Außerdem ist das doch bestimmt so gut wie unmöglich, mit primitiven Methoden hier eine genaue Dosierung zu erreichen, oder? Naja, so ganz stimmt das nicht, denn wenn man mal die Verwendung des Stechapfels (Datura) in Bezug auf die Stichwörter „Überfall“, „Betäubung“ und „Naturreligion“ reflektiert, dann findet man hier Hinweise, dass in Indien Diebesbanden den Stechapfel verwendeten, um ihre Opfer zu betäuben. Es wird berichtet, dass sie sehr gute Erfolge hatten, und zwar nicht nur in Bezug auf das Diebesgut, nein, laut dem portugiesischen Forscher Cristoval Acosta, waren diese Diebesbanden, die eigentlich Prostituierte waren, und ihre Kunden betäubten, so geschickt in der Anwendung der Samen des Stechapfel, dass sie hier sehr genaue Zeitangaben berechnen konnten, sodass die Vergiftung entsprechend dosiert wurde, und die Opfer für einige Stunden bewusstlos waren. Stechapfel ist in diesem Kontext sowieso sehr beliebt, denn auch die indigenen Völker des kolumbianischen Hochlands haben den Frauen und Sklaven eines toten Königs die Samen der Datura gegeben, damit diese lebendig mit ihrem verstorbenen Herrn begraben werden konnten. Es ging hier also um eine bewusste Betäubung, es ging hier nicht um Strafe, nicht um eine absichtliche und heimtückische Vergiftung, nein, es ging ganz einfach darum, dass hier der Herrscher auch im Leben nach dem Leben eine entsprechende Dienerschaft hatte. Solche Vorstellungen findet man in einigen Kulturen. Doch da es hier um die pharmazeutische Sichtweise geht, muss man erst einmal sagen, dass die pharmakologischen Ergebnisse der Datura sehr zuverlässig, definitiv bekannt und berechnend und einsetzbar waren. Natürlich wurde hier auch wieder die Prämisse „Versuch und Irrtum“ vorgenommen, doch da der Stechapfel mit seinem Atropin sehr aktiv ist, werden durch mäßige Dosierungen Halluzinationen und Wahnvorstellungen erzeugt, auf die geistige Verwirrung, Orientierungslosigkeit und Gedächtnisverlust folgen. Gut, eine Überdosis zieht dagegen Bewusstlosigkeit und Tod nach sich – wer hätte das gedacht! Wenn es aber darum geht, jemanden erst einmal zu betäuben, um ihn dann ganz in Ruhe das Zombiegift zu applizieren, dann ist Stechapfel hier die Wahl der Voodoosi/Voodonsi. So ist es keine große Überraschung, dass eine Datura Art, die auf Haiti heimisch ist, den interessanten Namen „Zombiegurke“ besitzt, und wenn man auf Haiti im Voodoo bleiben will, dann kann man erst einmal sagen, dass es hier primär drei Arten des Konsums gibt. Es sind die drei Klassiker, Essen, Trinken und Rauchen. Dass die Samen gegessen werden, bedingt natürlich den größten Rausch, genauso wie das Trinken eines Aufgusses, sodass hier das Rauchen eigentlich die leichteste und einfachste Methode ist. Da die Pflanze „Datura Stramonium“, also der gemeine Stechapfel, so gut wie überall vorkommt, wird sie auch manchmal als „Ackerunkraut“ betitelt, was bedeutet, dass sie wirklich sehr häufig anzutreffen ist. Hier einmal eine Abbildung der Datura Stramonium und der Formel des Atropins (welches „optisch aktiv“ ist und sich drehen kann, sodass ich hier beide Varianten zeige):

Gut, jetzt hat man ein Bestandteil, man hat den Start, sodass man das Opfer erst einmal gefügig bzw. bewusstlos vor sich liegen hat, ist aber noch kein Schritt weiter, da man immer noch kein Zombie hat. Und jetzt? Jetzt muss man weitere pflanzliche und auch tierische Bestandteile verwenden. Aha! Welche denn?
