Sie waren wie vom Erdboden verschluckt.
Kryll erschien dies als ziemlich merkwürdig.
"Wo mögen die Wächter geblieben sein?", wandte er sich an den Namenlosen, der vielleicht mehr wusste.
"Sie sind fort!", kam die Antwort. "Sie waren Geschöpfe des Ringes. Als du den Ring auf deinen Finger gesteckt hast, wurde er dein Sklave. Die Geschöpfe, die der Geist des Ringes schuf, verschwanden zwangsläufig."
Der König verstand nur zum Teil, was der Namenlose damit meinte, aber er fragte nicht weiter.
Der König war froh, als sie die Zitadelle schließlich verlassen hatten und sich wieder an Bord der GEEDRA befanden.
Der Ring glitzerte in einem unheimlichen Licht an seiner Hand und Kryll lächelte unwillkürlich.
Er war seinem Ziel ein gutes Stück nähergekommen.
"Kraynar!", rief er dem Steuermann der GEEDRA zu.
"Was wünscht Ihr, mein König?", kam es zurück.
"Wir brechen auf!"
"Wohin, mein König?"
"Es geht nach Uz!"
Krylls Stimme zeugte von Entschlossenheit.
Und das glitzernde Etwas an seiner Hand gab ihm zusätzliche Sicherheit.
Die nagenden Zweifel schienen verschwunden.
"Aber meint Ihr nicht auch, dass wir erst einmal frischen Proviant an Bord nehmen sollten?", meinte Kraynar dann. "Nach Uz ist es eine lange Reise..."
Doch der König schüttelte energisch den Kopf.
"Proviant können wir auch in Azhaven oder Shua kaufen. Wir müssen uns beeilen! Brechen wir sofort auf!"
Der Steuermann nickte gehorsam.
Die Taue wurden losgemacht und schon wenig später segelte die GEEDRA entlang der felsigen Nordküste von Thark.
Drittes Buch: DER SPIEGEL VON UZ
"Der Ring bedeutet Macht und der Spiegel bedeutet Wissen. Aber zu viel Macht führt am Ende zur Machtlosigkeit zurück und zu viel Wissen zur Torheit."
(Ausspruch von Urthon Ghardyr, einem Magier aus Naru)
Die GEEDRA segelte an den großen tharkischen Städten Cronth und Ralan vorbei und passierte dann den großen Fjord von Waico.
Sie erreichte das Land Az im Nordosten.
In Azhaven, der Hauptstadt, machte man kurz Halt, um Vorräte einzukaufen.
Dann ging die Reise weiter die azische Küste entlang, vorbei an der Stadt Shua.
Das Wetter war gut, die See spiegelglatt. Nur hin und wieder waren Wolken am Himmel zu sehen.
Die Tage gingen dahin, während die GEEDRA ihren Weg nach Süden fortsetzte. Kryll stand zumeist am Bug des Schiffes und blickte zum Horizont, so als könnte er es kaum erwarten, dass sie endlich Uz erreichten.
So stand er auch jetzt wieder dort und blickte mit in sich gekehrtem Blick hinaus.
Norjan trat in diesem Moment an den König heran und deutete auf den glitzernden Ring mit dem weißen Juwel.
"Habt Ihr die Macht des Ringes bereits auszuprobieren versucht?", erkundigte sich der alte Ritter.
Der König schüttelte den Kopf.
"Der Namenlose sagt, dass mir der Ring schon helfen würde, wenn es notwendig sei. Der Ring ist eine Art vernunftbegabtes Wesen..."
"Das ist alles?"
Kryll zuckte mit den Schultern.
"Ich habe den Eindruck, dass der Namenlose mir einiges verschweigt."
"Könnt Ihr ihn nicht zwingen, Euch alles zu sagen, was er weiß, mein König?"
Der Namenlose stand am Heck und wandte ihnen den Rücken zu. Kryll bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick.
