David drückt die Wahlwiederholung. „Scheiße! Immer noch besetzt! Ich versuch’s später nochmal. Ich muss jetzt auch langsam los, mein Süßer!“ David steht auf und streift seine Jacke über.
„Ich sag‘ dir Bescheid, okay?“
Auch Mika erhebt sich und stellt automatisch die Tassen zusammen. „Alles klar! Kann ich den Flyer haben? Bin gespannt, was meine beiden Helden dazu sagen. Das wäre endlich mal eine Abwechslung.“
„Klar!“ David drückt ihm einen Schmatzer auf die Wange. „Ich hab‘ ja die Nummer. Bis später!“
*
Abends sitzen sie gemeinsam in der Küche.
„Was soll denn DER Scheiß?!“, raunt Keno, bevor ein weiteres riesiges Apfelstück in seinem Mund verschwindet. „Bestimmt irgend so ‘ne Kinderkacke!“, urteilt er mampfend. „Genau das Richtige für die Teenies im ‚Kolosseum‘.“
„Das weißt du doch gar nicht!“ Mika ist sauer. Er findet immer mehr Gefallen an Davids Idee. Und dass Keno seinen Vorschlag einfach so abbügelt, passt ihm schon gar nicht. Schließlich ist er der einzige von ihnen, der überhaupt mal eine Idee hat. Keno hält natürlich dagegen.
„Weiß ich wohl! Das schreit doch danach, dass man den Leuten für irgendeinen Blödsinn fett Kohle aus der Tasche ziehen will. Steht da irgendwo eine …“ Er dreht das Blatt hin und her. „... offizielle Teilnahmegebühr, oder so was? Nein! Natürlich nicht! Ich wette mit euch, dass das eine Verarsche ist!“
Kopfschüttelnd steht er auf und wirft die Überreste des Apfels in den Mülleimer.
Mika verschränkt bockig die Arme vor der Brust.
„Na und? Was kann das schon kosten?! Aber …“ Er schnalzt mit der Zunge und tippt sich mit dem Finger gegen die Stirn, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. „… entschuldige bitte. Ich hab‘ ganz vergessen, dass wir ja vorher erst unsere Essensmarken zusammenzählen müssen.“
Keno baut sich vor ihm auf und stemmt die Hände in die Hüften. Vor Erstaunen steht sein Mund halb offen. Dann wendet er sich John zu, der die Diskussion – wie so häufig – stumm und grinsend beobachtet.
„Was ist denn mit DEM los?!“, empört sich Keno. Dass seine Empörung nicht echt ist, erkennt man daran, dass er Mika ruppig durch die Haare fahren will. Zickig zieht dieser seinen Kopf weg.
„Sklavenaufstand“, brummt John grinsend, bevor er sich zurücklehnt und Mika abschätzend betrachtet.
„Warum bist du denn gleich so sauer?“, fragt er ihn süffisant. „Du kennst doch die Queen. Die will erst mal richtig eingeseift werden. Da ist kein Platz für Eigenwilligkeit.“
Keno ballt die Faust in Johns Richtung. „Ich geb‘ dir gleich ‚Queen‘ … will einer ein Bier?“, fragt er nahtlos. Das Thema scheint für ihn damit erledigt zu sein.
John hebt seine Hand.
„Und du?“, wendet sich Keno vom Kühlschrank aus Mika zu.
Wütend springt Mika so abrupt auf, dass sein Stuhl dabei fast umkippt.
„Wisst ihr was? Ihr könnt mich beide mal am Arsch lecken. Erst heißt es ‚Wir müssen unbedingt mehr miteinander unternehmen‘, ‚Wir verbringen überhaupt keine Zeit mehr zusammen‘. Und dann komm‘ ich mit einer super Idee und ihr benehmt euch wie zwei alte gelangweilte Säcke! Wenn ihr keinen Bock habt … bitte schön! Dann such‘ ich mir zusammen mit David und Ben eben ein paar andere Leute.“ Im Stechschritt verlässt er die Küche. „Kann ja wohl nicht so schwer sein“, hören die beiden Zurückbleibenden ihn noch maulen, bevor seine Zimmertüre laut hinter ihm ins Schloss fällt.
Gleichzeitig knallt Keno Johns Bierflasche auf den Tisch.
„Dieser kleine Pisser!“, faucht er und wühlt in der Küchenschublade nach einem Flaschenöffner.
John lächelt vor sich hin.
„Also, ich weiß ja, dass du das anders siehst“, knurrt er schließlich und kneift seine Augen leicht zusammen. „… Aber mich macht sein Verhalten ganz schön geil!“
Keno öffnet die Flaschen. „Was macht DICH nicht geil?!“, erwidert er murmelnd und grinst schon wieder.
