Das tönt nach einer 600-jährigen Erfolgsgeschichte. Markiert «1415» den Anfang staatlicher Unabhängigkeit? Welche Bedeutung hatte die Reichsfreiheit in späteren Jahrhunderten? Und wie frei, unabhängig und souverän konnte und wollte ein eidgenössischer Ort vom 15. bis ins 19. Jahrhundert wirklich sein? Am Beispiel Glarus soll diesen Fragen nachgegangen werden.
Am Anfang dieses Bandes steht die Urkunde, mit der die glarnerische Reichsfreiheit am 22. April 1415 begann. Peter Niederhäuser richtet den Fokus dann auf das Konstanzer Konzil, an dem die Glarner Reichsfreiheit ausgestellt wurde und die Interessen des Königs, der Habsburger und der Eidgenossen aufeinandertrafen. Der Schreibende stellt «1415» in den glarnergeschichtlichen Zusammenhang und nimmt Bezug auf die traditionellen Glarner «Schicksalsjahre» 1352 und 1388. Ausgehend vom Glarner Chronisten und Staatsmann Aegidius Tschudi betrachtet Christian Sieber anschliessend die Beziehungen zwischen Glarus und dem Reich im 16. Jahrhundert. Thomas Maissen spürt den Ursprüngen glarnerischer Souveränität vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit nach, und André Holenstein erzählt die Geschichte der Glarner Unabhängigkeit als Verflechtungsgeschichte. Daniel Thürer schliesslich geht dem oft gebrauchten Begriff der Souveränität landes- und völkerrechtlich auf den Grund.
Die Tatsache, dass sich so ausgewiesene Kenner der Schweizer Geschichte dieser Thematik annehmen, verdanken wir einer öffentlichen Tagung, die der Historische Verein des Kantons Glarus im Herbst 2015 organisierte. Unter dem Titel «Glarus – souverän!? Unabhängigkeit und Freiheit in der Glarner und Schweizer Geschichte» trafen sich die Autoren dieses Bandes zum öffentlichen Austausch zu diesem bewusst weit gefassten Thema im Glarner Landratssaal.
Im Namen des Historischen Vereins des Kantons Glarus bedanke ich mich ganz herzlich: bei den Autoren für ihre Aufsätze und bei Susanne Peter-Kubli für die Redaktion. Dem Verlag Hier und Jetzt danke ich für die sehr angenehme Zusammenarbeit und dem Regierungsrat des Kantons Glarus für die finanzielle Unterstützung aus dem kantonalen Kulturfonds.
Rolf Kamm, Präsident des Historischen Vereins des Kantons Glarus Glarus, 22. April 2016
König Sigismunds Freiheitsbrief von 1415
Mit Anmerkungen von Rolf Kamm
Der Römische König Sigismund stellte im Rahmen des Konstanzer Konzils 1415 eine ganze Reihe von Urkunden aus. Eine davon richtet sich an «ammann und landlüte» von Glarus. Der Glarner Gelehrte Aegidius Tschudi versah die Rückseite des Dokuments im 16. Jahrhundert mit der Notiz «küng Sigmunds fryheit». 1
Die Urkunde gliedert sich in sechs Teile. Ganz am Anfang wird der Aussteller, König Sigmund oder Sigismund von Luxemburg, genannt. Das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs verweist anschliessend auf die Unterstützung der reichstreuen Glarner, insbesondere gegen den «ungehorsamen» Habsburger Herzog Friedrich von Österreich. Dafür gewährt Sigismund «denen von Glarus» das privilegium de non evocando: die Befreiung von allen auswärtigen Gerichten, auch von den Hof- und Landgerichten, ausser für den Fall, dass der Glarner Ammann einem auswärtigen Kläger das Recht verweigern würde. Weiter überträgt der König «Ammann und Landleuten» den Blutbann, also das Recht, über Leben und Tod zu richten. Und schliesslich befreit Sigismund die Glarner von allen Steuern und Abgaben. Die Habsburger verlieren damit und für alle Zeiten alle Rechte und Ansprüche im Glarnerland. Namentliche Erwähnung findet aber einzig der sogenannte Lämmerzehnt. Die Urkunde schliesst mit Ort und Datum ihrer Ausstellung. 2
Abb.1 Mit der Urkunde vom 22. April 1415 befreit König Sigismund Ammann und Landleute von Glarus – in Anbetracht ihrer treuen Dienste für das Reich und insbesondere gegen Herzog Friedrich von Österreich – von den Reichsgerichten und verleiht ihnen den Blutbann. (LAGL AG III Kl. 51.14).
