Mrs. Linsow steht noch an der gleichen Stelle wie vorher. Sie kommt auf mich zu und legt mir ihren Arm tröstend um die Schultern. Ich bin ihr dankbar dafür, dass sie nichts sagt. Sie zeigt mir meine Sachen, mein Zimmer und die Mädchen, mit denen ich mir fortan nun ein Zimmer teilen soll. Ich registriere nebenbei, dass es ein 8er Zimmer ist und bis jetzt erst fünf Mädchen da sind. Sie sehen eigentlich alle ganz okay aus. Alle lächeln mich freundlich an. Doch ich lächele nicht zurück, sondern packe wortlos meine Sachen aus und lege mich dann mit einem Buch auf mein Bett. Ich tue nur so als würde ich lesen, damit man mich in Ruhe lässt. Ich will keine blöden Fragen beantworten und auch keine neuen Freundschaften schließen. Ich will einfach nur weg von hier. Aber ich würde Zuhause nur noch einsamer sein. Und das ist dann noch viel schlimmer. Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, kommen zwei weitere Mädchen ins Zimmer gestürmt.
Unauffällig schiele ich an meinem Buch vorbei auf die sieben Mädchen, die alle um den Tisch herumstehen. Sie unterhalten sich so lebhaft, dass sie mich gar nicht bemerken und so kann ich sie alle eingehend mustern. Die Namen habe ich vorhin von Mrs. Linsow erfahren.
Ganz außen und zum Fenster hin steht Linda. Sie hat feuerrote Haare, viele Sommersprossen, eine etwas füllige Figur, schmale Lippen und eine kleine Hakennase. Sie scheint ganz in Ordnung zu sein. Ich glaube, ihr einziger Nachteil (für sie selbst) könnte sein, dass sie eine Schwäche für Schokolade hat.
Rechts von ihr steht Taylor. Sie scheint irgendwie ein wenig verrückt drauf zu sein. Soweit wie ich es mitgekriegt habe jedenfalls. Taylor hat schwarze Haare mit pinken Strähnen (etwa hüftlang), ihre Gesichtsfarbe ist fast schneeweiß. Außerdem hat sie eine kleine Stupsnase, einen kleinen Mund und soll aus Frankreich kommen.
Neben Taylor steht ein ziemlich kleines Mädchen mit einer Brille. Ihre kleinen Augen scheinen durch die Brillengläser überdimensional vergrößert zu werden. Sie hat kurze dunkelbraune Haare, die ihr im Moment wirr vom Kopf abstehen. Ich glaube, sie ist ziemlich schüchtern. Ihr Name ist Robin.
Daneben steht das Mädchen, welches die Wortführerin der Unterhaltung zu sein scheint. Liane. Ein sehr großes Mädchen (jedenfalls für ihre siebzehn Jahre), mit wahnsinnig langen blonden Haaren. Sie hat brombeerfarbene Augen, vier Sommersprossen auf der Knubbelnase und einen breiten ausdrucksstarken Mund. Sie scheint ziemlich beliebt zu sein.
Rechts neben Liane sitzt ein Mädchen, aus der ich einfach nicht schlau werde. Sie hat rot – schwarze Haare, die ihr bis zur Taille reichen, grüne mandelförmige Augen, eine Stupsnase und traurig nach unten gezogene Mundwinkel. Irgendwie sieht alles an ihr ziemlich traurig aus. Die Augen, ihre Gestik, Mimik und der ganze Körper. Sie beteiligt sich auch nicht am Gespräch der anderen, sondern schaut wehmütig aus dem Fenster. Ihr Name ist Bella und so sieht sie auch aus: „Schön!“
Ja, und daneben sitzen die beiden Mädchen, die als letztes ins Zimmer gestürmt kamen. Jenny und Mira sind Zwillinge. Sie sehen wirklich vollkommen gleich aus. Weißblonde kurzgeschnittene Haare, hellblaue Augen, kleine zierliche und spitze Nasen, rote Wangen und Schmollmünder.
Das sind also all die Mädchen, mit denen ich mir von jetzt an ein Zimmer teilen soll.
Die Unterhaltung am Tisch wird immer hitziger. Ich würde zu gerne wissen, worüber die bunte Truppe redet.
Mit einem Mal bricht die Diskussion ganz ab und alle, außer Bella, drehen sich zu mir um. Liane hat es sich anscheinend gerade zur Aufgabe gemacht diejenige zu sein, die mir die Fragen stellt.
Sie räuspert sich und fragt: „Du bist doch gerade erst hier angekommen, oder?!“
Als ich nicke spricht sie weiter.