*
Mika ist wütend wie schon lange nicht mehr. Diese Wut staut sich schon seit einiger Zeit in ihm auf. Ständig wird er bevormundet. Immer ist er der ‚Kleine‘, ‚Bambi‘, oder ‚Minimoy‘. Da kann er gar nicht drüber lachen. Ihm reicht’s langsam! Er kommt mit einem witzigen Vorschlag, einfach mal den Alltag aufzulockern und rennt damit natürlich wieder gegen eine Wand. Wie selbstverständlich wird er dabei nicht ernst genommen. Und wie immer führt Keno das große Wort. Wozu haben sie ihren ‚Familienrat‘ eigentlich abgehalten? Wozu? Es kommt ja doch nichts dabei rum.
Ich bleib‘ der kleine Doofmann, Keno kocht sein eigenes Süppchen und rückt erst mit der Sprache raus, wenn alles den Bach runter geht. Ansonsten benimmt er sich wie der von allen gewählte Haushaltsvorstand. Und John? Ja, der lehnt sich zurück und knurrt ein „Reg‘ dich nicht so auf!“. Das variiert natürlich. „Reg‘ dich nicht auf!“ „Reg‘ dich ab!“ „Mach‘ dich locker!“ Es kotzt mich dermaßen an, dass die mich nicht für voll nehmen. Aber ich bin’s ja selber schuld. Ich muss mich öfters durchsetzen; mich einfach mal in den Mittelpunkt rücken. Aber nein! Keno und sein Motorrad waren natürlich wichtiger! Ich bin ja so blöd und mach‘ mir immer erst um die anderen Sorgen. Das ist so typisch für mich!
Hektisch räumt er irgendwelches Zeug von einer Ecke seines Zimmers in die andere, nur um beschäftigt zu sein. Dabei wischt er ab und zu zornige Tränen aus seinem Gesicht. Ich hab‘ so viel Verständnis für Kenos Emotionen und vergess‘ dabei einfach meine eigenen Bedürfnisse. Ich bin so bescheuert! Und dann … dann ärgere ich mich zu Tode.
Nachdem die gröbste Wut verraucht ist, lässt sich Mika erschöpft auf sein Bett fallen. Er packt sein Kopfkissen und umklammert es innig.
„Dämliche Wichser“, murmelt er beleidigt und knibbelt dabei am Kissenbezug herum. Fast wäre er eingeschlafen, als sein Handy klingelt. David.
„Hey“, legt er los, kaum, dass Mika das Gespräch angenommen hat. „Ben macht mit bei dieser Bestiariumssache. Wie sieht’s bei dir aus?“
„Ach … Scheiße“, mault Mika. „Keno denkt, dass es sich dabei um irgendeine Bauernfängerei handelt. Und natürlich ist alles nur Kinderkram. Der ist sowas von arrogant. Und John scheint – wie so oft – keine eigene Meinung zu haben. Von dem kommen immer nur süffisante Bemerkungen, die mit der Sache gar nichts zu tun haben. Langsam geht’s mir auf den Sack, Dave, echt. Wir suchen uns einfach noch ein paar andere Leute. Aber wir wissen ja auch noch gar nicht, ob wir da überhaupt mitmachen können.“ Er seufzt und setzt sich auf die Bettkante. „Find‘ ich toll, dass Ben mitmacht. Hat er direkt ‚Ja‘ gesagt?“
„Ich musste ihm einen blasen, damit er zustimmt“, antwortet David amüsiert.
„Was??“ Sofort wallt Mikas Empörung wieder auf. „Das kann ja wohl …“, setzt er an, doch David unterbricht ihn lachend.
„Mensch, Mika! Was ist denn los mit dir? Du kennst Ben und du kennst mich. Wenn ich ihn um etwas bitte, dann ist er oft so drauf. Vor allem, wenn er merkt, dass mir was dran liegt. Dann geh‘ ich auf die Knie und bettle ein wenig. Na und? Muss ich dir das wirklich erklären?“
„Nein“, haucht Mika.
„Und ehrlich gesagt“, fährt David fort, „ist mir nicht ganz klar, wieso du und Keno das nicht auch so macht? Du kennst ihn doch. Du kennst seine Schwachstellen. Wenn du ihn anhimmelst und den Welpen gibst, hab‘ ich noch niemanden gesehen, der so schnell nachgiebig reagiert wie dein Keno. Und John …“ Dave lacht laut auf. „… dem musst du doch einfach nur ganz klar sagen, was du willst. Nicht zickig! Nicht bockig! Frag‘ ihn einfach … und zwar direkt.“
Mika presst die Lippen aufeinander. Warum sieht er die Dinge nicht selbst mit solcher Klarheit?
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