Die Holmans hatten dieselbe Scheiße abgesondert.
Ich schaute Colleen kurz an, dann konzentrierte ich mich wieder auf mein Handy. Ich versuchte ein Spiel hinzukriegen, aber es klappte nicht.
»Sharyna! Pablo!«, rief Colleen.
Pablo kam als Erster angeflitzt. Er kicherte immer noch. Dann folgte Sharyna in die Küche, als würden sämtliche Paparazzi der Welt hier auf sie warten. Voll das nervöse Grinsen und Seitenblicke. Sie hielt die Arme hinter dem Rücken und das Kinn hoch erhoben.
»Hi, Naomi«, grüßte sie mit erwachsener Stimme.
Ich setzte ein Lächeln ab. Ich fand ihre langen Zöpfchen toll. »Du weißt ja, wie ich heiße«, sagte ich. »Alles klar bei dir? Spitzenzöpfchen übrigens.«
»Danke«, erwiderte Sharyna.
Ich glaube, sie wurde ein bisschen rot, aber sicher war ich mir nicht.
»Darf ich vorstellen: Sharyna«, lachte Tony.
Louise schmunzelte und nahm noch einen Keks. Ich betrachtete die Falten um ihre Augen. Anscheinend hatten ein paar von den anderen in ihren Akten sie so gestresst, dass ihr Ballon kurz vorm Platzen war.
Colleen schenkte mir Kaffee ein. Sie lachte nervös. »Ist er so in Ordnung, Liebes?«
Ich probierte ihn. Hätte ein bisschen süßer sein können.
»Geht schon«, sagte ich. »Ein Schokokeks wäre dazu nicht verkehrt gewesen.«
Während die Erwachsenen redeten, Kekse futterten und meine Akte durchgingen, erlaubte ich Pablo und Sharyna, sich mein Handy anzuschauen. Dann wurden sie zum Geschirrspülen verdonnert. Als Pablo den letzten Teller abgetrocknet hatte, wandte Colleen sich an mich.
»Bist du bereit für einen Rundgang?«
Einen Rundgang? Das Haus ist ja ganz schön, aber der Buckingham Palace ist es nicht.
»Denke schon«, sagte ich.
»Dann mir nach«, erwiderte Tony. Er nahm meine Taschen.
Wir ließen Louise und Colleen in der Küche sitzen, Tony führte mich die Treppe hinauf in mein Zimmer, Sharyna und Pablo folgten uns. Ich hielt mein Erdmännchen ganz fest. Tony öffnete die Tür und ich trat langsam vor. Blieb lange im Türrahmen stehen. Betrachtete das Doppelbett. Das ist neu. Normalerweise bekomme ich kein Doppelbett. Tony kramte neben mir herum. Sharyna und Pablo blieben draußen im Flur.
Gar nicht mal schlecht. Mal sehen, wie sich mein Leben von hier aus weiterentwickelt.
Ich legte mein Erdmännchen sachte zwischen die Kissen. Dann sah ich mir die Möbel an. »Wo ist der Fernseher?«, fragte ich.
»Das letzte Mädchen, das bei uns war, hat nicht viel ferngesehen«, erklärte Tony. »Stattdessen hat sie jede Menge Psychothriller gelesen.«
Ich trat zum Fenster und schaute in den Garten. Gerade so konnte ich die Umrisse eines Schuppens erkennen. Ich dachte an Dad. Wenn er sein Leben in den Griff bekommen würde, könnte er auch in einem Haus wie diesem wohnen. »Seh ich aus, als würde ich lesen? Ich will einen Fernseher.«
»Wenn du das so sagst, wirst du keinen bekommen, junge Dame.«
Ich drehte mich um, nahm mein Erdmännchen und drückte es mir fest an die Brust. » Ich will einen scheiß Fernseher! Was stellt ihr euch vor, was ich hier oben machen soll? Tic Tac Toe an der Wand spielen?«
Sharyna und Pablo schlichen näher an die Tür heran. Ich laserte Tony meinen Blick in die Stirn, aber anscheinend hatte er sein Schutzschild aktiviert, denn er blieb ganz ruhig. Ich hörte zwei Paar Füße die Treppe heraufkommen. »Wenn du so mit mir sprichst, wirst du keinen Fernseher bekommen«, sagte Tony erneut.
Louise platzte ins Zimmer. Sie hatte Cremekekskrümel am Mund. Fast hätte ich losgekichert. »Alles in Ordnung?«, fragte sie, sah erst mich an, dann Tony.
