„Hey, das kannst du mit uns nicht machen!”, rief jemand.
„Es gibt viele Gründe, euch aus dem Weg zu räumen. Ich werde nicht in die Einzelheiten gehen”, sagte der Mann mit der schneidenden Stimme.
„Man kann doch über alles reden!”
„Dazu ist es zu spät.”
Die MPis knatterten los. Dreißig kleinkalibrige Schuss pro Sekunde feuerten aus ihren kurzen Mündungen heraus. Die Schreie der Sterbenden gingen in den Schussgeräuschen unter. Die Kugeln durchdrangen die zuckenden Körper, fetzten dann durch die dünne Holzvertäfelung und blieben anschließend in der dicken Isolierschicht stecken, mit der dieser Raum ausgekleidet worden war.
Ein paar Augenblicke lang leckten blutrot die Mündungsfeuer aus den Läufen der MPis.
Dann war endlich Stille. Auf dem Boden lagen ein paar regungslose, durch Kugeln zerfetzte Körper in ihrem Blut.
„Irgendwer muss die Sauerei noch wegmachen”, meinte einer der Bewaffneten.
„Dafür habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht”, sagte der Mann mit der schneidenden Stimme. „Etwas ganz besonders Endgültiges.”
Der dritte Mann im Raum stieg über die Leichen und sah sich um. Dabei hatte er den Lauf seiner MPi auf den Boden gerichtet. Es konnte ja schließlich sein, dass sich doch noch jemand rührte. Aber das war offensichtlich nicht der Fall.
Schließlich hatte er die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes erreicht. Er strich über die Vertäfelung, die an manchen Stellen regelrecht durchsiebt worden war. Er tickte mit dem Fingerknöchel gegen das Holz.
„Gut, dass da was hinter ist, was die Kugeln aufnehmen konnte”, meinte er. „Sonst hätten wir uns durch Querschläger selbst erschossen.”
„Ich sagte euch doch, ich habe an alles gedacht”, gab der Mann mit der schneidenden Stimme in einem unüberhörbar verächtlichen Tonfall zurück. „Dies war mal ein Tonstudio. Ist leider pleite gegangen. Und der Besitzer war mir noch einen Gefallen schuldig ...”
Jahre später...
„Ich bin Dr. Gerold M. Wildenbacher vom Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg. Lassen Sie mich bitte durch!” Wildenbacher drängte sich bereits an dem Polizeimeister vorbei. „Gehen Sie die Treppe hinunter! Der Aufzug ist nicht in Betrieb”, sagte dieser noch. „Kriminaloberkommissar Rasch von der Mordkommission erwartet Sie bereits.”
„Kann ich was dafür, wenn der Flieger Verspätung hat?”, knurrte Wildenbacher.
„Der hat ja ein sonniges Gemüt”, meinte ein anderer Polizeimeister leise an seinen Kollegen gerichtet. Aber er war nicht leise genug, denn Wildenbacher hatte mitbekommen, was er gesagt hatte.
„Was erwartest du?”, gab der angesprochene Polizist zurück. „Er ist ein Gerichtsmediziner.”
„Du meinst, wer seinen Job macht, muss ein Gemüt wie ein Schlachtergeselle haben?”
„Oder aus Bayern stammen.”
„Wieso?”
„Hast du nicht mitgekriegt, wie er redet?”
Wildenbacher war inzwischen die Treppe in den Keller hinuntergegangen. Er folgte einfach den Stimmen. Und die kamen eigenartigerweise aus der Tiefe.
„Ist da jemand?”, rief der. Dann ging er weiter und fand die Treppe, die zum unter dem Keller liegenden Stockwerk führte.
Er ging einen Flur entlang. Eine Frau im weißen Plastik-Overall des Erkennungsdienstes des Frankfurter Polizeipräsidiums kam ihm entgegen. Dass es eine Frau war, konnte man nur an Größe und Körperform erkennen. Die zum Overall gehörende Kapuze ließ nur das Gesicht frei.
„Sie sind nicht vorschriftsmäßig gekleidet”, sagte sie. „Wenn Sie einen Einweg-Overall ...”
„Ist Kriminaloberkommissar Rasch da hinten?”
