Lou wirkt während ihrer Erzählung sehr gefasst und beinahe kühl. Ich allerdings kann mich so gut in ihre Situation hinein-fühlen, dass ich ihr mit Worten gar nicht sagen kann, wie gut ich sie verstehe. Daher setze ich mich einfach dicht neben sie und schenke ihr eine tröstende Umarmung. Jetzt fängt Lou doch leise an zu schluchzen. Ich vermute, dass sie ihre Ge-fühle schon sehr lange nicht mehr zugelassen hatte. Ein we-nig tut es mir leid, dass dieser lustige Abend derartig enden muss. Aber die Tatsache, dass mir Lou ihre Gefühle offen-bart, ist eine große Ehre für mich. ›Ehre‹ ist vielleicht das fal-sche Wort. Aber ich fühle mich geschmeichelt.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, löst sie sich aus der Umarmung und sieht mich an: »Du bist lieb! Weißt du das? Es gibt sehr wenige Menschen, denen ich meine Ge-schichte erzählt habe. Ich hasse Mitleid und bin nicht gerne traurig! Also, versteh das verdammt noch mal als Kompli-ment, hörst du?« Lou kneift mir lächelnd in die Backe und erhebt sich von ihrem Platz. Ich lächele zurück und kann mir dabei ein herzhaftes Gähnen nicht verkneifen.
»Lass uns schlafen gehen!«, zwinkert Lou mich an. »Kannst dich auf das Sofa legen. Du siehst verdammt müde aus. War sicher ein anstrengender Tag für dich. Penn dich aus.« Sie verschwindet kurz und kommt mit einer Decke wie-der. Kaum liege ich auf dem Sofa, fallen mir auch schon die Augen zu. Benommen nehme ich wahr, wie ich vorsichtig zu-gedeckt werde. Die Decke riecht ziemlich stark nach Hund. Meine Frage nach dem Grund kann ich allerdings nicht mehr äußern. Dafür fehlen mir die Kräfte. Ich gleite in einen wohl-verdienten, tiefen Schlaf. Befreit von allen Gedanken, vom schlechten Gewissen. Und auch von allen Ängsten, die ich habe. Es tut gut. Es tut gut, einmal abschalten zu können.
Als ich wieder aufwache, ist es bereits kurz nach 12 Uhr. Die Sonne lacht durchs Fenster. Na, denke ich, das könnte man ja mal wieder putzen! Aber egal. Würde ich Lou darauf aufmerksam machen, käme sicher irgendwas von wegen UV-Filter oder so. Sie hat ja immer die passende Antwort parat. Gerade allerdings verrät überhaupt nichts ihre Anwesenheit. Also gehe ich erst einmal unter die Dusche.
Als ich fertig bin und noch immer keine Lou zu sehen oder zu hören ist, schreib ich ihr einfach einen kleinen Zettel, denn es treibt mich weiter an diesem schönen, sonnigen Tag.
Kurzum verfasse ich folgenden Brief:
Liebe Louisa,
vielen Dank, dass du mich so herzlich aufgenommen hast!
Du hast mir sehr geholfen. Ich hätte sonst sicherlich keine Unterkunft mehr gefunden. Wenn du mich brauchst . . .
Ich lese noch mal. Mann, das klingt aber geschwollen. Bin das wirklich ich? Hört sich schlimmer an, als würde es meine Oma schreiben. Eigentlich fühle ich doch ganz anders! Also, Zettel in den Müll und das ganze noch einmal:
Hey Lou, hey Isa und Louisa! ;-)
3 in einem! Witzige Frau! Chaotische Bude! Und eine stin-kende Sofadecke!
. . . Sag mal, hast du ’nen Hund? Egal! Auf jeden Fall war das für die Nacht genau das Richtige für mich!
Wenn du mich mal brauchen solltest und ich dir helfen kann
(z.B. beim Fenster putzen ;-)) . . . just call me! I´ll be avail-able for you: 0176542588154.
Das Englische gefällt mir. Klingt irgendwie cooler, weltof-fener. Besser zumindest als ›Ruf mich an!‹. Das hat so einen fordernden Unterton. Und in dieser Umgebung, gegenüber dieser Frau kann man nicht fordern, kann man nicht spießig sein, muss man einen englischen Nachsatz auf den Zettel schreiben, den man da lässt nach einer solchen Nacht.
Etwas wehmütig gehe ich zur Tür und lasse sie hinter mir ins Schloss fallen. Es war eine verrückte Begegnung mit einer verrückten Frau. Die auf den ersten Blick sehr oberflächlich schien. Sich dann aber als tiefgründig und stark entpuppt hat. Ich bin wahnsinnig froh, sie getroffen zu haben. Meine Ein-stellung zu gewissen Dingen hat sich durch diese eine Person und diesen einen Abend geändert. Denn oftmals streben wir zu stark nach Erfolg im Beruf. Dabei vergessen wir, was ei-gentlich wichtig ist. Und zwar zu leben. Sich anderen Men-schen einfach zu öffnen ohne Angst, auch mal Schwächen zu zeigen. Das hatte Lou getan und ich war ihr sehr dankbar da-für. Doch nun war es Zeit weiter zu gehen. Denn ich fühle mich noch immer ruhelos und neugierig.
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