Ist es möglich, nicht nur euch selbst zum gegenwärtigen Zeitpunkt anzuschauen, sondern die gesamte Zeitspanne, euer ganzes Leben? Ist es möglich eine allgemeines Empfinden davon zu haben, daß es ein ganzes Leben gibt, das vom Anfang bis jetzt Kontinuität hat? Was ist das, das all das umfaßt?
Könnt ihr euch aus dieser Geschichte lösen, aus eurer Identifikation, welche das auch gerade sein mag, indem ihr der Identifikation gewahr seid? Identifiziert ihr euch in diesem Moment mit dem Teil von euch, der wissen möchte, was ich sage? Wenn ihr dessen gewahr seid, kommt euer Gewahrsein der gesamten Situation aus dem Inneren eures Körpers? Gibt es etwas in eurem Körper, das hinausschaut? Wenn eure Aufmerksamkeit aus dem Inneren eures Körpers schaut, ist es dann möglich, euch davon zu lösen, gewahr zu sein, daß ihr daran festhaltet, in eurem Körper zu sein?
Wenn wir diese Untersuchung fortsetzen, dann sehen wir, daß manche unserer Identifikationen durch unsere Vorstellungen von Zeit begrenzt sind und manche durch unsere Vorstellungen von Raum. Wir benutzen Raum und Zeit, um uns zu definieren. Muß das so sein? Was geschieht, wenn ihr nicht Raum und Zeit benutzt, um euch zu definieren? Wenn ihr nicht eure persönliche Geschichte benutzt? Wenn ihr nicht eure Vorstellungen von Innen, Außen, Groß, Klein und so weiter benutzt? Was wenn ihr einfach der Bewegung gewahr seid, die darin besteht, euch auf etwas innerhalb eures Körpers einzuschränken, wenn ihr gewahr seid, wie ihr euch groß oder klein macht, innerhalb oder außerhalb eures Körpers ansiedelt?
Eure Gedanken rasen jetzt vielleicht. Seid des gedanklichen Prozesses gewahr. Dies ist keine Sache des Denkens; der Gedankenprozeß wird von eurer persönlichen Geschichte bestimmt. Aber es ist möglich, dessen gewahr zu sein, worüber wir sprechen. Wenn ihr also nicht versucht, eine Identität zu erfinden, indem ihr euren Körper benutzt, indem ihr eure Gefühle, Gedanken, Erinnerungen oder die Vorstellung von Raum und Zeit benutzt, was geschieht dann?
Es geht hier nicht darum, etwas dadurch zu wissen, daß man in der Lage ist, es zu benennen. Es geht darum, einfach dessen gewahr zu sein, worüber wir sprechen. Ihr braucht keine Entscheidungen zu treffen, ihr braucht euch an nichts zu erinnern. Ihr braucht nichts von der Arbeit, die ihr in der Vergangenheit getan habt. Ihr braucht gar nichts. Wir betrachten einfach die Situation in diesem Moment. Es geht nicht darum, euch von etwas zu befreien, es geht nicht darum etwas zu tun. Es geht nicht darum, eine bestimmte Erfahrung zu machen. Wir untersuchen, was ihr meint, wenn ihr „ich“ sagt.
Wenn wir dies alles jetzt sehen, bleibt dann immer noch ein Empfinden von „ich“ übrig? Woran macht ihr das „Ich“ in diesem Moment fest? Und wenn ihr das „Ich“ an nichts festmacht, könnt ihr dann die Totalität eures Universums sehen - alles was ihr jemals gedacht, gefühlt, erfahren, euch vorgestellt habt, all das zusammen und auf einmal? Könnt ihr das ganze Universum sehen, für das ihr euch haltet?
Ihr steckt euch selbst in eine Form, in eine Schachtel, und die begrenzt euch. Wenn ihr die Schachtel von allen Seiten betrachten könnt, dann seid ihr offensichtlich nicht das, was in der Schachtel ist. Vermögt ihr diese Wahrnehmung zuzulassen, dann könntet ihr vielleicht sehen, daß ihr mehr seid als all das, daß ihr über all das hinausgeht. Ihr seht dann vielleicht, daß euer Universum euch nicht definiert und euch nicht definieren darf. In dem Moment, in dem ihr von diesem Universum oder von einem Inhalt darin definiert seid, sitzt ihr in der Falle. Ihr seid mittendrin, ihr seid in ihm. Ihr seid all den Kräften innerhalb dieses persönlichen Universums ausgeliefert. Erlaubt ihr euch, das Ganze zu sehen, dann vermögt ihr zu sehen, daß ihr tatsächlich nichts davon seid. Es ist nicht nötig, an diesem Universum oder einem Teil davon festzuhalten oder euch durch dieses Universum oder einen Teil davon zu definieren. Und dieses Universum kann weiter bestehen, auf welche Weise auch immer, ohne daß ihr es für euch selbst halten müßt.