Olkyr trat jetzt zu Kryll und Norjan. Er trug noch immer einen Verband, der die Wunde bedeckte, die der Locori ihm geschlagen hatte.
Er deutete zum Horizont.
"Seht dort!", forderte er.
Die Blicke der anderen folgten seinem Arm.
"Ein Schiff...", murmelte Kryll.
"Seht Euch das Wappen am Segel genau an", meinte Olkyr.
Kryll kniff die die Augen zusammen.
"Ein Drachen!"
Olkyr nickte.
"Ja, ganz recht! Ein siebenköpfiger Drachen!"
Die Männer waren einen Moment lang wie erstarrt.
Der siebenköpfige Drachen war das Symbol der Koroi, einem seefahrenden Volk, über das nicht viel bekannt war.
Nur eins ließ sich mit Sicherheit sagen: dass es sich um ein uraltes, nichtmenschliches Volk handelte.
Vor Äonen, als die Erde noch nicht von Menschen besiedelt gewesen war, hatten die Koroi mächtige Reiche besessen, aber davon waren nur noch vereinzelte Ruinen zu finden.
Es gab Stimmen, die behaupteten, dass die Koroi die Insel Dalara und Teile des Eislandes im Süden bewohnten. Aber das wusste niemand genau.
Die Letzten der Koroi waren zu Piraten geworden, die die See blutig färbten und überall gefürchtet waren...
"Verfluchte Koroi", murmelte Norjan furchterfüllt und wandte sich an Kryll. "Wir müssen etwas tun!"
Die GEEDRA glitt schnell über die See, aber das Koroi-Schiff folgte ihr. Es holte beständig auf und die Männer der GEEDRA blickten immer öfter mit Besorgnis zum Horizont.
Krylls Hand legte sich um den Schwertgriff.
Er hatte nicht die Absicht, einen Haufen dahergelaufener Koroi-Piraten zwischen sich und sein hochgestecktes Ziel treten zu lassen!
Er hatte den Ring von Kuldan und mit dem Ring würde er die Koroi besiegen können! Dieser Gedanke jagte wie ein greller Blitz durch seinen Kopf. Kryll betrachtete das funkelnde Etwas an seiner Hand.
Immer näher kam das Schiff der Koroi.
Kryll sah bleiche, vierarmige Gestalten.
Die Köpfe wurden gekennzeichnet von jeweils drei roten Augen.
Unterdessen war das Koroi-Schiff schon gefährlich nahe herangekommen. Es konnte kaum noch einen Zweifel daran geben, dass die GEEDRA geentert werden sollte.
Ring, warum tust du nichts?, fragten Krylls Gedanken, aber der Ring von Kuldan zeigte nicht die geringste Reaktion.
Die Koroi schwenkten ihre Schwerter und riefen den Männern der GEEDRA ihre Schlachtrufe in einer längst vergessenen Sprache zu.
Plötzlich fühlte Kryll, wie der Ring an seiner Hand zu pulsieren begann. Eine seltsame Kraft strömte von ihm aus und durchflutete seinen gesamten Körper.
"Was soll geschehen?", schien der Ring zu wispern.
Kryll starrte den Ring wie gebannt an.
"Was kannst du tun?", fragte Kryll zurück.
"Ich kann Illusionen erschaffen. Tödliche Illusionen, die in gewisser Hinsicht ebenso real wie Wirklichkeit sind. Wer sie nicht als Trugbilder erkennt, stirbt an ihnen!"
"Dann hetze deine Trugbilder auf die Koroi!"
Krylls Worte waren ein Befehl.
Und der Ring gehorchte.
Das Wasser spritzte plötzlich zu hohen, merkwürdig gestalteten Wellen auf - Wellen, die kein Wind der Welt je so hätte auftürmen können!
Aus den Wellen formten sich innerhalb weniger Augenblicke Gestalten, die entfernt an menschliche Körper erinnerten. Wie gläserne Dämonen sahen sie aus. In ihren Händen hielten sie durchsichtige Schwerter, die Sonnenlicht brachen.
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