Sievers schluckte. »Also gut.«
»Was?«
»Du hast mich verstanden, Hansen. Ich bin lieber ein lebender Deserteur als ein toter Soldat.«
»Dann gib Gas, Mann!«
Sievers schaltete in den ersten Gang und ließ den Unimog langsam anrollen. Er sah aus dem Augenwinkeln einen Mann auf das Tor zurennen. Offensichtlich war die Lücke, die immer noch durch die Leichen blockiert wurde, sein Ziel.
»Mensch, das ist Karls! Was macht der da?« Sievers beobachtete mit aufgerissenen Augen, wie sein Hauptmann auf die Leiche zurannte. Die Schützen nahmen währenddessen weiter ungerührt die Zombies unter Feuer.
»Der spinnt!« In Hansens Ausruf schwang so etwas wie Respekt mit.
Sievers stieß seinen Kameraden an. »Der Verrückte will wohl die Leichen mit der Hand aus der Lücke räumen.«
»Nee, guck mal! Der hat da etwas in der Hand. Der hat … Oh Scheiße!« Hansen erstarben die Worte im Mund.
»Handgranaten! Verdammt, der Irre steckt Handgranaten in den Leichenberg. Schnell weg!«
Sievers ließ die Kupplung kommen und drehte den Wagen mit quietschenden Reifen in die dem Tor entgegengesetzte Richtung. Vor ihm lag der gewundene Weg zum Hauptplatz des Stützpunktes. Hektisch schaltete er in den zweiten Gang und würgte dabei fast den Motor ab. Endlich kam das schwere Gefährt auf Touren. Sievers blickte ständig zwischen Weg und Rückspiegel hin und her.
»Komm schon, komm endlich!« flüsterte er dem störrischen Wagen zu, weil dieser nicht schnell genug an Geschwindigkeit gewann. Hinter dem Unimog erblühte plötzlich eine Blume aus Feuer, Rauch und Körperteilen. Die Druckwelle schubste den Lkw leicht an.
»Mein Gott! Sieh dir das an! So ein verdammter Oberhirni!«
Hansen sah erschüttert, was geschehen war. Die Granaten hatten die Leichen aus der Lücke befördert, doch ein Teil des Tores war mit weggesprengt worden. Sofort strömten die Horden der lebenden Leichen durch das so entstandene Loch. Das letzte, was Hansen sah, war einer der Schützen, der sich sein G3 in den Mund steckte und abdrückte. Dann zwang Sievers das Fahrzeug scharf in eine Kurve.
Bissiger Besuch
Der Unimog kam schleudernd und mit quietschenden Reifen vor dem Offizierskasino zum Stehen. Hansen fiel fast aus der Tür des Wagens, während Sievers beinahe elegant heraussprang. Beide rannten die Treppe zum Haupteingang hinauf.
»Alarm!«, schrien sie unisono, während sie durch die Gänge des Kasinos Richtung Speisesaal rannten. »Die Viecher kommen!«
Major Grundlich stellte sich den beiden in den Weg. »Was soll der Terz, Männer?«
Die Heraneilenden blieben schlitternd vor ihm stehen und nahmen Haltung an.
»Hauptgefreiter Hansen und Stabsgefreiter Sievers. Wir kommen vom Haupttor, Herr Major.«
Der Major hob eine Augenbraue. »Und?«
»Die verdammten Zombies sind durchgebrochen, Herr Major. Wir müssen sofort evakuieren.«
»Wieso sind Sie nicht bei ihrem Zug? Warum verteidigen Sie nicht das Tor?«
»Wir sind geschickt worden. Mun sollten wir holen. MunBunker 3. Hauptmann Karls wollte schwere Waffen. Wir waren im Unimog, gerade als die Zombies explodierten.«
»Was?«
Hansen kam seinem Kameraden zu Hilfe: »Wir waren gerade dabei zu wenden, als wir mitansehen mussten, wie Hauptmann Karls sich den Zombieleichen näherte, die das Tor blockierten. Er steckte Handgranaten in den Haufen und zündete sie. Alles flog in die Luft, auch das Tor.«
»Und dann kamen sie.«, ergänzte Sievers. »Sie haben sich förmlich in das Gelände ergossen.«
»Und die Situation jetzt?«
Sievers Augen blickten ins Leere, sahen jene letzte Szene, die sich im Rückspiegel abgezeichnet hatte.
»Alle tot«, brachte er schließlich hervor.
»Und der Gegner ist durchgebrochen?«
Sievers sah den Major an. »Verflucht, ja! Sie werden bald hier sein. Wir müssen den Stützpunkt räumen!«
Bewegung kam in den Major. Er ging an die Korridorwand und nahm den Hörer eines leuchtend roten Telefons auf, das dort hing.
