Ein risikoreicher Einsatz.
Selbst das Handy funktionierte in weiten Teilen der unterirdischen Labyrinthe nicht, weil die vielen Meter Beton und Erde den Kontakt zum Funknetz unterbrachen.
Und jetzt stand ich einigen Männern gegenüber, die mit hoher Wahrscheinlichkeit an diesen bestialischen Menschenjagden beteiligt waren...
Und wie es schien, würde es mir nicht sehr viel besser ergehen, als all denen, die zuvor schon ihre Wege gekreuzt hatten.
Ich überlegte fieberhaft.
Sinnlos, jetzt die Pistole aus dem Parka herauszureißen.
Mit Glück hätte ich einen oder zwei der Maskierten ausschalten können. Spätestens dann wäre ich von einer Bleigarbe so durchsiebt worden, dass es den Kollegen der Gerichtsmedizin später schwergefallen wäre, mich zu identifizieren.
Sie packten mich, drückten mich gegen Beton.
Ihre Hände wanderten durch meine Taschen. Sie nahmen die P226, meine Taschenlampe und was ich sonst noch so an Kleinigkeiten in den Taschen hatte.
"Hey, ist er nun ein G-man oder nicht?", krächzte der Heisere.
Diese Stimme...
Ich schwor mir, sie nicht zu vergessen.
Jemand versetzte mir einen furchtbaren Fausthieb, der mich ächzen ließ. Ich bekam einen Augenblick keine Luft mehr.
Einer der Kerle packte mich. Ich wurde zu Boden geschleudert und fiel in die stinkende Brühe.
"Hey, immer vorsichtig", zischte der Heisere. "Wenn wir ihn töten, dann machen wir das auf die saubere Weise. So dass nichts beschädigt wird, was man noch verwenden kann..."
"Er hat nichts bei sich", meldete sich der andere.
"Keinen Ausweis, kein Führerschein..."
"Genau wie die beiden, die wir an dem Lagerfeuer erledigt haben..."
"Könnte sein, dass uns da jemand zum Narren halten wollte..."
"Die Pistole ist jedenfalls eine Cop-Waffe!"
"Die kann jeder im Laden kaufen!"
Der Heisere trat auf mich zu.
Er leuchtete mir mit meiner eigenen Taschenlampe direkt ins Gesicht, so dass ich völlig geblendet war.
"Wer bist du?", zischte er.
"Ich heiße Billy", log ich.
"Wie lange lebst du schon hier unten bei den Ratten."
"Ein halbes Jahr."
Der Schlag kam ohne Vorwarnung und traf mich mitten im Gesicht. Das Blut schoss mir aus der Nase, während ich zu Boden ging.
"Du bist ein gottverdammter Lügner", knurrte es mir entgegen. Ich erhob mich wieder. Mein Parka war tropfnass von dem schlammigen Abwasser.
"Was wollt ihr von mir?", fragte ich.
Wieder strahlte mich eine Lampe an. "Er ist der Richtige", stellte der Heisere dann fest. "Special Agent Trevellian. Der Drei-Tage-Bart täuscht etwas..."
Diese Männer waren von Anfang an davon ausgegangen, einen G-man zu fangen, und ich zermarterte mir das Hirn darüber, wie sie überhaupt auf diesen Gedanken kommen konnten. Milo und ich waren bei dieser Undercover-Mission extrem vorsichtig gewesen.
Die Tatsache, dass sie sogar meinen Namen wussten, machte mich völlig perplex.
In was für eine verdammte Todesfalle war ich hier nur hineingeraten?
Und wer hatte sie aufgestellt?
Einer der Kerle setzte mir den Lauf einer MPi an den Kopf.
"Wo ist dein Partner, du Ratte?"
"Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst..."
"Ich dachte, du wärst vernünftig, G-man!"
"Ihr werdet mich doch so oder so umbringen. Ganz gleich, was ich sage..."
"Man kann auf sehr unterschiedliche Weise sterben..."
