Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-765-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Davis J. Harbord
Der Mann in Havanna
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
4. Januar 1594, vormittags, nordwestlich der Turks-Inseln.
Die „Wappen von Kolberg“ unter dem Kommando Arne von Manteuffels segelte bei Wind aus Norden mit Südostkurs auf die Inseln zu. Vor zwei Tagen hatte sie die Schlangen-Insel, den Stützpunkt des Bundes der Korsaren, verlassen, um den Wachdienst zu versehen – eine Einrichtung, die vom Bund beschlossen worden war.
Der Wachdienst war eine Sicherheitsmaßnahme, um die Schlangen-Insel und Coral Island, wo die Timucuas ein neues Domizil gefunden hatten, gegen unliebsame Fremde abzuschirmen. Die letzten bösen Ereignisse im Zusammenhang mit der Black Queen und Caligula samt deren wilder Horde waren der Anlaß zu diesem gemeinsamen Beschluß gewesen.
Jeweils eins der Schiffe des Bundes hatte also die Aufgabe, für drei, vier Tage den Wachdienst zu übernehmen und die beiden Stützpunkte in einem weiten Bereich abzupatrouillieren. Abgesehen von der Schutzfunktion hatte dieser Wachdienst auch noch den nützlichen Nebeneffekt, die Mannschaften auf Trab zu halten, sie manövermäßig zu trainieren und aufeinander einzuschwören, denn von den wachfreien Schiffen sollten jeweils fünf bis zehn Mann auf das Wachdienst-Schiff übernommen werden, um es nicht unterbemannt auf Patrouillenfahrt gehen zu lassen.
Noch etwas würde sich bei diesen Fahrten günstig auswirken: jeder der Männer würde sich gründliche Revierkenntnisse aneignen. Denn wer sein Revier verteidigen wollte, der mußte es genau kennen. Vielleicht brauchte er eines Tages das Wissen, wo Sandbänke, Untiefen oder gefährliche Korallenriffs lagen, die einem möglichen Verfolger zum Verhängnis werden konnten. Tückisch waren die Gewässer um die Caicos- und Turks-Inseln sowieso.
Als ausgezeichneter Kenner des Reviers um die beiden Stützpunkte war Karl von Hutten mit an Bord der „Wappen von Kolberg“. Er konnte Arne von Manteuffel bei der schwierigen Navigation zwischen den vielen Inseln und Inselchen zur Seite stehen und ihn in die Besonderheiten des Reviers einweisen.
Karl von Hutten hatte die Lotsenaufgabe gern übernommen, gab sie ihm doch Gelegenheit, von Arne von Manteuffel etwas über das Land zu hören, das er nie gesehen hatte – Deutschland.
Er war der Sohn Philipp von Huttens und einer indianischen Häuptlingstochter. Sein Vater war der letzte Generalkapitän der deutschen Kolonie des Handelshauses der Welser in Venezuela gewesen. Seine Eltern waren von den Spaniern umgebracht worden – der Vater ein halbes Jahr vor der Geburt Karls, die Mutter ein Jahr danach. Das Kind war von einer indianischen Amme zum Stamm der Mutter gebracht worden. Später hatten die Spanier auch diesen Stamm ausgerottet, den kleinen blonden Bastard jedoch in ein Kloster bei Puerto Cabello gesteckt, wo spanische Mönche seine Erziehung übernahmen.
Als er siebzehn Jahre alt war, floh er aus dem Kloster und schlug sich zu den Araukanern durch. An deren Seite kämpfte er gegen die Spanier, bis er eines Tages bei einem Gefecht verwundet und von den Spaniern gefangengenommen wurde. Es waren Hasard und die Stammcrew, die Karl von Hutten befreiten und ihm damit das Leben retteten, denn von den Spaniern hatte er als Rebell und Guerilla-Kämpfer das Todesurteil zu erwarten.
Dieser Mann mit den blonden Haaren und den dunklen Augen in dem indianisch geschnittenen Gesicht war sich immer treu geblieben: seit er denken konnte, kämpfte er gegen die Spanier, gegen Unrecht und Unterdrückung. Bei den Seewölfen lernte er die Seemannschaft und den Kampf zur See. Später wurde er Partner Jean Ribaults auf der „Le Vengeur“, und jetzt zählte er mit zu den treusten Gefährten im Bund der Korsaren.