Die Erkennungsdienstlerin seufzte genervt.
„Sie müssen dieser Wildenbacher sein, richtig?”
„Richtig.”
„Ich bin für einen Ihrer nächsten Fortbildungskurse zum Thema ‘Pathologie-Grundkurs für Forensiker’ angemeldet.”
„Ach ja, spendiert Ihnen das die Stadt Frankfurt?”
„Leider nicht. Ich werde die Gebühren selbst zahlen und auch noch unbezahlten Urlaub dafür nehmen müssen.”
„Sie werden sehen, dass mein Kurs das wert ist.”
„Das will ich hoffen.”
„Auch normale Erkennungsdienstler sollten wenigstens über Grundkenntnisse in meinem Gebiet verfügen. Dann wissen Sie wenigstens, wovon ich rede, wonach ich suche und was für unsereins möglicherweise wichtig sein kann.”
„Vielleicht beachten Sie jetzt auch mal, was wir so für wichtig halten und ziehen sich einen Overall an. Sie finden welche in dem Raum links. Gehen Sie dann noch ein Stück weiter und Sie kommen dorthin, wo die Knochen im Beton sind!”
Wildenbacher ließ sie einfach stehen. Er dachte gar nicht daran, sich von irgendeiner Erkennungsdienstlerin aus irgendeinem Polizeipräsidium irgendwelche Vorschriften machen zu lassen. Und darüber hinaus hörte er jetzt Stimmen, die seine gesamte Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment in Beschlag nahmen. Die eine Stimme erkannte er sofort. Der Hamburger Akzent trat so deutlich hervor, dass man ihn einfach nicht überhören konnte.
„FGF”, murmelte er. „Hätte ich mir ja denken können ...”
FGF war die Abkürzung für Dr. Friedrich G. Förnheim. Wie Wildenbacher war Förnheim Mitglied des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg. Ein ausgezeichneter Naturwissenschaftler, dessen chemische Analysen ebenso zu diversen spektakulären Ermittlungserfolgen des BKA beigetragen hatten wie seine ballistischen Untersuchungen. Manchmal kam es auf die Feinheiten und das Spezialwissen eines erfahrenen Forensikers an. Und genau das war Förnheims Domäne.
Wildenbacher und Förnheim respektierten sich gegenseitig. Daran änderten auch die Frotzeleien und kleinen Animositäten nichts, die es zwischen dem Bayer und dem Norddeutschen gab.
Die zweite Männerstimme kannte Wildenbacher nicht. Aber da Förnheim diesen Mann während des Gesprächs mit Kriminaloberkommissar anredete, war wohl anzunehmen, dass es sich um Kriminaloberkommissar Rasch vom Frankfurter Polizeipräsidium handelte.
Wildenbacher erreichte schließlich den Raum, in dem seine Dienste gefragt waren und blieb abrupt stehen.
„Hey, nicht einfach hier herumtrampeln!”, rief der Kriminaloberkommissar.
Wildenbacher nahm ihn nur kurz aus den Augenwinkeln heraus wahr, ebenso wie Förnheim. Beide trugen vorschriftsmäßig weiße Einwegoveralls inklusive Kapuze, so dass auch bei ihnen nur das Gesicht zu sehen war. Aber Wildenbachers Aufmerksamkeit war vollkommen von dem Anblick gefesselt, der sich ihm bot.
„Eine Hand im Beton”, murmelte er. „Das hat man nicht alle Tage.”
„Ich kann Ihnen versichern, dass noch nicht allzu viele sachunkundige Hände dran waren”, erklärte Förnheim. „Abgesehen von einem sympathischen Kerl mit einem Presslufthammer, der versucht hat, die alte Betondecke aufzubrechen.”
Wildenbacher blickte auf.
„Dann waren Sie auch nicht schnell genug hier, Fischkopp?”, meinte er.
„Ich bin kurz vor Ihnen eingetroffen”, gab Förnheim zurück. Den ‘Fischkopp’ überhörte er geflissentlich. „Ihr Kongress der forensischen Naturwissenschaften in München wird wohl auf meinen Beitrag zur Vortragsreihe verzichten müssen, denn das hier wird für uns beide eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.”
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