Milo hielt die P226 in beiden Händen, während er durch das kniehohe Wasser watete. Es stank erbärmlich. Die Abwasserkanäle New Yorks waren nichts für Menschen mit empfindlichen Sinnen.
Milo Tucker hörte die Stimmen in dem dunkle Betongewölbe widerhallen. Im Schein einer Taschenlampe sah er für den Bruchteil eines Augenblicks das Gesicht seines Kollegen Jesse Trevellian!
Vorsichtig schlich Milo voran.
Seine eigene Lampe musste er ausgeschaltet lassen, um nicht sofort eine Zielscheibe abzugeben. Das bedeutete, dass er fast wie ein Blinder agierte.
Milo hatte die Schüsse gehört. Die waren durch das unterirdische Tunnelsystem unter dem Big Apple buchstäblich meilenweit zu hören. Natürlich kannte er den Fluchtweg in die Kanäle und inzwischen wusste er auch gut genug hier unten Bescheid, um über Schleichwege möglichst schnell dorthin zu gelangen, wo er mich höchstwahrscheinlich treffen würde...
Unglücklicherweise kannten sich die Maskierten hier unten mindestens ebenso gut aus.
Milo hörte die Stimmen der Unbekannten.
Die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen waren zu sehen.
Ganz ohne Licht funktionierten auch Nachtsichtgeräte nicht.
Und hier unten herrschte ansonsten das, was man als absolute Finsternis bezeichnen konnte.
Milo arbeitete sich vorsichtig weiter voran.
Er konnte im Augenblick nichts tun, das war ihm klar. Es wäre reiner Selbstmord gewesen, jetzt einzugreifen.
Er musste auf seine Chance warten...
Vorsichtig pirschte er sich näher.
Ein dumpfes Geräusch drang herüber.
Und ein unterdrücktes Stöhnen.
"Lassen wir das Theater", knurrte einer der Männer. "Machen wir den Kerl kalt, ob er nun ein G-man ist oder nicht!"
"Genickschuss?"
"Ja, aber halt die Waffe gerade, sonst gibt es wieder 'ne Sauerei, und wir bekommen nichts mehr für die Netzhäute seiner Augen..."
Milo packte die P226 mit beiden Händen.
Er war zu allem entschlossen.
Sekunden blieben ihm...
Und dann hallte seine heisere Stimme durch das Kanalgewölbe.
"Hier spricht das FBI! Sie sind umstellt! Waffen fallenlassen!"
Durch den Halleffekt klang Milos Stimme sehr verfremdet. Ich erkannte sie dennoch sofort wieder.
Milo klang so gewaltig, als hätte er durch ein Megafon gesprochen.
Die Lichtkegel der Maskierten wanderten suchend an den Betonwänden entlang. Einen Augenblick lang herrschte komplette Verwirrung. Und zweifellos war das Milos Absicht gewesen.
Zwei Kerle hielten mich an den Armen.
Ich befreite den linken Arm mit einem Ruck und ließ die Faust zur Seite schnellen. Sie landete einen Sekundenbruchteil später mitten in einem Gesicht. Ich hörte den schmerzerfüllten Aufschrei, während ich gleichzeitig mit dem zweiten Bewacher niederstürzte. Ich versetzte ihm dabei einen schnellen Hieb.
Wir fielen zusammen in die schlammige, stinkende Brühe.
Über uns hinweg pfiffen die Kugeln durch die Dunkelheit.
Immer wieder blitzte es auf. Die Maskierten waren von Panik erfüllt. Sie schossen wild umher. Irgendwo in der Ferne, von der anderen Seite des Kanals her, blitzte eine einzelne Waffe mehrfach auf. Eine schwache Antwort auf die gebündelte Feuerkraft der Maskierten. Aber immerhin reichte es, um sie durcheinanderzubringen. Und außerdem wurden sie so dazu gezwungen, sich in Deckung zu begeben.
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