Gemotze hinein und wurde immer lauter. Schon zum x-ten Male brüllte er, er hätte gesagt, daß die „Empress“ drei Masten hätte, und das wiederholte er so lange, bis Ramsgate sauer wurde und sich eine Menge Schaulustiger einfanden, die entzückt dem Disput lauschten.
„Ich streite mich nicht mit dir herum!“ schrie Ramsgate. „Zwei Masten waren vereinbart, nicht drei!“
„Drei habe ich gesagt und nicht zwei!“ brüllte Old O’Flynn so laut, daß man es über die ganze Bucht hörte.
Schließlich gab Ramsgate zähneknirschend nach.
„Also gut, du sturer Bock. Drei Masten. Sonst noch etwas? Darf’s vielleicht auch noch ein schwenkbarer Nachttopfhalter aus Holz sein? Oder hast du andere Wünsche?“
„Ich will drei Masten, verdammt – und keinen Nachttopfhalter. Auf der ‚Empress‘ hatten wir …“
„Halt jetzt endlich dein Maul!“ schrie Hesekiel entnervt. „Du kriegst ja deinen dritten Mast! Meinetwegen kannst du auch zehn Masten kriegen und aus deiner Zwerg-Karavelle einen Wald bauen!“
„Also gut, Hesekiel, drei Masten“, schnaufte Old O’Flynn empört, „und weil du das verbockt hast, will ich noch eine Galionsfigur vorn am Bug haben.“
„Die hängen meistens vorn am Bug“, sagte Ramsgate trocken. Seine Augen zogen sich listig zusammen, und der alte Baumeister grinste ein wenig, aber das sah O’Flynn nicht, aufgebraßt wie er war.
„Wie soll sie denn aussehen?“ fragte Hesekiel lauernd.
„Na, eben ein Prachtweib, einen Arm weit in die See gereckt, knackig, vollbusig-mundig und richtig handig.“
„Das ist ja eine tolle Beschreibung“, sagte Hesekiel verwundert. „Was versteht man denn unter handig oder mundig?“
„Na, eben das Knackige, du verstehst schon. Sie soll auch ein paar – äh – na – eben Dings haben, wenn sie durch die See rauscht.“
„Busen meinst du.“
„Ja, zwei Stück natürlich.“
„Genügt nicht ein Busen?“
Die umstehenden Kerle begannen bereits zu wiehern wie die Hengste.
„Na ja, einen nebeneinander“, sagte O’Flynn, „genaugenommen also zwei einzelne.“
„Hatte die auf der ‚Empress‘ nicht drei?“
„Zwei“, sagte Old O’Flynn. „Ich habe sie persönlich abgeschrubbt, weil unser Moses noch zu jung dafür war. Das weiß ich genau.“
„Alles nach deinen Wünschen“, sagte Ramsgate. „Und nun troll dich, damit wir endlich weiterarbeiten können. Die Galionsfigur werde ich persönlich schnitzen.“
Das unmerkliche Grinsen in Ramsgates Gesicht entging dem granitharten Alten ebenfalls wieder. Er sah sich noch einmal an Bord um und verschwand wieder. Schließlich sollte das Schiffchen ja bald fertig werden.
So war das gewesen, nach Donegals Heimkehr von der Amerika-Reise.
Jetzt hatte das Ding endlich drei Masten, und unter einem Segelleinen befand sich, den Blicken aller verborgen, die Galionsfigur.
Old O’Flynn, der an diesem Morgen daran vorbeistrich, hätte zu gern mal einen Blick riskiert, hier und da ein bißchen gezupft und nachgeschaut, wie die Lady denn aussah. Aber es gab da eine alte Binsenweisheit, nach der man das nicht tun durfte, sollte das Schiff nicht auf ewig vom Pech verfolgt werden. Da Old O’Flynn aber ein vom Aberglauben und seltsamen Sprüchen geplagter Mensch war, hütete er sich davor, das Unheil herbeizulocken. Bis zum Stapellauf würde er noch warten müssen. Außerdem wollte er ja nicht gleich auf der ersten Reise mit dem Schiff abblubbern, nur wegen der Galionsfigur und so.
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