b) Konsequenzen bei Vorliegen interner Untersuchungsergebnisse
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In Einklang mit der derzeitig vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass das „Claims-Made-Prinzip“ – wenn auch abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen – dem Versicherungsvertrag wirksam zugrunde gelegt werden kann, kommt es im Hinblick auf etwaige Ergebnisse, die durch „Internal Investigations“ aufgefunden wurden, nunmehr für die Gesellschaft entscheidend darauf an, dass das Unternehmen die Ergebnisse rechtlich auswertet und überprüft, ob auf dieser Grundlage Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Schadenersatzansprüche gegen Unternehmensleiter oder Aufsichtsorgane nach § 93 AktG oder § 43 GmbHG bestehen könnten. Wenn dies der Fall ist, dann muss auf einer zweiten Ebene überprüft werden, ob für solche Schadenersatzansprüche Versicherungsschutz bestehen könnte.
c) Der von der Gesellschaft durchzuführende Abwägungsprozess
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Zu beachten ist dabei unter Zugrundelegung der soeben im Rahmen des Claims-Made-Prinzips erörterten Erwägungen, dass diese Schadensersatzansprüche auch so geltend gemacht werden, dass der zeitliche Anwendungsbereich der aktuellen Police eröffnet wird.
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Regelmäßig werden nämlich D&O-Versicherungen über einen vorher festgelegten Zeitraum[47] abgeschlossen. Die Gesellschaft, insbesondere die in der Verantwortung stehenden Aufsichtsorgane[48] müssen zum Wohle der Gesellschaft genau abwägen, ob und unter welchen Umständen eine zeitnahe Inanspruchnahme eines Organmitgliedes erfolgen muss, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Es besteht nämlich das Risiko, dass bei einem Zuwarten der Versicherungsvertrag abläuft und etwaige später geltend gemachte Schadensersatzansprüche deshalb nicht versichert sind, weil der zeitliche Anwendungsbereich der D&O-Versicherung bereits abgelaufen ist. Sollte sich dieses Risiko verwirklichen, dann laufen die verantwortlichen Aufsichtsorgane Gefahr, dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen haben.
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Für die Aktiengesellschaft hat der BGH nämlich in der bekannten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung[49] betont, dass die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, die der Aktiengesellschaft gem. § 93 Abs. 2 AktG gegen ihre Vorstandsmitglieder zustehen, Teil der „nachträglichen Überwachungstätigkeit“ ist, deren Ziel darauf gerichtet ist, den Vorstand zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.[50] Bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Vorstandsmitglieds, steht dem Aufsichtsrat kein Ermessenzu. Seine Entscheidung ist allein dem Unternehmenswohl verpflichtet, welches grundsätzlich eine Wiederauffüllung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt.[51] Der Aufsichtsrat mussfolglich Schadensersatzansprüche verfolgen, wenn er dafür Anhaltspunkte hat. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass vor Durchführung eines langwierigen und kostenintensiven Rechtsstreits nie sicher ist, ob der vermeintliche Anspruch wirklich begründet ist, oder ob er zunächst aufgrund der gegebenen Anhaltspunkte nur begründet erscheint, sich dann aber doch als unbegründet erweist. Eine Sicherheit oder Garantie für das Bestehen des Schadensersatzanspruchs wird nicht verlangt.[52] Die Pflicht des Aufsichtsrats zu einer Geltendmachung kann also auch begründet werden, wenn sich die Ansprüche später als unbegründet erweisen.
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Der Aufsichtsrat muss deshalb – dies hat der BGH in Fortführung des vorgenannten ARAG-Urteils nochmals ausdrücklich betont[53] – die Rechtslage begutachten, die Prozessrisiken abwägen und insbesondere auch die Beitreibbarkeit der Forderung abschätzen. Verstößt der Aufsichtsrat gegen diese Pflichten, so haftet er seinerseits nach den §§ 116, 93 Abs. 2 AktG.[54] Zu der Frage, ob eine Forderung beitreibbar ist gehört aber auch die Prüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen Versicherungsschutz für den möglichen Haftungsschuldner besteht.