«Wir Sigmund von Gotes genaden Römischer künig, tzuo allen tzyten merer des richs und tze Ungern, Dalmacien, Croacien etc. künig, 3bekennen und tuon kund uffenbar mit disem brieve allen den, die in sehen oder hören lesen, 4das wir angesehen und gütlich betrachtet haben die getrüe, willige und nütze dienste, die unser und des richs lieben getrüen ammann 5und landlüte gemeinlich des lands und tales tzuo Clarus, vordern, 6unsern vorfarn an dem riche, Römischen keisern und künigen getan haben, sy uns und dem riche tegelichen tun und fürbass 7tun sollen und mögen in künftigen tzyten, sunderlich die hilffe, dienst und bystand, di si uns gegenwertigleich wider hertzog Friedrichen von Österreich, unsern und des richs ungehorsamen und widerwertigen tzu tun und tzu volleisten 8willig sin, und uns die tzu tun und tzu volleisten tzugesagt haben. Und haben in dorumb mit wolbedachtem muote, gutem rate unser und des richs fürsten, edeln und getrüen, und rechter wissen dise genade getan, das nymant derselben von Clarus und die tzu in 9in dem tal doselbs gehören, einen oder menigern 10für unser und des richs hofgerichte oder ander lantgerichte oder gerichte laden oder fürtreiben oder sy doran beklagen solle oder möge, sunder wer tzu solhen einem oder mer landlüten tzu Clarus ichts 11tzu klagen oder tzu sprechen hab oder gewinne, der sol recht suchen und nemen für dem amman tzu Clarus und sich daselbs an recht benügen lassen, es wer dann das dem klager oder klagerynn daselbs tzu Clarus von dem amman das recht geverlich vertzogen oder versagt oder verseumt wurde, so mögen sy recht vor unserm und des richs hofgerichte suchen und vordern, als oft in des not ist, und gebieten ouch dorumb unserm und des richs hofrichter und allen und jeglichen lantrichtern und richtern, die ytzund 12sin oder hernach werden, ernstlich und vestiglich mit disem brieff, das sy die vorgenanten von Clarus an den vorgeschriben iren genaden und friheiten fürbassmere nit hindern oder irren, oder sy doruber laden, fürtriben oder urteil uber sy sprechen oder sprechen lassen in dhein wis. Ouch haben wir den vorgenanten von Clarus verlihen und leihen in von Römischer kunigklicher macht mit diesem brieff den ban uber das blut tzu richten, noch dem rechten, uber sich und uber die tzu in gehören in dem tal Clarus, also das sy denselben ban von uns oder unsern nachkomen an dem rich fürbassme tzu lehen emphahen sollen also oft sich das geboret 13. Und wann wir die vorgenanten von Clarus ytzund tzu uns und dem heiligen Römischen rich empfangen und uffgenomen haben, empfahen und nemen sy ouch uff in kraft diss briefs bi uns und dem riche ewiglich tzu beliben und dovon nit tzu komen, als das in andern unsern küniglichen maiestatbrieven, allen landlüten und steten in Switz 14vormals gegeben, clerlicher 15beschriben ist. Dorumb setzen und sprechen wir von Römischer küniglicher macht, das sy dem vorgenanten hertzog Friderichen von Österreich noch sinen erben oder nachkomen fürbasme ewiglich von keinerley rechten, tzinsen, gülten 16, renten, pfendern, lehen, tzehenden, stewren, beden 17und mit namen den lemertzehend, den Rüeden Schultheiss und Swartzritter sin bruder genant die Kilchmatter von dem von Österreich tzu lehen empfahen hatten, 18oder anderley sache oder vorderunge wegen, die sy uff denselben von Clarus gehabt haben oder meinen tzu haben, damit nit gehorsam noch gewertig sin noch in die geben oder raichen sollen, in dheinerley wis, wann wir si dovon erledigt und quitt 19gesagt haben, erledigen und quitten sy ouch dovon mit diesem brief und meinen und wollen, 20das sy daby gerulich 21und on irrung beliben sollen, von allermeniglich ungehindert. Mit urkund diss briefs, versiglt mit unser kuniglichen maiestat anhangenden insigel, geben tzu Costentz nach Cristi geburd viertzenhundert jar und dornoch in dem fünftzehenden jaren, des nächsten montages vor sant Georgen tag, 22unser riche des Ungerischen etc. in dem neundtzeintzigsten und des Römischen in dem fünften jaren. Per Wigelis Schenk de Geyrn Jodocus Rot Canonicus Basiliensis» 23
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