Alexander Dumas - Die Botschaft des Gehängten

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Inhalt
Die Katze, der Gerichtsbote und das Skelett
L'Artifaille
Das Krapak-Gebirge
Das Schloß der Brankovan
Die zwei Brüder
Das Kloster Hango
Nachwort
Die Katze, der Gerichtsbote und das Skelett
Der Doktor, der Walter Scott in Frankreich begleitete, hieß Simpson: es war einer der
ausgezeichnetsten Männer der Fakultät von Edinburg, und er stand folglich mit den bedeutendsten
Personen der Stadt in Verbindung.
Unter der Zahl dieser Personen war ein Richter beim Tribunal, dessen Namen er mir nicht genannt
hat. Der Name war das einzige Geheimnis, das er zu bewahren für geeignet erachtete.
Dieser Richter, den er gewöhnlich als Arzt behandelte, nahm ohne eine scheinbare Zerstörung der
Gesundheit sichtbar ab: eine düstere Schwermut hatte sich seiner bemächtigt. Seine Familie fragte
bei verschiedenen Gelegenheiten den Doktor, und der Doktor befragte seinerseits seinen Freund,
ohne etwas anderes aus ihm herauszubringen als unbestimmte Antworten, die nur des Arztes
Unruhe steigerten und ihm bewiesen, daß ein Geheimnis existierte, das der Kranke aber nicht sagen
wollte.
Eines Tages endlich bat der Doktor Simpson seinen Freund so dringlich, ihm zu gestehen, er sei
krank, daß ihn dieser bei den Händen nahm und mit einem traurigen Lächeln erwiderte:
"Nun wohl! ja", sagte er, "ich bin krank, lieber Doktor, und meine Krankheit ist um so unheilbarer,
als sie ganz und gar auf meiner Einbildungskraft beruht."
"Wie, auf Ihrer Einbildungskraft?"
"Ja, ich werde ein Narr."
"Sie werden ein Narr! und in welcher Hinsicht? Sie haben einen hellen Blick und eine ruhige
Stimme." Er nahm ihn bei der Hand. «Der Puls ist vortrefflich.»
"Das ist gerade das Bedenkliche bei meinem Zustand, lieber Doktor, daß ich ihn sehe und
beurteile."
........

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Kamin zu gelangen, mußte er notwendig über die Katze gehen.

Er setzte sich in Bewegung, doch als sein Fuß auf die Katze treten sollte, sprang sie auf meinen

Schoß.

4

John sah es nicht oder schien es wenigstens nicht zu sehen.

Ich gestehe, daß ein kalter Schweiß über meine Stirne lief und daß die Worte: Der Herr muß

verrückt werden, auf eine gräßliche Weise vor meinen Geist traten.

„John", sagte ich zu meinem Bedienten, „siehst Du nichts auf meinem Schoße?" John schaute mich

an und antwortete dann wie ein Mensch, der einen Entschluß faßt:

„Doch, Herr, ich sehe eine Katze."

Ich atmete.

Ich nahm die Katze und sagte zu ihm:

„Dann bitte ich Dich, John, trage sie hinaus."

Seine Hände kamen den meinigen entgegen, ich legte ihm das Tier auf die Arme, und auf ein

Zeichen von mir ging er hinaus.

Ich war ein wenig beruhigt; zehn Minuten lang schaute ich mit einem Überrest von Angst um mich

her, da ich aber kein anderes einer Tiergattung angehöriges lebendes Wesen erblickte, so beschloß

ich, nachzusehen, was John mit der Katze gemacht hatte.

Ich verließ mein Zimmer in der Absicht, ihn zu fragen; als ich aber den Fuß auf die Türschwelle des

Salons setzte, hörte ich ein gewaltiges Gelächter, das aus dem Ankleidecabinet meiner Frau kam.

Ich näherte mich sachte auf den Fußspitzen und hörte die Stimme von John.

„Meine liebe Freundin", sagte er zu der Kammerjungfer, „der Herr wird nicht ein Narr, nein, er ist

es schon. Seine Narrheit besteht, wie Du weißt, darin, daß er eine schwarz und feuerfarbene Katze

sieht. Heute abend fragte er mich, ob ich diese Katze nicht auf seinem Schöße sehe?"

„Und was hast Du geantwortet?" versetzte die Kammerjungfer.

„Bei Gott! ich habe geantwortet, ich sehe sie", erwiderte John. „Der gute arme Herr, ich wollte ihm

nicht widersprechen; errate, was er dann getan hat."

„Wie soll ich das erraten?"

„Wohl! er hat die angebliche Katze von seinem Schöße genommen, mir sie auf die Arme gelegt und

gesagt: Trage sie weg! trage sie weg! ich trug die Katze mutig weg, und er war zufrieden."

„Wenn Du die Katze weggetragen hast, so muß sie also existiert haben."

„O nein, die Katze existierte nur in seiner Einbildungskraft. Doch wozu würde es ihm genützt

haben, wenn ich ihm die Wahrheit gesagt hätte? daß er mich vor die Türe geworfen; meiner Treue,

nein, ich bin gut hier und bleibe hier. Er gibt mir fünfundzwanzig Pfund jährlich, um eine Katze zu

sehen. Ich sehe sie, er gebe mir dreißig, und ich werde zwei sehen."

Es gebrach mir an Mut, mehr zu hören. Ich stieß einen Seufzer aus und kehrte in mein Zimmer

zurück.

Am andern Abend um sechs Uhr fand sich mein Gefährte wie gewöhnlich bei mir ein, und er

verschwand nicht eher als an dem darauffolgenden Morgen.

