Während der ersten Monate des Jahres 1867 hielt man die Frage für beseitigt, und es schien nicht, als solle dieselbe wieder auftauchen, als neue Thatsachen zur Kenntniß des Publicums kamen. Es handelte sich dabei nicht mehr um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems, als die Vermeidung einer wirklichen, ernsten Gefahr. Die Frage nahm eine andere Gestalt an. Das Ungeheuer wurde wieder Inselchen, Felsen, Klippe, aber eine bewegliche, unbestimmbare und unfaßbare.
Am 5. März 1867 stieß der Moravian von der Montreal Ocean Company, unter 27° 30' Breite und 72° 15' Länge, bei Nacht wider einen Felsen, der in jener Gegend von keiner Karte verzeichnet war. Nur durch die ausgezeichnete Beschaffenheit seines Rumpfes und seine Schnelligkeit bei vierhundert Pferdekraft entging er der Gefahr, mit seinen zweihundertsiebenunddreißig Passagieren unterzugehen.
Der Vorfall ereignete sich Morgens früh, als schon der Tag graute. Man untersuchte das Meer genau, sah aber nichts, als ein starkes Kielwasser, welches auf drei Kabellängen das Gewässer brach. Ob der Moravian wider einen Felsen gestoßen, konnte man nicht wissen; aber als man ihn im Ausbesserungsbassin untersuchte, fand sich, daß ein Theil seines Kiels zerbrochen war.
Diese so bedeutende Thatsache wäre vielleicht vergessen worden, hätte sie sich nicht drei Wochen später unter gleichen Bedingungen wiederholt. Nur daß diesmal durch die Nationalität des betroffenen Schiffes und den Ruf der Gesellschaft, welcher es gehörte, das Ereigniß das größte Aufsehen bekam.
Der berühmte englische Rheder Cunard ist weltbekannt. Derselbe gründete im Jahre 1840 einen Postcours zwischen Liverpool und Halifax mit drei hölzernen Schiffen von vierhundert Pferdekraft und elfhundertundzweiundsechzig Tonnen Gehalt. Dieses Material vergrößerte sich mit den wachsenden Geschäften nach und nach bedeutend; besonders im Jahre 1853 mit einer Reihe von Schiffen ersten Ranges, Arabia, Persia, China, Scotia etc. etc.; und im Jahre 1867 besaß sie zwölf Fahrzeuge, worunter vier Schraubendampfer. Die Unternehmung ward mit größter Geschicklichkeit geleitet, und ihre Geschäfte waren vom besten Erfolg gekrönt. Seit sechsundzwanzig Jahren, da die Schiffe der Gesellschaft Cunard das Atlantische Meer befuhren, ist von zweitausend Fahrten nicht eine einzige mißglückt, nie kam eine Verspätung vor, nie ist ein Brief, ein Mensch oder ein Schiff abhanden gekommen oder zu Grunde gegangen. Darum erregte auch der Unfall, welcher einem seiner besten Schiffe widerfuhr, so großes Aufsehen.
Am 13. April 1867 fuhr der Scotia unter 15° 12' Länge und 45° 37' Breite, bei ruhigem Meer und günstigem Wind mit einer Schnelligkeit von dreizehn Knoten und vollkommen regelmäßiger Radbewegung. Am Abend, als eben die Passagiere im großen Salon ihr Vesper nahmen, verspürte man einen wenig merkbaren Stoß. Derselbe kam eher von einem schneidenden Instrument her, als von einem bohrenden oder stoßenden, und schien so leicht, daß kein Mensch an Bord dadurch beunruhigt wurde, bis die Leute des Schiffsraumes auf's Verdeck stürzten mit dem Geschrei: »Wir gehen unter!«
Augenblicklich geriethen die Passagiere in großen Schrecken; aber der Kapitän Anderson war im Stande sie unverzüglich zu beruhigen. In der That konnte die Gefahr nicht bedeutend werden, da der Scotia durch wasserdichte Verschläge in sieben Abtheilungen getheilt war, so daß er leicht einem Eindringen des Wassers gewachsen war. Der Kapitän begab sich sofort in den Schiffsraum und erkannte, daß das Wasser in das fünfte Gefach durch einen beträchtlichen Leck eindrang. Dieses Fachwerk war zum Glück nicht dasjenige, welches die Kessel enthielt, sonst wären die Feuer mit einem Male ausgelöscht worden.
Der Kapitän ließ sogleich halten, ein Matrose tauchte unter, um den Schaden zu untersuchen, und es fand sich ein zwei Meter breites Loch im Kiel. So konnte es nur mit halber Schnelligkeit weiter fahren, und kam um drei Tage verspätet in Liverpool an.
