Ein aufsteigendes Schwarz, die Dämmerung verheißend als Vorbote der Nacht, der Finsternis. In seiner Materialität zunächst unbefristet, ohne Ahnung einer dahinterliegenden anderen Möglichkeit. Dunkel zwar, aber noch nicht intensiv, noch nicht durchgetönt, alles durchdringend. Unter Umständen wieder verschwindend. Vielleicht nur temporär, vielleicht sich wieder verziehend. Und doch im Aufsteigen begriffen. Das Schwarz schleicht sich von außen in sein Inneres. Noch kaum merklich, von ihm nicht beachtet. Er kompensiert das aufsteigende Schwarz mit exzessiverem Laufen. Mit Erhöhung des Leistungsdrucks, mit kompromissloserem Zeitmanagement. Er setzt sich ambitionierte Ziele. Die Freude wird Gleichgültigkeit, das Aufregende weicht dem Gewöhnlichen. Er läuft weiterhin gerne, aber seine emotionale Isolation auf der Laufstrecke, auf der Arbeit, in der Gesellschaft wächst. Dünstet aus seinen Poren. Die Farben werden grauer, rücken in die Ferne. Ihm fallen zunehmend die anderen Menschen auf, die zu Hindernissen auf seiner Laufstrecke mutieren. War es früher in erster Linie motivierend in die Dämmerung, ins Dunkel hineinzulaufen, so läuft er nun später, wenn das Dunkel schon da ist. Das Schwarz sich schützend zwischen ihn und andere legt. Die Laufstrecke etwas leerer wird. Die Reize aus der Umgebung weniger werden. Das gibt ihm Sicherheit, weil es planbarer ist, weil er für andere weniger sichtbar ist, er sich der Kontrolle besser entziehen kann. Seine Gedanken werden schwärzer, eine schwarze Nebelwand lässt die Umgebung verblassen und zwingt ihn sich nur in seiner näheren Umgebung zu orientieren, sich zunehmend mit dem Nahen zu beschäftigen, den Horizont aus den Augen zu verlieren.
Mit langen Läufen kann er den schwarzen Schleier noch durchlöchern, transparenter machen, fast entfernen, temporär die Farben wieder bunt sehen, den Spaß am Laufen spüren. Ist er früher vier, fünf Brücken weit gelaufen, so läuft er jetzt sieben, acht Brücken weit. Darauf ist er stolz, jede neue Brücke ein größerer Gewinn. Brücken sind sein Maß. Das Maß seiner Reichweite, seiner Fitness. Seiner Willensstärke. Das Maß seiner Verbindung zur Isar. Der höhere Zeitaufwand erscheint nicht relevant, das Beschneiden anderer Aktivitäten sinnvoll. Das Schwarz nimmt ihm auch die Freiheit weniger Brücken weit zu laufen als beim letzten Mal. Das wäre eine Niederlage, würde den schwarzen Schleier wieder senken, verdichten. Das Laufen ist jetzt eine feste Routine, er weiß um den positiven Effekt. Er bemerkt durchaus, dass sich seine Grundhaltung im Tagesgeschehen mehr und mehr eintrübt, dass er abends erschöpfter ist als früher. Umso froher ist er, dass er ein wirksames Mittel dagegen kennt. Er reflektiert seinen Zustand, sein Verhalten, versteht, dass er handeln muss. Gegen das eintrübende Schwarz, gegen sich selbst. Und läuft.
Das Laufen wird selbst zu einem schwarzen Schleier, der andere Reaktionen, andere Handlungen verdeckt, unterbindet, verhindert. Ihn immer enger umhüllt, seine Entscheidungen beeinflusst, ihm die Sicht in die Ferne, nach draußen versperrt. Die Zeit zu laufen stiehlt er von anderen Freizeitaktivitäten, schläft kürzer. Um die Arbeitszeit zu erhalten. Das Laufen gibt ihm das Gefühl mehr Energie für die Arbeit zu haben, gibt ihm die Möglichkeit die Arbeitszeit auf Kosten der Freizeit zu verlängern. Um länger zu laufen, um mehr Energie zu haben. Um das Schwarz heraufzubeschwören, um das Schwarz aufzuhellen. Er läuft immer noch für sich selbst, aber er läuft nun auch gegen sich selbst. Ganz selbstverständlich. Immer weiter in die dichter werdende schwarze Nebelwand. Die Gefahr eines Unwetters erkennend und ignorierend. Weniger reflektierend. Zunehmend blind werdend. Sich selbst ausbeutend. Er läuft.
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