Aber der mühevolle Aufstieg entschädigte O’Flynn durch den einmaligen Ausblick, den er von hier genoß.
Das Wasser der Bucht schimmerte blau, der Strand war fast weiß, und er konnte von hier aus schräg durch die Einfahrt der Insel sehen.
Auf der Werft arbeiteten die Männer, und von hinten aus der Bucht schimmerte etwas grell herauf. Erst nach einer Weile merkte O’Flynn, daß es der Helm des Wikingers Thorfin Njal war, der grell in der Sonne funkelte.
Etwas langsamer kletterte der Alte weiter. Es war doch verdammt anstrengend, und die ersten Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn.
Er erreichte eine felsige Plattform, wollte ein bißchen verschnaufen und sah sich um. Während er den herrlichen Ausblick wiederum genoß, stellte er auch gleichzeitig fest, daß sich diese felsige Plattform vorzüglich eignen würde, um darauf eine Kneipe zu errichten. Nicht übel, dachte er, wie geschaffen dafür. Der Aufstieg war auch nicht so schlimm, ganz besonders für die anderen nicht, und später konnte man dann einen herrlichen Pfad mit ein paar Treppen in die Felsen schlagen. Na ja, und ein Geländer vielleicht auch. Doch, ganz bestimmt sogar, denn so manch einer würde sich festhalten müssen, wenn er wieder nach unten törnte. Vielleicht sollte man die Kerle auch abseilen, überlegte er.
Händereibend und immer noch schwitzend, ging er auf der Plattform weiter, die von einem weiteren Felsen abgeschlossen wurde. Dort ging es noch höher hinauf.
Old O’Flynn setzte sich mit dem Rücken gegen den hinter ihm ansteigenden Felsen und malte sich in Gedanken aus, wie es wohl sein würde, wenn die Kneipe erst einmal stand. Er befand sich jetzt ungefähr hundertsechzig Fuß hoch über der Bucht. Ein Klacks für die Kerle, die richtigen Durst hatten.
Ein paar Minuten verschnaufte er noch, bis der Atem wieder ruhiger wurde und seine Lungen nicht mehr stachen.
Dann stemmte er sich hoch, drückte mit der Hand hinter sich gegen die Felsenwand, um sich abzustützen, und wollte hoch.
Es war nicht viel Kraft dazu nötig, und er hätte darauf geschworen, daß er wirklich nicht hart zugedrückt hatte.
Und doch zerbarst die Felswand unter seinen haltsuchenden Händen und splitterte auseinander.
Old O’Flynn brachte vor Entsetzen nicht mal einen Fluch über die Lippen, denn ein großer Teil der Felswand krachte weg.
Die Felswand war keine Felswand, aber das wußte der Alte natürlich nicht. Das wußte überhaupt niemand auf der Schlangen-Insel, die immer wieder für Überraschungen gut war.
Es handelte sich um übereinandergeschichtete Holzstämme, die den Eingang in den Berg geschickt verbargen und haargenau eingepaßt waren. Im Laufe vieler Jahre aber hatten die Stämme Moos und Flechten angesetzt, so daß sie sich von dem Felsen durch nichts unterschieden.
Jetzt, morsch, brüchig, verfault und von den Moosen und Flechten durchdrungen, gaben die Holzstämme nach.
Old O’Flynn sauste rückwärts durch ein dunkel gähnendes Loch, segelte über ein paar grobbehauene Stufen und landete hart auf dem Boden.
Erst jetzt stieß er einen gotteslästerlichen und ellenlangen Fluch aus.
Dann stand er mühsam auf, immer noch laut schimpfend.
„Da soll mich doch der Satan braten“, knurrte er. Er rieb sich seinen Achtersteven und sah sich verblüfft und erstaunt um. Seine Augen wurden immer größer. „Das gibt’s doch nicht.“
Verdattert ging er ein paar der Stufen zurück und sah auf die morschen Holztrümmer, die mit heruntergefallen waren. Kopfschüttelnd stellte er fest, daß es wirklich faules Holz war. Früher einmal mußte diese Grotte – oder was immer das sein mochte – so verkeilt gewesen sein, daß man von außen nichts sah.
„Das gibt’s doch nicht“, sagte er noch einmal, „hier hat es schon andere Besucher gegeben.“
Ein paar Augenblicke stand er unschlüssig herum. Dann erwachte seine Neugier, und er humpelte tiefer in die Kaverne. Man konnte sehr bequem aufrecht darin gehen, ohne sich den Kopf zu stoßen.