Es konnte nicht Wunder nehmen, daß Arne von diesem großen, breitschultrigen Mann, in dessen Adern das Blut der von Huttens floß, fasziniert war.
Ähnlich erging es Karl von Hutten, der bei Arne von Manteuffel die gleichen Eigenschaften und Charakterzüge erkannte, die er bei dessen Vetter Hasard so achtete und bewunderte. Daß Arne noch dazu aus dem fernen Deutschland stammte, der Heimat der von Huttens, empfand er wie eine freundliche Fügung des Schicksals.
Sie hatten sich viel zu sagen, diese beiden Männer an Bord der „Wappen von Kolberg“. Und sie waren beide wißbegierig.
Aber da war noch ein dritter Mann auf dem Achterdeck der „Wappen von Kolberg“, und auch in seinen Adern floß deutsches Blut: Oliver O’Brien, der eine deutsche Mutter und einen irischen Vater hatte. Dieser stämmige, grauäugige Mann mit dem kantigen, wettergebräunten Gesicht war stellvertretender Kapitän auf der „Wappen von Kolberg“, was ihn jedoch keineswegs daran hinderte, auch einmal kräftig an Deck mit zuzupacken, wenn für ein Manöver mehr Männer gebraucht wurden. Das wiederum wirkte sich günstig für die deutsche Crew aus, ihre englischen Sprachkenntnisse zu verbessern.
Hier lernte jeder von jedem, wobei für Arne von Manteuffel auch die spanische Sprache wichtig war, die er durch Karl von Hutten vervollkommnen konnte.
Für die Dauer der Patrouillenfahrt waren aus der Crew Jean Ribaults Donald Swift und Mel Ferrow auf die „Wappen von Kolberg“ zugestiegen, beide Engländer und beide harte und gute Seeleute mit ausgezeichneten Revierkenntnissen, die sie sich auf ihren Fahrten mit der „Le Vengeur“ erworben hatten.
Ferner hatte Philip Hasard Killigrew seine beiden Söhnchen auf die „Wappen von Kolberg“ abkommandiert und seinem Vetter Arne ans Herz gelegt, die beiden Bürschchen „ordentlich in die Pflicht zu nehmen.“
Sie fuhren als Moses an Bord, drückten sich vor keiner Arbeit, waren unheimlich fix und hatten Mumm in den Knochen. In der letzten Nacht hatte es „junge Hunde“ aus Norden geweht, ein ganz hübsches Stürmchen, vor dem sie ein paar Segel hatten bergen müssen. Da waren die beiden Kerlchen mit auf die Rahen hinausgerutscht und hatten mit angepackt, um die Segel aufzutuchen und mit Zeisingen festzubinden.
Die einzige Schwierigkeit mit den Zwillingen bestand darin, daß es fast unmöglich war, sie zu unterscheiden. Es gab absolut keinen äußeren Hinweis, wer Hasard und wer Philip war. Allerdings hatten beide dennoch ein unverwechselbares Merkmal, aber das verbarg sich unter ihren Hemden. Auf der rechten Schulter von Hasard war ein Haifischsymbol eintätowiert, bei Philip hingegen befand sich dieses Zeichen auf der linken Schulter. Diese Zeichen hingen mit der Entführung der beiden Jungen zusammen, als sie noch ganz klein gewesen waren. Eine ganz üble Geschichte war das. Der Seewolf hatte sie Arne erzählt, auch, wie er die beiden totgeglaubten Jungen durch einen Zufall vor sieben Jahren in Tanger wiedergefunden hatte.
„Eine heiße Brühe, Sir?“ fragte eine helle Stimme hinter Arne und riß ihn aus seinen Gedanken.
Er drehte sich um. „Gerne, Philip.“
Der Junge stand mit einem Tablett und drei dampfenden Kummen vor ihm und schaute zu ihm hoch, in seinen eisblauen Augen tanzten Teufelchen.
„Philip geht Ausguck im Großmars, Sir“, sagte er. „Ich bin Hasard.“
„Bist du sicher?“ fragte Arne etwas verdutzt.
„Absolut, Sir.“ Jetzt grinste das Bürschchen.
Arne seufzte und nahm eine Kumme entgegen. „Immer diese Verwechslungen. Kannst du mir mal verraten, wie ich euch auseinanderhalten soll?“
„Ich glaube, ich bin schon etwas größer als Philip, Sir“, erwiderte Hasard. „Ich bin ja auch älter als er.“
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