OK, fangen wir doch mal kurz an eine kleine Übersicht einzufügen, was man so alles für das Zombiegift braucht. Erst einmal geraspelte Menschenknochen! OK, das hat Edmund Wade Davis in seinen Berichten zwar angegeben, doch ist dies absoluter Blödsinn. Pharmazeutisch haben Menschenknochen jetzt nicht wirklich irgendwelche Besonderheiten. Wenn es um das Calcium geht, kann ich auch Milch verwenden. Nein, die geraspelten Menschenknochen sind einfach nur schaurige Dramaturgie, Sympathiemagie, und eben in der Religion Voodoo beheimatet. Pharmazeutisch vollkommen uninteressant, und auch im magischen Kontext sind die „geraspelten Menschenknochen“ auch nicht wirklich spannend, da man hier auch mit Blut arbeiten könnte. Ja, es hat zwar eine schaurige Dramaturgie, und man kann, aus dem Blickwinkel der Sympathiemagie, hier unendlich viel hinein interpretieren, doch geht es hier primär um die pharmazeutische Perspektive. Gut, dann kann man die geraspelten Menschenknochen also von der Zombiepulverliste streichen, da sie nur zum Zwecke der Dramaturgie verwendet werden. Was gibt es noch? Eine Schlange! Aha! Welche? Die Chilabothrus striatus, die „Boa Hispaniola“, oder auch die „Haiti-Schlankboa“! Eine Boa? Ja! Eine Boa! Im Ruhrpott könnte man jetzt sagen „Boah! Eine Boa! Watt kann die denn? Würgen!“ Und das war es auch schon! Die Haiti-Schlankboa kann bis zu 3 m groß werden, primär die Weibchen, sie ist eine Würgeschlange, sodass hier Ratten, Mäuse und Vögel als Beutetiere zu deuten sind, und das war es auch schon! Sie hat kein Gift, sie hat keine giftigen Bestandteile, keine besonderen Drüsen oder sonst irgendetwas, was eine pharmazeutische Wirkung hat. Also hat man auch hier schon wieder ein Bestandteil, der überflüssig ist, und offensichtlich ausschließlich der Dramaturgie dient. Gut, was kommt jetzt? Nun, jetzt kommt eine Tarantel! Echt jetzt? Eine Tarantel? Ja, und zwar die „Phormictopus cancerides“, die „Braune Haitivogelspinne“, die – sehr streng genommen – nicht so ganz eine Tarantel ist, aber durch die englische Bezeichnung für Vogelspinne, „Tarantula“ wird es sich hier um diese handeln. Außerdem, in seltenen Fällen werden auch Vogelspinnen, Theraphosidae, als Tarantel bezeichnet. Nun, wie der Name schon sagt, kommt sie unter anderem auch auf Haiti vor, aber auch in weiten Teilen von Südamerika, und ist hier mit einer Größe von 75-85 mm eine normale Vogelspinne. Diese Spinne besitzt Brennhaare, die sie auch abschießen kann, sodass man hier von einer Bombardierung spricht, und die bei einem Menschen allergische Reaktion hervorrufen können, also leichte Entzündungen, Ausschläge und eben einen starken Juckreiz. Dieser Juckreiz kann mehrere Stunden und sogar bis zu Tagen anhalten.
Hier findet man also eine Erklärung, warum Haitivogelspinnen möglicherweise im Zombiepulver verarbeitet werden sollen. Es geht um die Brennhaare. Einverstanden, dieser Bestandteil könnte Sinn machen! Wobei diese Brennhaare über keine eigentlichen Gifte verfügen, und man davon ausgeht, dass allein die mechanische Reizung dieser Brennhaare das Jucken verursacht. Bei den Spinnen sind also andere Brennhaare von Mutter Natur „verbaut“ worden, als bei manchen Raupen oder Insekten. Da die Brennhaare der Spinnen über winzige Widerhaken verfügen, ist hier also eine Pulverisierung denkbar, wobei man auch hier wieder darauf achten muss, dass die Brennhaare nicht ihre Wirkung verlieren, wenn diese zu stark gepulvert, zerstoßen, gemörsert werden. Im Folgenden will ich einmal eine Abbildung einer Haitivogelspinne wiedergeben:
Und jetzt? In Afrika kommen zum Beispiel diese Tiere nicht direkt vor, wobei die Haiti-Schlankboa vollkommen irrelevant ist, und die Braune Haitivogelspinne vielleicht als Lieferant für Brennhaare dienen kann. Aber hier könnte man eben auch afrikanische Spinnen nehmen, die entsprechende Brennhaare besitzen. Daher gilt bis jetzt, dass in Afrika und auch in Haiti entsprechende Bestandteile zusammen gemischt werden können. Und was ist mit diesen blauen Eidechsen? Nun die Haiti-Ameive kann auch eine bläuliche Färbung haben, meist aber bräunlich. Auch der Hispaniola-Maskenleguan (Leiocephalus schreibersi) bzw. der Glattkopfleguan (Leiocephalus) ist hier denkbar, wie auch der Rotkehlanolis (Anolis carolinensis). Doch da diese Tiere keine nennenswerten Gifte haben und auch sonst im pharmazeutischen Kontext keine Relevanz besitzen, sind diese Bestandteile eher als Glaubens- oder Füllmaterial zu sehen, wie eben auch die Haiti-Schlankboa. Wenn man Glaubens- oder Füllmaterial verwenden will, wird man immer fündig werden, egal, ob es nun auf Haiti oder irgendwo in Afrika ist.
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