Bei der Ausbesserung fand sich ein regelmäßiger Riß in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks. Der Bruch des Eisenblechs zeigte, daß das durchbohrende Werkzeug ausnehmend hart gewesen sein mußte; auch mußte es, nachdem es mit enormer Gewalt eingedrungen, sich durch eigene Bewegung, in unerklärbarer Weise wieder herausgezogen haben.
Diese Thatsache setzte die öffentliche Meinung in leidenschaftliche Bewegung. Von nun an wurden Unfälle zur See, von welchen man nicht eine bestimmte Ursache wußte, auf Rechnung des Ungeheuers gesetzt, und das phantastische Thier mußte alle solche Schiffbrüche sich zuschreiben lassen.
Da nun, mit Recht oder Unrecht, die Beschuldigung sich erhob, daß der Verkehr in gefährlicher Weise gestört sei, so verlangte das Publicum auf's Entschiedenste, daß die Meere endlich um jeden Preis von dem fürchterlichen Ungethüm befreit würden.
Zweites Capitel
Für und Wider
Zur Zeit, als diese Ereignisse vorfielen, kam ich von einer wissenschaftlichen Untersuchungsreise, welcher die französische Regierung mich, als Professor der Naturgeschichte, beigesellt hatte, aus Nebraska in den Vereinigten Staaten zurück. Gegen Ende März kam ich nach sechsmonatlichem Aufenthalt in Nebraska, mit kostbaren Sammlungen zu New-York an und meine Abreise nach Frankreich war auf Anfang Mai festgesetzt. Ich beschäftigte mich eben damit, inzwischen meine mineralogischen, botanischen und zoologischen Schätze zu ordnen, als der Unfall des Scotia sich begab.
Ich war über die Tagesfrage vollständig in Kenntniß gesetzt. Ich hatte alle amerikanischen und europäischen Journale gelesen und abermals gelesen, und war dadurch nicht weiter gekommen. Das Geheimnißvolle machte mir zu schaffen. Bei der Unmöglichkeit, mir eine Meinung zu bilden, schwankte ich von einem Extrem zum andern. Daß etwas daran war, konnte nicht mehr zweifelhaft sein, und die Ungläubigen waren eingeladen, ihren Finger auf die Wunde des Scotia zu legen.
Bei meiner Ankunft zu New-York war die Frage brennend. Die Hypothese einer schwimmenden Insel, einer unerreichbaren Klippe, welche von einigen urtheilsunfähigen Köpfen aufgebracht worden, war bereits aufgegeben. Und in der That, sofern nicht solch' eine Klippe eine Maschine im Leib hatte, wie konnte sie so reißend schnell die Stelle wechseln.
Ebenso wurde der Gedanke an einen herumschwimmenden Schiffsrumpf aufgegeben, gleichfalls wegen der Schnelligkeit, womit der Gegenstand seinen Platz wechselte.
Es blieben also noch zwei mögliche Lösungen der Frage, welche beide Anhänger fanden: Die Einen hielten den Gegenstand für ein Ungeheuer von kolossaler Kraft; die Anderen für ein unterseeisches Fahrzeug von außerordentlicher Bewegkraft.
Diese letzte Annahme, obwohl statthaft, konnte doch nach den in beiden Welttheilen angestellten Untersuchungen nicht festgehalten werden. Daß ein einzelner Privatmann eine solche Maschine zur Verfügung habe, war unwahrscheinlich. Wie hätte deren Verfertigung geheim bleiben können?
Nur eine Regierung konnte im Besitz einer solchen Zerstörungsmaschine sein, und in dieser unheilvollen Zeit, wo der Mensch sich's angelegen sein läßt, die Macht der Kriegswaffen zu verstärken, war es möglich, daß ein Staat ohne Wissen des andern mit einer solchen fürchterlichen Maschine einen Versuch machte. Auf die Chassepots folgten die Torpedo's, auf die Torpedo's die unterseeischen Sturmböcke, hernach – die Reaction.
Aber diese Idee einer Kriegsmaschine mußte gegenüber den Erklärungen der Regierungen fallen gelassen werden. Da es sich hier um ein allgemeines öffentliches Interesse handelte, da der überseeische Verkehr darunter litt, so ließ sich die Ehrlichkeit der Regierungen nicht in Zweifel ziehen. Zudem konnte man nicht annehmen, daß der Bau eines solchen unterseeischen Fahrzeugs dem Publicum verborgen geblieben wäre. Unter solchen Umständen das Geheimniß zu bewahren, ist schon für einen Privatmann schwer, und für einen Staat, dessen Handlungen von den rivalisirenden Mächten unablässig überwacht werden, vollends unmöglich.
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