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In diesem Zusammenhang gewinnen häufig sog. Nachhaftungsklauseln und Umstandsmeldungen Bedeutung. Gerade darin hatte nämlich das OLG München[55] in seiner zwischenzeitlich als durch den BGH überholt anzusehenden Entscheidung eine mögliche Kompensation für etwaige Nachteile gesehen. Ungeachtet der Frage, ob denn Nachmeldeklauseln oder Klauseln, welche die Möglichkeit beinhalten, eine Umstandsmeldung abzugeben, objektiv erforderlich sind, um etwaige Nachteile auszugleichen, die aus dem Claim-Made-Prinzip folgen, oder ob man solche Klauseln nicht als rechtlich geboten ansieht: In der versicherungsrechtlichen Praxis sind sie üblich, weshalb darauf nachfolgend einzugehen ist.
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Unter Nachhaftungsklauseln sind solche Klauseln zu verstehen, die den zeitlichen Anwendungsbereich der Police verlängern. Selbst nach Beendigung der Versicherungslaufzeit gelten daher Inanspruchnahmen noch als gedeckt, wenn sie nur innerhalb des als „Nachhaftung“ definierten Zeitraumes erfolgen. Damit wird also der Versicherte davor geschützt, dass er für eine während der Versicherungszeit begangene Pflichtverletzung erst zu spät – nämlich nach Ablauf des Versicherungsvertrages– in Anspruch genommen wird. Häufig wird ein Zeitraum von drei Jahren gefordert.[56] Zu beachten ist des Weiteren, dass die Nachhaftung häufig nur für Pflichtverletzungen gilt, die sich innerhalb der Versicherungszeit zugetragen haben. Anders als für Inanspruchnahmen, die sich innerhalb der regulären Versicherungszeit ereignen, besteht also kein Versicherungsschutz für Pflichtverletzungen, die sich vor Vertragsschluss ereignet haben. Es ist jedenfalls auf Grundlage der oben dargestellten Erwägungen notwendig, dass der Aufsichtsrat genau überprüft, ob und in welcher Form bestehende Nachhaftungsklauseln eine künftige Inanspruchnahme tatsächlich absichern.
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Unter einer Umstandsmeldungsklausel ist eine Regelung zu verstehen, die es dem VN ermöglicht, Umstände zu melden, die erst später – also nach Ablauf der Police – zu einer Inanspruchnahme führen könnten. Kommt es zu einer Inanspruchnahme, dann gilt diese als gedecktund zwar unabhängig davon, wann die Inanspruchnahme erfolgte, wenn nur die Umstandsmeldung innerhalb des versicherten Zeitraumes erfolgte. Anders als bei der Nachhaftung muss also zumindest eine Meldung innerhalb des Versicherungszeitraumes bei dem Versicherer erfolgen. Bisher nicht geklärt ist allerdings, welche Erfordernisse an die Konkretisierung dieser Meldung zu stellen sind. Auch insoweit weisen die D&O-Policen teilweise erhebliche Unterschiede auf. Wenn die Möglichkeit einer Umstandsmeldung besteht, dann sollte der Aufsichtsrat überprüfen, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und die Ergebnisse der „Internal Investigation“ bereits als Umstandsmeldung an den Versicherer weiterleitet. Auch dies darf keineswegs ohne genaue Vorprüfung des Sachverhaltes geschehen. Denn die Konsequenz kann sein, dass der Versicherer den Vertrag nicht mehr verlängert. Dies mag dann für die aufgedeckten Ergebnisse in Anbetracht der erfolgten Umstandsmeldung unschädlich sein, führt jedoch zu einem Wegfall des Versicherungsschutzes für (noch) unbekannte Schadenfälle. Auch hier muss also eine umfassende Sach- und Risikoanalyse unter Abwägung der Vor- und Nachteile für das Unternehmenswohl stattfinden, bevor der Aufsichtsrat eine endgültige Entscheidung über die richtige Vorgehensweise wählt.
[1]
Henssler/Strohn/Oetker Gesellschaftsrecht § 43 Rn. 25; Saenger/Inhester/Lücke/Simon GmbHG, 2011, § 43 Rn. 28; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer § 93 Rn. 6; Hölters § 93 Rn. 63 ff; MK-AktG/ Spindler § 83 Rn. 82; Heidel/Landwehrmann § 93 Rn. 71.
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