»Alles prima«, erwiderte Tony. »Wir lernen uns nur kennen.«
Colleen kam reingestolpert und wäre fast gegen Louise gerannt.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich. »Hab mich nur gefragt, ob’s wohl möglich wäre, dass ich einen Fernseher ins Zimmer bekomme?«
Colleen und Tony wechselten Blicke. Tony schüttelte den Kopf und setzte meine Taschen ab. Er lächelte und sagte sanft: »Ich glaub, wir haben noch einen.«
»Äh, ja, der ist in meinem Zimmer«, sagte Colleen.
Tony schüttelte erneut den Kopf. Louise schaute ihn an. »Ich hole ihn«, bot er an.
Ich ließ die Großspurigkeit stecken. »Kann ich auch einen DVD-Player?«, bat ich. »Ich hab jede Menge DVDs dabei, die ich gucken will. Manchmal kann ich nicht schlafen. Ich hab Albträume.«
Das war nicht gelogen. Solange ich denken konnte, hatte ich schon Schlafprobleme. Tony lächelte irgendwie komisch.
»Nicht so großspurig, Naomi«, sagte Louise. »Kannst du dich an unser Gespräch über den richtigen Tonfall erinnern? Und ich glaube, es fehlt auch noch ein Wort.«
Louise legt immer wieder dieselbe Platte auf. Ich bin doch keine verfluchte Idiotin. Ich hab’s kapiert. Ich umklammerte mein Erdmännchen fester und verdrehte die Augen.
»Bitte, bitte und ein ganz besonders hübsches Bitte mit Glöckchen und rosa Einwickelpapier.«
»Kannst sehr gerne einen DVD-Player bekommen«, erwiderte Tony vornehm säuselnd. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.
Tony ging aus dem Zimmer. Colleen lächelte nervös. »Muss ich heute Abend noch was von dir waschen?«, fragte sie. »Eine Schuluniform vielleicht?«
»Sie geht erst nächsten Montag wieder in die Schule«, erklärte Louise. »Donnerstag und Freitag hat sie frei, um sich besser an die neue Umgebung zu gewöhnen und eine Beziehung zu ihrer neuen Familie aufzubauen.«
»Dann sind wir tagsüber ja zusammen hier«, sagte Colleen. »Und können uns kennenlernen.«
»Hurra!«, sagte ich spöttisch. »Ganz schön viel auf einmal.«
Das hatte sie nicht verdient. Sie wollte nur nett sein. Lass sie doch.
Tony kam mit einem tragbaren Fernseher zurück und wartete, bis ich die Bücher vom Schreibtisch geräumt hatte. Den vornehmen Tonfall baute er wieder ab. »Danke schön«, sagte er.
»Wo ist der …?«
Sharyna kam mit einem DVD-Player hinterher, stellte ihn neben den Fernseher und schenkte mir ein wunderschönes Strahlelächeln. Wie hätte ich danach noch die Großspurige markieren sollen?
»Danke«, sagte ich. »Wie heißt du noch mal?«
»Sharyna.«
»Wenn die uns lassen, können wir ja ein paar Gruselfilme zusammen gucken.«
»Das wäre …«
Louise unterband Sharynas Begeisterung. »Sie ist erst elf«, warnte sie.
»Ich hab schon mit sechs Horrorfilme geschaut«, sagte ich. Das war nicht gelogen. Mum hatte sie auch geliebt. Wir hatten auf unserem schäbigen Sofa gesessen und Haribos dabei gefuttert. »Der neue Evil Dead ist obergeil.«
»Sharyna, willst du Naomi den Rest vom Haus zeigen?«
»Ja«, lächelte Sharyna. »Zuerst zeige ich ihr mein Zimmer.«
Eine halbe Stunde später saß ich in meinem Zimmer und fuhr Sharyna mit den Fingern durch die Zöpfchen. Sie hatte nichts dagegen. Wir verstanden uns super.
Louise streckte den Kopf zur Tür rein. »Kann ich dich kurz sprechen?«, fragte sie.
»Sicher«, erwiderte Sharyna.
Louise wartete, bis Sharyna die Tür zugemacht hatte. »Wirst du hier klarkommen?«
»Solange der nicht an mir rumfummelt.«
»Ich denke, dass du allmählich ein bisschen paranoid wirst.«
»Die sind alle gleich«, widersprach ich. »Kim hat mich vor Männern gewarnt, die Pflegekinder aufnehmen. Bei ihr haben es ganz viele versucht. Sie hat mir gesagt, dass ich denen nicht über den Weg trauen soll. Sieht man doch auch andauernd in der Zeitung und in den Nachrichten.«
Louise bedachte mich mit einem einwandfreien echt-jetzt- Blick. »Nicht alle Männer sind so wie in den Nachrichten«, sagte sie. »Und Kim kennt auch nicht alle. Sie ist kein allwissendes Orakel.«
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