Die Übermacht war unendlich groß. Um ihr zu begegnen, schufen die vier Götter immer wieder Heere, die sie unterstützten. Krieger, die sich dem Stein erhoben und blindwütig gegen die Drachen stürmten. Manche dieser Krieger waren mit der Kraft einer dunklen Göttermagie aufgeladen, sodass sie einen Drachen töten konnten, sobald sie ihn auch nur berührten. Die meisten dieser trollähnlichen, im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Boden gestampften Kreaturen wurden bereits vernichtet, ehe sie ihren Drachenfeinden überhaupt nahe genug kommen konnten, um die Kräfte, die man ihnen eingegeben hatte, überhaupt wirksam werden lassen zu können.
Sie verbrannten in den Feuerstößen, mit denen die Drachen sie versengten. Oder wurden einfach von den mächtigen Pranken der Drachen erfasst und fortgeschleudert.
“So werden wir sie auf Dauer nicht besiegen”, meinte Blaakon schließlich resigniert. Der Gott der Ordnung war mit seiner Lichtbarke emporgestiegen, um sich einen besseren Überblick über das Schlachtgeschehen zu geben.
Die Horden der Drachen waren so zahlreich, dass man inzwischen glauben konnte, dass ganze Land bestünde nur aus aneinandergedrängten Drachenkörpern, die sich nach und nach erhoben, um gegen vier Götter in den Krieg zu ziehen. Ein einziges lebendiges Gewimmel war da unter ihnen und Schwaden von schwefeligen Dämpfen stiegen von dieser Drachenbrut empor.
Blaakon entschied sich dazu, einen mächtigen Zauber anzuwenden.
Einen Zauber, den er hatte vermeiden wollen, denn es gab keine Magie ohne Nebenwirkungen.
Und die häufigste Nebenwirkung jeglicher Magie war die Erschöpfung desjenigen, der sie anwendete.
Kräfte sind kostbar, so hatte Blaakons Maxime immer gelautet. Man durfte sie nicht verschwenden. Wer Kräfte unnötig verschwendete, ging das Risiko ein, dass irgendjemand den Augenblick der Schwäche bei einem erkannte - und ausnutzte.
Aber es gab keine andere Möglichkeit, erkannte Blaakon.
Die Drachen waren zu mächtig.
Der Kampf würde sich sonst über Äonen hinziehen und wahrscheinlich bis zur völligen Erschöpfung beider Seiten andauern.
Blaakon steckte sein Schwert ein und ließ das Zepter hinter seinem Gürtel verschwinden. Stattdessen streckte er seine Hände aus. Seine Augen begannen zu glühen. Seine Hände ebenfalls. Fledermausähnliche Geschöpfe - keines von ihnen größer als ein Finger - drangen in großer Zahl aus Augen und Händen des Gottes und bildeten einen Schwarm gleißender Fledertiere. Diese teilten sich mehrfach, um schon im nächsten Moment zu gleicher Größe wieder heranzuwachsen.
Innerhalb von Augenblicken wuchs dieser gleißende Schwarm daher unübersehbar an. Dann stürzte sich der Schwarm auf die Drachen. Dabei teilten sich die gleißenden Fledertiere immer wieder aufs Neue.
Die Drachen hatten diesem Schwarm nichts entgegenzusetzen.
Sie verbrannten unmittelbar nach einer Berührung mit diesen Wesenheiten.
Die Lichtfledertiere flogen oft einfach durch die massigen Drachenkörper hindurch und hinterließen eine Spur aus Brand und Drachenblut.
Der Schwarm teilte sich und bildete einen weiteren Schwarm. Und diese beiden Schwärme teilten sich schon nach kurzer Zeit ebenfalls, so wie auch jedes einzelne dieser schwirrenden Wesen, deren Flügelschläge so schnell waren, dass ein sterblicher ihre Gestalten nicht hätte erkennen können.
Die Anzahl der Drachen, die zur gleichen Zeit aus dem Erdreich emporwuchen, konnte mit dem Wachstum von Blaakons magischen Schwärmen nicht mithalten.
Die Drachenmacht wurde zusehends in ihre Schranken gewiesen.
“Mein Respekt vor dem Gott der Ordnung”, stieß Arodnap, der Gott des Chaos, bewundernd hervor, als er sah, wie sehr die Drachen innerhalb einer (zumindest gemessen an den Maßstäben der Götter) recht kurzen Zeitspanne dezimiert worden waren.
Arodnap stützte sich auf die Obsidiankeule.
Warum sich weiter verausgaben, wenn es nicht nötig war?, dachte er und sah zu, wie Blaakon von seiner schwebenden Lichtbarke aus der Drachenmacht Einhalt gebot.
Es dauerte noch eine geraume Weile, bis kein Drache mehr lebendig war. Bis zum Horizont häufte sich die Asche, zu der sie durch die Magie der Götter verbrannt worden waren. Hin und wieder war ein halber Kadaver übrig geblieben.
Ein gespenstischer Anblick.
“Die Aufgabe ist erfüllt”, sagte Taykor und steckte den Dreizack in das Futteral auf seinem Rücken. Der Gott der Finsternis öffnete sogar das Helmvisier.
Sein Gesicht lag allerdings trotzdem im Schatten.
Nur seine Augen glühten auf eine Weise, die Taykor eigen war.
“Ich glaube nicht, dass wir sie schon besiegt haben”, meinte Arodnap. Er kniete nieder und beugte sich dann zum Boden. Er legte ein Ohr an die Erde. Dann schlug er mit der Obsidiankeule auf den Boden. Diesmal bildeten sich keine Blitze, sondern sprühende Funken. Der Laut der dabei entstand war dumpf. “Da ist noch was”, glaubte er. “Es ist so, wie ich schon einmal zu euch gesagt habe: Wir können diese Drachen nicht alle besiegen. Das ist unmöglich. Es werden immer wieder aufs Neue einige von ihnen heranwachsen - und zwar schnell, dass wir mit dem Töten nicht hinterherkommen.”
Blaakon ließ seine Lichtbarke herabgleiten. Dann verließ der Gott der Ordnung dieses magische Gefährt sogar und stieg mit seinen Götterfüßen über den an vielen Stellen aufgebrochenen und rissigen vulkanischen Untergrund,.
Sein Blick blieb an einer Stelle haften.
Lichtstrahlen drangen aus Blaakons Augen und trafen auf das Gestein. Sie schmolzen es allerdings nicht auf, wie man es angesichts der außerordentlichen magischen Energien hätte erwarten können, die Blaakon zu eigen waren. Stattdessen drangen sie in die Tiefe vor.
Nach einigen Momenten verebbten die Strahlen aus Blaakons Augen.
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich,
“Ja, unser ungehobelter Freund Arodnap hat leider vollkommen Recht.” Blaakon deutete auf den Boden zu seinen Füßen. “Dort unter uns, in den tiefsten Tiefen, die man sich nur vorstellen kann, regt sich etwas.”
“Was genau hörst du?”, wollte Taykor wissen.
“Den Herzschlag von Wesen, die - selbst gemessen an uns Göttern - gewaltig sind”, gab Arodnap Auskunft. “Sie sind zu Abertausenden da unten unter der Erde. Und ihr Zorn auf uns kennt keine Grenzen.”
“Kein Wunder - wo wir so viele von ihnen getötet haben!”, meinte Blaakon.
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