Sofia Zapf
Die Soße von Los Angeles
Wie das Leben mit einem so spielt
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Sofia Zapf Die Soße von Los Angeles Wie das Leben mit einem so spielt Dieses ebook wurde erstellt bei
Die Soße von Los Angeles
In den Fängen der Stützstrumpf-Mafia
Sammelsurium der Absonderlichkeiten
Im Jagdfieber
Impressum neobooks
Henriette findet sich zu dick. Paul sieht das gar nicht so. Aber er ist auch befangen. Er liebt sie und kann nicht objektiv sein. Er würde sie auch mit noch zehn Kilo mehr auf den Hüften mögen. Das beruhigt Henriette nur bedingt. Sie leidet darunter, dass der Zeiger ihrer Waage immer weit über ihrem Wohlfühlgewicht ausschlägt. Trotz zahlreicher Diätbücher und einiger durchstandener Qualen läuft sie bei 1,70 Meter Körpergröße konstant mit fünf bis zehn Kilo Übergewicht durch die Welt. Sie ärgert sich permanent über Fettschürze am Bauch, zuviel Reserven auf den Hüften, mitwinkende Oberarmteile und tannenbaumförmige Fettfalten am Rücken.
In einem Tierpark sehen die beiden mal einen Orang Utan. Er wendet sich von den Besuchern ab, weil er wohl von ihrem doofen Geglotze genervt ist. Das Tier ist in einem stattlichen Alter und ziemlich beleibt. An ihm entdeckt Henriette natürlich sofort auf dem Rücken ebensolche Fettfalten, die rechts und links runter hängen. Die Ähnlichkeit mit einem Tannenbaum ist unverkennbar. "Sehe ich etwa hinten auch so aus?", fragt sie Paul erschrocken. "Nein, natürlich nicht!", widerspricht er sofort vehement. "Du hast keine Haare auf dem Rücken." Danke, du Charmeur", macht Henriette einen auf beleidigt. Glücklicherweise kann sie mit dem Humor ihres Mannes umgehen.
Mit zunehmendem Alter jedenfalls laufen alle Versuche, gegen überflüssige Pfunde anzukämpfen, erst recht ins Leere. Dass der Körper nicht mehr so viele Kalorien wie mit 30 Jahren braucht, weiß zwar Henriettes Kopf. Bei ihrem Magen ist die Erkenntnis leider noch nicht angekommen. Ihr aktuelles Credo deshalb: Wenn schon zu dick, dann wenigstens durch gesundes Essen.
In ihrer Wahlheimat Teneriffa, in die sie während der langen Winter-Dunkelhaft-Monate mit Paul aus Deutschland flüchtet, sind die Voraussetzungen dafür geradezu paradiesisch. Gemüse und Obst kaufen sie auf dem Wochenmarkt so taufrisch, wie es die Bauern von ihren Feldern ringsum von den Berghängen anbieten. In einer Vielfalt, bei der den beiden stets die Augen übergehen. Papayas und Avocados, Mangos und Tomaten, die nie ein holländisches Gewächshaus erleben mussten, Orangen und Bananen, die zwar in Krümmungsgrad und Länge nicht der geforderten EU-Norm entsprechen, dafür aber bananiger schmecken, als jeder Südamerika-Chiquita-Import. Und gesunden Fisch spült der Atlantik in Massen sozusagen in jeden Kochtopf auf der Insel.
Henriette ist zudem in der glücklichen Lage, einen Ehemann an ihrer Seite zu haben, der das Kochen als seine Leidenschaft entdeckt hat, spät zwar, aber nicht zu spät. Nach einigen Kochkursen bei Sterneköchen und zunehmender Professionalität bringt Paul Gerichte auf den Tisch, die manchen Profi neidisch werden lassen könnten.
Damit nicht genug. Auch die kulinarischen Verführungen auf der Insel sind so vielfältig, dass die beiden es nicht annähernd schaffen würden, auch nur einen Bruchteil der zahlreichen Restaurants, Bistros, Cafès, Tapas-Bars oder Guachinches zu besuchen. Gerade in letzteren fühlen sie sich besonders wohl. Diese werden von Weinbauern in ganz bescheidenen Räumen betrieben, meist in ehemaligen Garagen oder Scheunen. Geöffnet werden sie, wenn der neue Wein des Jahres entkorkt wird und laden bis zu jenem Monat ein, bis zu dem der jeweilige Jahrgang reicht. Auf rustikal zusammengezimmerten Holztischen wird ein ebenso einfaches wie schmackhaftes, typisch kanarisches Essen serviert. Dort lassen sich Henriette und Paul zum ersten Mal frittierte Linsen schmecken und sind begeistert.