„Was soll ich Ihnen sagen, mein Freund", sprach der Kranke, „einen Monat lang erneuerte sich die

Erscheinung jeden Abend, und ich fing an, mich an ihre Gegenwart zu gewöhnen, als es am

dreißigsten Tag nach der Hinrichtung sechs schlug, ohne daß die Katze erschien.

Ich glaubte von ihr befreit zu sein und schlief nicht vor Freuden: den ganzen Morgen des nächsten

Tages trieb ich die Zeit gleichsam vor mir her, denn es drängte mich, zu der Unglücksstunde zu

gelangen. Von der fünften bis zur sechsten Stunde verließen meine Augen die Uhr nicht mehr. Ich

folgte dem Gang des Zeigers, der von Minute zu Minute vorwärtsschritt. Endlich erreichte er die

Zahl XII.; man vernahm das Beben der Uhr, dann tat das Hämmerchen den ersten Schlag, den

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zweiten, den dritten, den vierten, den fünften und endlich den sechsten!

Beim sechsten Schlag öffnete sich meine Türe", fuhr der unglückliche Richter fort, „und ich sah

eine Art von Gerichtsdiener der Kammer eintreten, der gekleidet war, als stünde er im Dienste des

Lord-Lieutenant von Schottland.

Mein erster Gedanke war, der Lord-Lieutenant schicke mir einen Boten, und ich streckte meine

Hand gegen den Unbekannten aus. Aber er schien gar nicht auf meine Gebärde achtzugeben und

stellte sich hinter meinen Lehnstuhl.

Ich hatte nicht nötig, mich umzudrehen, um ihn zu sehen; ich saß dem Spiegel gegenüber, und in

diesem Spiegel sah ich ihn.

Ich stand auf und ging; er folgte mir auf einige Schritte. Ich kehrte zu meinem Tische zurück und

läutete.

Mein Bedienter erschien, doch er sah den Gerichtsboten ebensowenig, als er die Katze gesehen

hatte.

Ich schickte ihn weg und blieb allein mit dem seltsamen Menschen, den ich nun mit Muße

anschauen konnte.

Er trug ein Hofkleid, einen Haarbeutel, einen Degen an der Seite, eine gestickte Weste und hatte

den Hut unter dem Arm.

Um zehn Uhr legte ich mich nieder, dann setzte er sich, als wollte er seinerseits die Nacht so

bequem als möglich zubringen, in einen Lehnstuhl, meinem Bette gegenüber.

Ich drehte den Kopf der Wand zu; da es mir aber nicht möglich war, einzuschlafen, so wandte ich

mich zwei- oder dreimal um, und zwei- oder dreimal erblickte ich ihn beim Scheine meiner

Nachtlampe in demselben Lehnstuhl.

Endlich sah ich die ersten Strahlen des Tages durch die Zwischenräume der Sommerläden in mein

Zimmer dringen; ich wandte mich zum letzten Male gegen meinen Mann um: er war verschwunden

und der Lehnstuhl leer.

Bis zum Abend blieb ich von meiner Erscheinung befreit.

Am Abend war Empfang beim Oberkommissar der Kirche. Unter dem Vorwand, mein Galakleid

bereitzuhalten, rief ich meinen Bedienten fünf Minuten vor sechs Uhr und befahl ihm, die Riegel

der Türe vorzuschieben.

Beim letzten Schlag von sechs Uhr heftete ich die Augen auf die Türe; die Türe öffnete sich, und

mein Gerichtsbote trat ein.

Ich ging sogleich auf die Türe zu, sie war geschlossen; die Riegel schienen nicht aus ihrer

Schließkappe herausgekommen zu sein; ich wandte mich um, der Gerichtsbote stand hinter meinem

Lehnstuhl und John ging im Zimmer hin und her, ohne sich, wie es schien, im geringsten um ihn zu

bekümmern.

Er sah offenbar den Menschen ebensowenig, als er das Tier gesehen hatte.

Ich kleidete mich an.

Da ereignete sich etwas Seltsames: voll Aufmerksamkeit für mich half mein neuer Zimmergenosse

John bei allem, was er tat, ohne daß John bemerkte, daß er unterstützt wurde. So hielt John meinen

Frack beim Kragen, das Gespenst hielt ihn an den Flügeln, so bot mir John meine Hosen beim

Gürtel, das Gespenst faßte sie bei den Beinen.

Ich hatte nie einen diensteifrigeren Bedienten gehabt.

Es schlug die Stunde meines Abgangs.

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Statt mir zu folgen, ging mir der Gerichtsbote voran, er schlüpfte durch die Türe meines Zimmers,

stieg die Treppe hinab, hielt seinen Hut unter dem Arm hinter John, der den Wagenschlag öffnete,

und als John diesen wieder geschlossen und seinen Platz auf dem Hinterbrett eingenommen hatte,

stieg er auf den Bock zum Kutscher, der auf die Seite rückte, um ihm Platz zu machen.

Vor der Türe des Oberkommissars der Kirche hielt der Wagen an; John öffnete den Schlag, doch

das Gespenst war schon an seinem Posten hinter ihm. Kaum hatte ich den Fuß auf die Erde gesetzt,

als das Gespenst mir voraneilte, durch die Bedienten drang, welche die Eingangstüre belagert

hielten, und von Zeit zu Zeit sich umschaute, ob ich ihm folge.

Da faßte mich die Lust, an dem Kutscher selbst den Versuch zu machen, den ich an John gemacht

hatte.

„Patrick", fragte ich ihn, „wer war der Mann, der neben Euch saß?"

„Welcher Mann, Euer Ehren?" sagte der Kutscher.

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