»Major Grundlich hier. Status schwarz. Ich wiederhole: Status schwarz. Alle erforderlichen Maßnahmen sofort einleiten!«
***
Sandra zuckte zusammen, als von überall her die Sirenen heulten. Schweiß brach ihr aus. »Was bedeutet das?«
Der Arzt sah sie mit starrem Gesichtsausdruck an. »Die Zombies kommen.«
Sandra schlug die Hände vor den Mund. Mit aller Kraft hielt sie das panische »Nein!« zurück.
»Das kann aber doch nicht sein. Wir sind hier auf einem Militärstützpunkt. Wir sind hier in Sicherheit!«
»Wenn es etwas anderes wäre, wäre auch der Signalton anders. Das ist der Evakuierungsalarm.«
»Aber es könnte doch trotzdem etwas anderes sein.« Ihr flehender Blick traf auf das mitleidige Lächeln des Arztes.
»Nein.«
Die Schwere dieses Wortes ließ Sandra taumeln. Schnell sprang der Mann zu ihr und stützte sie.
»Alles in Ordnung?«
Sie schüttelte den Kopf. Das Namensschild des Arztes befand sich dicht vor ihrer Nase.
»Doktor Märtens, was ist geschehen?«
Sie hasste sich dafür, dass ihre Stimme sich klein und hilflos anhörte. Bis hierhin war sie gekommen, hatte die Gruppe zusammengehalten und sogar vergrößert. Sie hatte sich Sicherheit erhofft, und nun hatte sie der Wahnsinn der zugrunde gegangenen Welt wieder eingeholt.
»Sandra!« Atemlos kam Martin durch die Tür gestürmt. »Die verdammten Viecher sind durchgebrochen! Sie sind nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Wir müssen hier raus, los! Die Soldaten sitzen schon auf. Komm jetzt!«
Er zerrte an ihr, doch Sandra riss sich los. »Warte.«
Sie ging zu der Liege, auf der Gabi lag. Vorsichtig nahm Sandra sie in den Arm.
»Komm, Gabi, wir müssen weg.«
»Warum? Waren wir böse?«
»Nein, aber die … Knirscher kommen.«
Gabis Mund formte ein großes erschrockenes O. Sie begann zu zittern.
»Sch, sch, ganz ruhig. Wir schaffen das schon.«
Sandra hat recht, sandte Martin an Gabi. Die sah ihn an und suchte in seinem Gesicht nach der Zuversichtlichkeit, die sie in seinem Geist nicht gespürt hatte.
Schließlich nickte sie. »Ja, tun wir abhauen.«
Gabi stand von der Liege auf und ließ sich von Sandra und Martin stützen. Sie gingen aus der Krankenstation hinaus zum Hauptkorridor.
Hier herrschte organisiertes Chaos. Ein Hauptfeldwebel mit einem Klemmbrett kam zu ihnen.
»Sie beide«, er deutete auf Sandra und Martin, »gehen zu Fahrzeug fünf und sitzen dort auf.«
»Und was ist mit Gabi?«, wollte Sandra wissen.
»Mit wem?«
»Mit dem Kind hier.«
»Ach so. Das geht mit ein paar anderen Kindern zu Wagen sechs. Dort wird Jörg Weimer sie in Empfang nehmen. Bei dem soll sie sich melden.«
»Martin!« Gabis Stimme klang weinerlich und drängend.
»Kann ich nicht mit ihr gehen?« Martin sah den Unteroffizier fragend an.
»Nein. Und jetzt gehen Sie bitte schnellstmöglich zu den Fahrzeugen.«
Draußen dröhnten erste Schüsse. Gabi begann zu weinen.
***
»Los, los, los, rauf auf den Bock!«
Der Einweiser schubste Martin und Sandra förmlich in den Wagen. Sie suchten sich in dem stickigen Halbdunkel einen Platz zwischen den Soldaten, die dort mit Marschgepäck und G3 bewaffnet saßen.
»Das sieht nicht gut aus, oder?«, sprach Martin den neben ihm sitzenden Mann an.
»Wohl eher nicht.«
»Wissen Sie, wohin wir fahren?«
»Erst einmal weg von hier.«
»Und dann?«, versuchte Martin die Gesprächigkeit des Soldaten in Gang zu halten.
»Vermutlich Bonn.«
»Bonn?«
»Das ist unser Rückzugsraum.«
»Aha. Und was machen wir dort?«
Gerade als der andere antworten wollte, ruckte der Lastwagen an, und der Motorlärm machte ein weiteres Gespräch unmöglich.
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