Weit über die Grenzen der Kanaren hinaus bekannt sind die feurigen Salsas, die am besten zu Fisch und Fleisch schmecken - die rote und die grüne Mojo-Soße aus viel Paprika, zahlreichen Gewürzen und Unmengen an Knoblauch zusammengerührt. Henriette und Paul messen inzwischen die Qualität eines Lokals daran, wie gut der Koch die Mojo-Soßen hinbekommt. Denn das ist meist ein Indikator für sein Können. Wie überhaupt Soßen das Nonplusultra eines Essen und nicht einfach zuzubereiten sind. In einer ihrer Lieblingsgaststätten ganz in der Nähe ihrer Wohnung hat die Köchin diesen Test bereits bestanden. Es ist das Los Angeles, was im Spanischen natürlich nicht wie im Englischen Los Ändscheles ausgesprochen wird, sondern Los Ancheles. Die Betonung liegt auf dem A und das g wird als rauchiges ch hinten im Rachen geformt.
Dort also, im Los Angeles, haben sie inzwischen den pikanten Fisch Lubina, zubereitet in Salzkruste, verspeist. Sie genossen dort auch die in Deutschland, jedenfalls im östlichen Teil, als Rarität nur schwer zu bekommende frisch gefangene Seezunge mit fabelhafter Mojo-Soße. Zu ihrem großen Erstaunen entdecken sie dabei eine weitere, außergewöhnliche Soße. Diese schmeckt so ganz anders als die feurig-pikanten Mojos, eher fruchtig und lieblich. Und sie kommt auch ohne den sonst obligatorischen Ajo, den Knoblauch, aus. Die leicht rötliche Farbe lässt auf einen Anteil Tomate schließen, alles in allem ganz köstlich und sowohl zu Fisch als auch Fleisch zu genießen.
"Da muss ich die Kellnerin gleich fragen, ob die Köchin mir das Rezept dazu verrät", ist Paul gleich Feuer und Flamme. Er sieht sich schon an seinem Herd die Soße zusammenrühren. Henriette ist nicht ganz so optimistisch, wenn sie an die Gesprächigkeit der Kellnerin denkt. Diese kennt die beiden nun schon durch häufige Einkehr bei ihr. Doch dass sie ihnen besonders gewogen oder freundlich begegnet, ist keineswegs zu spüren. Sie ist distanziert höflich, bringt kein Wort zuviel über die Lippen. Sie wollen trotzdem einen Versuch wagen.
Henriette setzt ihr freundlichstes Gesicht auf, kramt ihre mageren Spanisch-Kenntnisse zusammen und ergießt sich der Kellnerin gegenüber in Lobgesängen auf besagte Soße. Sie endet mit der Frage, ob sie denn von der Köchin das Rezept für die Wundersoße erfahren könnten.
Es kommt, wie Henriette befürchtete. Die Serviererin macht sich nicht einmal die Mühe, in die Küche zu gehen und wenigstens so zu tun, als ob sie fragen würde. "Es un secreto de la cocinera" (Es ist ein Geheimnis der Köchin) antwortet sie sofort und so bestimmt, dass auch eine Nachfrage zwecklos scheint. Paul unternimmt trotzdem noch einen Vorstoß: "Ist denn Tomate darin enthalten?" Die Kellnerin zuckt nur vielsagend mit den Schultern. Für sie ist das Thema beendet. In diesem Moment zweifelt Henriette kurz daran, ob es richtig war, ihr immer so ein üppiges Trinkgeld zu geben.
Für Henriette und Paul ist das Thema noch lange nicht gegessen. Sie gucken sich nach dieser Abfuhr zwar bedröppelt an, aber Aufgeben ist nicht. Sie erinnern sich, dass Freunde in Deutschland, die lange auf der Insel lebten, auch Stammgäste im Los Angeles waren. Die wollen sie in die Soßen-Spur schicken. Der Anruf bei ihnen macht Hoffnung auf Erfolg.
"Lass`mal, ich sage unserer Freundin Marianne Bescheid. Die wohnt ja noch im Nachbarort und sagt, sie kenne die Köchin. Angeblich geht sie dort in der Küche ein und aus. Die bekommt das raus", verspricht Marlies aus Deutschland am Telefon.
Drei Tage später der ernüchternde Rückruf: "Die Küchenchefin rückt auch ihr die Zutaten nicht heraus." Ob sie vielleicht befürchtet, dass irgendwer mit ihrem Rezept in Deutschland den großen Durchbruch auf dem Soßen-Sektor machen will? Oder dass weniger Gäste zu ihr kämen, weil sie zu Hause die Eigenproduktion aufnehmen?
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