„Kannst du uns dann vielleicht sagen, ob du davon etwas weißt, dass ab jetzt auch Jungs in diesem Internat aufgenommen werden?“
„Sorry, aber dabei kann ich euch nicht helfen. Ich weiß es nicht, aber vielleicht ist es ja auch bloß ein dummes Gerücht.“
In dem Moment, wo Liane mich das fragt, wird mir klar was das bedeuten würde. JUNGS! Hier in einem Mädcheninternat. Ein Albtraum. Obwohl, vielleicht könnte es ja doch ganz witzig werden, vorausgesetzt es sollte stimmen. Seltsamerweise fühlte ich mich jetzt irgendwie besser. Daran, dass ich keine Freundinnen haben wollte, denke ich gar nicht mehr. Was mich in dem Moment auch nicht weiter stört.
Ich klettere vom Bett herunter, setze mich auf den letzten noch freien Stuhl und beteilige mich an dem weiterlaufenden Gespräch. Nach einiger Zeit kommen wir zu dem Entschluss, dass wir vorher, bevor wir beginnen Pläne zu schmieden, erst einmal ausspionieren, ob an der ganzen Geschichte überhaupt etwas dran ist.
Jenny und Mira rennen los, um sich zu erkundigen. In der Zwischenzeit stelle ich mich den anderen Mädchen vor. Als dann die Zwillinge wieder ins Zimmer stürzen und keuchen: „Sie kommen morgen um 15.00 Uhr“, fangen wir an uns Gedanken zu machen, wie wir den Jungs einen denkwürdigen Empfang bereiten können.
Zweites Kapitel
„Stellt euch schön in einer Reihe auf, Kinder!“
Total aufgeregt läuft Mrs. Linsow mal hierhin, mal dorthin und schreit uns Anweisungen entgegen. Vor lauter Nervosität hat sie kleine rote Flecken auf den Wangen. In genau fünf Minuten sollen die neuen Mitschüler ankommen. Mrs. Linsow hat uns stundenlang gepredigt, wie wir uns zu verhalten haben. Als Erstes müssen wir uns einzeln vorstellen und jedem Mädchen wird ein Partner zugewiesen, da am Abend noch eine Tanzveranstaltung sein soll. Zweitens müssen wir rücksichtsvoll, freundlich und zuvorkommend sein. (Aber natürlich, immer doch.)
Wir haben uns alle ziemlich herausgeputzt.
Taylor trägt lange blattförmige Ohrringe, ein nachtschwarzes taillenbetonendes Kleid und hohe schwarze Schnürstiefel. Ihr Gesicht hat sie sich ganz weiß gepudert. Sie sieht aus wie eine Hexe, aber eine echt schöne Hexe!
Linda hat sich für ein rotes Kleid mit golddurchwirkten Streifen entschieden, die ihr kleines Figur Problem gut verbergen. Ihre Haare sind zu einem extrem kurzen Pferdeschwanz gebunden worden.
Robin trägt heute ausnahmsweise mal keine Brille, sondern Kontaktlinsen. Sie hat ein blau-grünes bodenlanges Kleid mit aufgenähten Rüschen an. Ihre Haare liegen glatt am Kopf an.
Bella, finde ich, sieht am schönsten aus. Ihr Kleid ist ein wahrer Traum aus weißschimmernder Seide. Das Kleid hat einen weiten schwingenden Rock, ein tief ausgeschnittenes Oberteil mit Trompetenärmeln und einem sexy Rückenausschnitt.
Mira und Jenny sind wieder vollkommen gleich gekleidet. Gelbe, ziemlich kurze Röcke und rote kurzärmelige Tops. Jede von ihnen hat jeweils an den Handgelenken und Fußknöcheln einige silberne, klingende Armreifen. Außerdem tragen beide die gleichen Turnschuhe.
Ich selbst habe mir nicht besonders viel Mühe mit meinem Aussehen gegeben. Ein bisschen Make-up, aber nicht zu viel. Ich trage ein schwarzes Minikleid und große sternenförmige Ohrringe.
Auf einmal wird die Eingangstür schwungvoll aufgestoßen und in einer Reihe kommen die Jungs herein. Einige davon sehen ja gar nicht mal so übel aus, andere dagegen… Naja.
Hektisch begutachte ich noch einmal mein Outfit und als ich aufblicke, bleiben meine Augen am Gesicht eines Jungen hängen, der mir plötzlich das Herz höherschlagen lässt. Er hat dunkelblaue Augen, ein unheimlich süßes Lächeln und kurze blonde Haare, die vorne an der Stirn hoch gegelt sind. Er ist ungefähr einen Kopf größer als ich.
Mrs. Linsow teilt in diesem Moment jedes Mädchen einem Jungen zu. Ich kreuze die Finger hinter dem Rücken und hoffe, dass ich diesem supertollen Typen zugewiesen werde. Zur Sicherheit schließe ich noch zusätzlich die Augen. Schon höre ich meinen Namen, höre einen Jungennamen, reiße die Augen auf und vor mir steht…
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