Zu seinem allergrößten Erstaunen gab es in der Kaverne zahlreiche Nischen und fast glattbehauene Wände.
Old O’Flynn wurde das Gefühl nicht los, als hätte vor ihm schon einmal jemand den feinen Gedanken gehabt, hier eine Kneipe einzurichten. Nur hatte der Unbekannte das bereits geschafft, wie der Alte vermutete.
Das sieht ja fast so aus wie bei Diego in der „Schildkröte“ auf Tortuga, dachte er benommen. Nur ein wenig kleiner.
Er ging in die Nischen, klopfte die Wände ab und grinste über das ganze runzelige Granitgesicht. Er stand vor einer unglaublichen Entdeckung.
„Na, die werden aber die Klüsen aufreißen“, sagte er halblaut, „wenn die feststellen, daß meine Kneipe schon fast fertig ist. Der Kerl hätte auch gleich die Einrichtung dalassen können.“ Und das Bier auch, setzte er in Gedanken hinzu. Jetzt hätte er einen kühlen Schluck brauchen können.
Wie ein grinsender Kobold stand er da, betrachtete „sein“ Reich und malte sich bereits in Gedanken aus, wie die Kerle hier soffen, wenn erst einmal Bänke, Tische und Stühle in der Kneipe standen. Er suchte auch schon krampfhaft nach einem Namen, doch ihm fiel keiner ein. Ja, das war genau das, was ihm vorschwebte, das war ein Geschenk des Himmels, extra für Old O’Flynn vom Herrgott persönlich angefertigt und auf die Schlangen-Insel gestellt.
Jetzt packte ihn ein regelrechtes Entdeckerfieber, denn er sah, daß „seine“ Kneipe nicht auf den vorderen Teil beschränkt war, sondern noch tiefer in den Felsen führte.
Er wurde immer erregter, humpelte weiter, sah sich um und begann zu schnaufen. Das kann ja wirklich und wahrhaftig nicht wahr sein, dachte er benommen, denn nun tat sich am Ende der Kaverne ein höhlenartiger Gang auf. Er sah aus wie ein mannshoher Schlauch. Zwei Männer konnten gerade noch nebeneinander hergehen.
Dieser Höhlengang knickte mit seinem letzten Ende der Kaverne leicht nach Norden ab. O’Flynn humpelte aufgeregt hinein, durchquerte den Gang und fand sich zu seiner grenzenlosen Verblüffung in einer weiteren Kaverne wieder.
Das Licht fiel hier nur noch schummrig ein, und er peilte aufgeregt nach rechts und links, wo es ebenfalls wieder Nischen gab.
Dann stieß der Alte einen überraschten Schrei aus, als er dorthin blickte, wo die Kaverne offenbar endgültig zu Ende war und eine roh behauene Felsenwand sie abschloß.
Er zwinkerte ein paarmal und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Dann schloß er ungläubig beide Augen und war gespannt, ob das Bild wohl verschwand, wenn er sie wieder öffnete. Er öffnete nur das rechte Auge und blinzelte wieder. Aber das Bild blieb.
Direkt an der hinteren Felswand, am Abschluß der Kaverne, stand eine große eisenbeschlagene Holztruhe. O’Flynn schluckte krampfhaft, denn diese Truhe sah verlockend aus und war sozusagen die Krönung des Ganzen. Eine Zeitlang stand er wie erschlagen in der Kaverne, musterte die Truhe, kicherte leise, schüttelte den Kopf und wunderte sich.
Himmlische Überraschungen stehen mir bevor, dachte er, und damit hatte er recht, es standen ihm wirklich ein paar Überraschungen bevor, wenn sie auch nicht gerade himmlischer Art waren.
Jetzt gab es für ihn kein Halten mehr, denn die Truhe stand ganz sicher nicht leer herum. Und der Unbekannte hatte den Eingang auch nicht wegen einer leeren Truhe getarnt.
Da war was drin. Klunkerchen, Edelsteine, Gold, Perlen, Silber, die ganze Hinterlassenschaft eines Piraten, wie er vermutete.
Mit ausgestreckten Händen humpelte er auf die Truhe zu. Das war die nächste Überraschung. Der Klunkerkasten mit den Eisenbeschlägen blieb unerreichbar.
Unter Old O’Flynn, fast genau einen Schritt vor der Truhe, gab plötzlich der Boden nach, und der alte Donegal begab sich auf eine Höllenreise, die ihm noch lange unangenehm in Erinnerung bleiben sollte.
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