(12.) eine Frau in die Fleischbank geht, um Einkäufe zu machen, die Fleischbank offen findet, ein großes hartes Stück Fleisch in Form einer Wurst wählt, es in die Tasche steckt, in die es kaum hineingeht, weil es in der Wärme der Tasche aufgeht, so wird jedes Detail des Traumes verständlich, wenn man weiß, dass es sich um fleischliche Gelüste und um Einkäufe auf dem Liebesmarkt handelt. Einen solchen Traum, bei dem das „Telephon“ eine erotische Bedeutung hat, will ich hier mitteilen. Er ist sehr lang und anschaulich, enthält eine Unsumme Details, die natürlich für die Analyse ebenfalls von Bedeutung sind und über die ich vorläufig hinwegsehen will. Bemerkenswert ist dieser Traum noch aus dem Grunde, weil er mit einer poetischen Produktion abschließt. Gedichte im Traume sind keineswegs sehr selten. Einzelne Verse kommen in Träumen vor und sind mitunter sehr gelungen. Ich will hier der Versuchung widerstehen, auf das interessante Kapitel von der Produktion im Traume einzugehen. Dichtung und Traum sind beide Produkte des wussten (Vergleiche meine Studie „Dichtung und Neurose“, Grenzfragen des Nerven und Seelenlebens. J. F. Bergmann 1909.) und zeigen natürlich eine innige Verwandtschaft.
Der lustige Traum der Frau „Alpha“ der mit einer Ballade abschließt, lautet also (Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass ich alle Traume in dem Wortlaute bringe, wie die Träumer sie mir niedergeschrieben haben. Die unscheinbarste Redewendung, ein Verschreiben, die Wahl der Interpunktionen — dass alles kann bei der Analyse eine große Bedeutung haben.):
(13.) „Ich mache bei meiner Schwester einen Besuch und treffe bloß meinen Schwager zu Hause. Es klingelt am Telephon. Erstaunt frage ich, seit wann ein solches in der Wohnung eingeführt wäre. Mein Schwager wirft mir einen geringschätzenden Seitenblick zu und sagt, ob ich denn keine Zeitung lese. Ich antworte, dass ich dies wahrscheinlich nicht mit gebührender Aufmerksamkeit besorge, und erkundige mich um den diesbezüglichen telephonischen Zusammenhang. Der Schwager erklärt mir, es sei jetzt eine Reform im ganzen Telephonwesen und dadurch, dass man die dummen, unverlässlichen Telephondamen durch Herren ersetzt hat, die den gebildetsten Ständen angehören, sich freiwillig angeboten haben und abwechselnd stundenweise den Dienst versehen, gibt es keinen Anlass zu Ärger und Beschwerde mehr. Es existiert bereits keine anständige Familie in ganz Wien, die nicht ihr eigenes Telephon hat, und die Gebühr ist dadurch, dass die Zahl der Teilnehmer ins Ungeheure gestiegen ist, bedeutend verbilligt. Mir leuchtet sofort die Notwendigkeit dieses Sprachrohres ein und mit Begeisterung entschließe ich mich auch zu dieser Anschaffung. „Ein Schuft, wer kein Telephon hat“, beteuere ich voll Eifer und frage nach der Gebühr. „Bloß 100 Kronen pro Jahr“, meint der Schwager. „Lächerlich, diese Kleinigkeit“, sage ich, nobel, wie ich schon bin, und zaubere sofort aus meiner an Leere gewohnten Tasche die genannte Banknote hervor. Mit Ungeduld dränge ich, dass nur rasch meine Teilnehmerschaft eingeleitet wird. Mein Schwager nimmt mir das Geld ab und ich höre ihn telephonisch unterhandeln. Da erscheint ein Herr, bartlos, schwarz, klein, mit unsympathischem Äußeren und dröhnend lauter Stimme. Er stellt sich als Bassist der Hofoper vor und sagt, er wäre derjenige, dessen Obsorge meine Telephonnummer anvertraut sei. Der Schwager nimmt mich beiseite und unterweist mich, ich soll recht liebenswürdig mit dem Herrn sein und ihn ab und zu zum Nachtessen einladen, da werde ich dann ganz anders berücksichtigt. Ich sage ihm ganz offen, dass ich die Stimme des fürchterlichen Menschen nicht vertrage und bei der Vorstellung, der Grässliche werde mir künftig in die Ohren brüllen, lieber auf das Telephon verzichte. „Gib mir mein Geld zurück“, sage ich sehr ernüchtert. „Das kann ich nicht mehr, denn ich habe bereits eingezahlt“, erhalte ich zur Antwort. Von höchster Seligkeit zu tiefstem Jammer ist bei mir stets bloß ein kleiner Schritt und trostlos, mit dem Telephon behaftet zu sein, frage ich, ob denn nicht