Allein schon die Tatsache, daß ein vollständiges Gewahrsein der Totalität möglich ist, weist darauf hin, daß sie euch nicht definieren muß. Allein die Tatsache, daß ihr das Ganze umfassen könnt und damit eure Kapazität immer noch nicht ausgeschöpft ist, weist daraufhin, daß ihr größer seid als all das. Der Augenblick, in dem ihr einer Sache gewahr werdet, ist der Moment, in dem ihr über sie hinausgeht. In dem Moment, wo ihr sagt „Ich bin das“, seid ihr bereits darüber hinaus.
Wenn wir unseren Etiketten glauben, wenn unsere Identität irgendein Inhalt ist, dann definieren wir uns und lassen keine Ausdehnung über diese Vorstellung von uns hinaus zu. In dem Moment, in dem ich sage: „Ich wurde zu dem und dem Zeitpunkt geboren.“, definiere ich mich mit dem Körper. Aber wenn mir klar wird, daß ich meine Geburt benutze, um den Beginn meines Lebens zu bezeichnen, kann ich erkennen, daß das „Ich“ überhaupt nicht geboren wurde. Wie kann etwas, daß dieser ganzen Totalität gewahr sein kann, geboren werden? Wie kann es sterben? Was hat es mit Zeit zu tun?
Finden wir also eine Antwort? Finden wir die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“? Oder sehen wir, daß wir jedesmal, wenn wir sagen „Das bin ich“, das eben nicht sind, weil unser Gewahrsein (awareness) es umfassen kann? Was wir finden, ist eine paradoxe, widersprüchliche Art von Antwort. Es ist weder Finden noch Nichtfinden einer Antwort.
Wir legen nur Dinge bloß, von denen ihr denkt, daß ihr sie wißt. Wenn euch das verwirrt, dann ist das gut, weil die Verwirrung sowieso schon da ist. Ihr habt sie durch den Glauben überdeckt, ihr wüßtet. In diesem Augenblick wißt ihr wahrscheinlich nicht, wer ihr seid.
Seit langem sagt ihr aus Gewohnheit: „Ich sitze oder stehe auf, ich spreche, ich bin traurig.“ Aber sind solche Aussagen korrekt? Wenn ihr diese Annahmen in Frage stellt, dann fragt ihr euch vielleicht, warum ihr diese Dinge immer wieder sagt. Warum sage ich das immer wieder? Wer sagt das? Was ist dieses „Ich“? Ihr seht, daß solche Aussagen nicht korrekt sein können. Betrachtet ihr die Dinge so, dann seht ihr, daß ihr schon seit Jahren verwirrt gewesen seid.
Ihr fragt euch vielleicht: „Was habe ich nur die ganze Zeit gemacht?“ Ihr habt vielleicht das Gefühl, daß ihr eure Zeit verschwendet habt. Aber für wen denn haltet ihr euch, der eure Zeit vergeudet hat? In dem Moment, in dem ihr sagt, daß „ich“ etwas getan habe, dann macht ihr Annahmen über ein „Ich“. Es ist nicht nötig, über das nachzudenken, was ihr getan und nicht getan habt, da das, wovon ihr denkt, daß „ihr“ es getan habt, davon abhängt, wofür ihr euch gehalten habt. Die Vergangenheit ist vollkommen irrelevant. Vollkommen.
Das Wissen der Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich nur im Augenblick ein. Die Antwort hat nichts mit der Vergangenheit zu tun. Wenn die Vergangenheit die Antwort im gegenwärtigen Augenblick bestimmt, dann ist es offensichtlich keine korrekte Antwort, da die Vergangenheit nicht mehr existiert. Um die Frage wirklich beantworten zu können, müssen wir sehen, daß wir die Antwort nicht wissen, und auch, daß wir nicht wissen, wie wir sie finden können. Ist es möglich, euch selbst einzugestehen, daß ihr die Antwort nicht kennt und auch nicht wißt, wie ihr sie finden könnt, und dabei die Frage „Wer bin ich?“ doch in euch brennen zu lassen?
„Wer bin ich?“
Können wir es uns erlauben zu sehen, daß wir nicht wissen? Wenn wir annehmen, wir wüßten, dann beenden wir die Untersuchung. Wenn wir annehmen, wir wüßten, wie wir diese Frage anzugehen haben, dann nehmen wir an, daß wir die Antwort bereits kennen und wissen, wonach wir suchen. Vielleicht besteht das wirkliche Wissen darin, nicht zu wissen. Wenn ihr euch erlaubt zu sehen, daß ihr nicht wirklich wißt, und daß ihr nicht wißt, wie ihr wissen könnt, dann kann etwas geschehen. Vielleicht ist das eure erste Chance, wirklich etwas zu wissen. Die Annahmen, daß ihr wißt, und daß ihr wißt, was zu tun ist, sind Barrieren für wahres Wissen. Wenn ihr schließlich wißt, daß ihr nicht wißt, dann habt ihr endlich absolutes Wissen. Vollkommene Unwissenheit ist das, was zu wahrem Wissen führen wird.
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