lieber der Tenor der Hofoper mir zugeteilt werden könnte. Tenöre haben viel nettere Stimmen! Da erscheint wieder ein Herr, groß, bartlos mit roten Backen wie ein Borsdorfer Äpfelchen, stellt sich mir als Tenor der Hofoper vor und fragt wegen des Telephons an. Ich erkläre ihm sofort, sein Organ sei mir viel sympathischer als das des Bassisten und ich wünschte sehr, die Herren vertauschen zu können. In der Gesellschaft des Herrn befand sich eine Dame, die er mir als seine Schwester, welche Schauspielerin ist, vorstellt Der Herr ersucht meinen Schwager, mit dem Bassisten wegen des Tausches zu verhandeln. Dieser tut es mit sichtlichem Widerwillen und gleich darauf höre ich, nach einem erregten Wortwechsel, dessen Sinn ich nicht verstehe, den Bassisten sich schimpfend entfernen. Mein Unglück ist geschwunden und überselig fordere ich Herrn und Dame auf, Platz zu nehmen. Ich bemühe mich, liebenswürdig zu sein und, eingedenk der Weisung meines Schwagers, bringe ich meine Einladung zum Abendessen vor, die bereitwilligst angenommen wird. „Nein, werden das genussreiche Abende sein“, schwärme ich entzückt. Die Schauspielerin stellt mir in Aussicht, gelegentlich deklamieren zu wollen und meine Freude kennt keine Grenzen, „Übrigens trage ich Ihnen, wenn Sie es gern hören, gleich etwas vor“, sagt das entzückende Geschöpf und beginnt zu sprechen. Angeblich ein unbekanntes Gedicht von Baumbach: „Der arme Igel“, das ich sehr aufmerksam anhöre. Darauf erwache ich und notiere das Gedicht:
Der arme Igel. (Ballade.)
Ein Igel fand Gefallen
Einst an der Jungfer Maus,
Der putzigsten von allen
Im kinderreichen Haus
Beim guten Feldmausvater,
Dem Wirt: „Zum schwarzen Kater“.
Da hielt, wie sich gebühret
Um Mausi Igel an,
Der Vater ward gerühret,
Gab seinen Segen dann.
Und selig führt die liebe Maus
Der Igel in sein Igelhaus!
Im Rausch des Glücks versunken,
Voll Zärtlichkeit den Sinn,
Naht er sich liebestrunken
Der süßen Mauselin.
Sein Herz schlug vor Verlangen
Sie liebend zu umfangen.
Kaum hat er sie umfasset
Mit treuem, starkem Arm,
Voll Schreck er von ihr lasset,
Sie piepst, dass Gott erbarm.
Doch wird‘s dabei dem Ehmann klar,
Dass er als Igel stachlig war.
Trotz aller Liebesgluten
Blieb Igels Glück beschränkt;
Es bat bei Maus, der guten.
Die Furcht die Lieb' verdrängt
Und nimmer dürft, o — wehe
Der Maus er in die Nähe.
Dem Igel stieg zu Kopfe
Der Stachelunglückswahn.
Er ward zum irren Tropfe
Und kränkelnd starb er dran;
Man hat nach dreien Tagen
Zu Grabe ihn getragen.
Moral:
Drum Igel frei in klugem Sinn
Stets nur um eine Igelin.
Dieser anscheinend so heitere, von Humor übersprudelnde Traum enthält die Tragödie eines Lebens. Die Ballade vom armen Igel ist die Geschichte ihrer Ehe. Sie ist unglücklich verheiratet. Ihr Mann ist ihr unsympathisch; sie bringt es nicht über sich, seine Liebkosungen zu dulden. Wenn er einen Koitus versucht, beginnt sie plötzlich, mitten im Akte, laut aufzuschreien und ihn von sich zu stoßen. Sie fürchtet ihre eigene Libido. Könnte sie ihm ohne libidinöse Erregung angehören, sie würde es tun. Da sie aber für ihn nicht empfinden will, stößt sie ihn von sich. Sie hat alle möglichen Vorwände gefunden, um ihn fernzuhalten. Heute hat sie Migräne, morgen Influenza, übermorgen hat sie die Menstruation, die bei ihr viele Wochen dauert, was natürlich nicht der Wahrheit entspricht. Schließlich wurde die Angst vor den Umarmungen des Mannes ihre überwertige Idee und sie flüchtete in eine schwere Neurose, die ihr ein keusches Leben ermöglichte. Dass sich ihre Keuschheit nur auf ihren Mann bezog, dem gegenüber die Furcht „die Liebe verdrängt hat“, wie es in der Ballade heißt, erhellt aus der Analyse des Telephontraumes und ihrer anderen Träume. Einer ihrer ersten Träume, den sie mir brachte, schilderte eine sehr verfängliche Situation. Der Mann, den sie wirklich geliebt und nicht geheiratet hatte, lag bei ihr im Bette und bewährte sich als feuriger, nie ermüdender Liebhaber. Ich trete ein und das Liebespaar lässt sich nicht stören, worauf ich die Verse spreche:
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