Sheila Esch
Mörderische Heimkehr
9 Kriminal-Kurzgeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sheila Esch Mörderische Heimkehr 9 Kriminal-Kurzgeschichten Dieses ebook wurde erstellt bei
Geschenkt
Sir Nevilles Blumen
Mörderische Heimkehr
Auf der Sonnenseite
Champignons
Crimson love
September
Königin der Perser
Vorschau
Ausgelöscht (Ruhe und Frieden)
Und zuletzt
Impressum neobooks
Über und über prangten die Blumen auf einem frisch angelegten Erdhügel, ganz so, als ob immer neue Hinterbliebene stets sich aufs Neue beweisen mussten, wie bunt und prall und füllig und schön doch alles war hier auf Erden. Kai hasste es. Er hasste es, wieder und wieder neue Haufen aufgeworfen zu sehen, die einer um den anderen die Gräberreihe ergänzten, vor allem, weil ihm das etwas bewies, was er nicht wahrhaben wollte: Es war nicht das Leben, das weiterging.
Dirk fand er wie erwartet ganz am Anfang der Reihe. Dort, wo lange schon alles wieder platt war. Plattgewalzt, in die Urform zurückgedrückt. Er hockte auf dem Boden, die Jeans feucht, die Jacke schlammverkrustet, die Hände in der Erde, die er durchwühlt hatte wie ein Bäcker den Teig, Unsinn: Wie ein Maulwurf den Ort, an dem er lebte. „Wie soll das denn anwachsen“, hatte Anja gefragt. Wie da was anwuchs war weder Dirks noch Kais Problem.
„Was machst du – schon wieder hier?“ fuhr Kai Dirk heiser an. Dieser reagierte nicht, taub wie ein Maulwurf, auch das noch. Auf einmal bemerkte Kai das Messer, das neben Dirk auf der Erde lag. Ein Messer, das war neu. Dann sah er, dass Dirk blutete wie abgestochen. An der Innenseite des linken Unterarms prankte ein langer, tiefer Schnitt. Das Blut tropfte auf Andreas Grab.
„Verdammt, Dirk!“
Im Krankenhausflur warten bis in die Nacht – das war mal was Neues für seinen Feierabend. Kai fluchte, während er rastlos auf und ab wanderte, doch es half nicht, er fühlte, wie die Wartezeit ihn mürbe machte, und dann kam die Angst. Wann waren die endlich fertig mit Verarzten? Warum sagte ihm keiner was? Wollten sie nicht – er war nur ein Freund, kein offizieller, beachtenswerter Angehöriger, das zählte nicht viel. Vielleicht hätte er auf Polizist machen sollen, als er mit Dirk hereingekommen war, dann wäre es nun ein hoheitlich geforderter Akt, ihn zu informieren.
„Hallo? Sind Sie Herr Kreiner? – Sie können zu Ihrem Freund hinein. Er befindet sich in Zimmer vierundzwanzig.“
Dirk lag flach in einem Krankenhausbett, seine Arme waren dick mit weißem Material umwickelt. Sie wirkten wie Gegenstände, die er als nicht mehr zu sich gehörend empfand. Kai war für Sekunden erleichtert, Dirk wiederzusehen, so eindeutig lebendig, doch dann sah er in sein Gesicht.
Erschöpft setzte er sich auf einen Stuhl.
„Wann hat das endlich ein Ende?“
„Fragst du mich, wann ich Schluss mache?“ fragte Dirk, verschnupft klingend. „Dann sind wir ja endlich mal auf der gleichen Linie…“ Das machte ihm wohl Spaß, Panik unter seinen Freunden zu verbreiten. Dirk starrte an Kai vorbei aus dem Fenster ins Nachtschwarze hinaus.
Kai knurrte.
„Nein, eben nicht!“
Gerade nicht, war das so schwer zu begreifen?
Er sprang auf, drehte sich. Fand keinen Fluchtweg. Dirk ließ ihn nicht fort, auch wenn er keinerlei Anstalten machte, ihn zum Bleiben zu bewegen.
„Es hat ein Leben vor Andrea gegeben“, sagte Kai mit einem Krächzen in der Stimme. „Es muss doch auch noch ein Leben nach ihr geben!“
Schon bevor es raus war, wusste er, dass diese zwei Sätze ein verdammter Fehler gewesen waren.
*
„Himmel, wo bleibst du denn?“ fragte Su, als er zuhause eintraf.
Seitdem das mit Andrea geschehen war, machten alle in der Clique sich mehr Gedanken, als es üblich gewesen war, bevor mit Andrea geschehen war, was mit ihr geschehen war, und so klang Su ärgerlich, was angemessen war, wenn man unangekündigt erst nach elf zuhause eintraf, noch mehr aber kleinlaut und ängstlich.
„Wo warst du bloß?“
„Es nimmt Dimensionen an…“ knurrte Kai und warf sich aufs Sofa. „Was glaubst du wohl, wo ich war? Es wird jede Woche schlimmer…“
„Ich weiß, wo du warst“, sagte Su.
„Nee, nur mit wem – meinst du. Heute sind wir geradewegs im Krankenhaus gelandet.“
„Scheiße.“
Er erzählte ihr, wie er Dirk vorgefunden hatte, und obwohl die Dimension eine neue war, wunderte sie sich nicht wirklich.
„Ist schon seltsam“, meinte sie, als sie weit nach Mitternacht am Esstisch saßen und ein paar Käsebrocken verzehrten wie Mäuse ihre Krümel. „Er hätte längst ne andere – wenn es so gelaufen wäre wie sonst. Garantiert. Du und Dirk, ihr ward immer schnell bei der Sache.“
Kai sah sie schräg an.
„Schnell bei der nächsten Sache, meine ich. Stimmt doch, oder nicht?“
Kai stöhnte unwillig. Früher hätte ihn ein Anfall von Eifersucht wie dieser von Su amüsiert (und vielleicht war er eben darum berechtigt), doch seitdem das mit Andrea geschehen war, wollte er so etwas einfach nicht mehr hören.
„Aber es ist nicht so gelaufen“, sagte er. „Er hat Andrea von der Straße aufgeklaubt und sterben sehen, so ist es gelaufen.“
„Und jetzt wird er sie nie wieder los?“
„Wir sie auch nicht.“
*
Im Tresor war seine Dienstpistole nicht. Obwohl Kai am Morgen vor Müdigkeit fast umkippte, kam ihm schnell in den Sinn, dass er sie heute Nacht nur kurz im Flur in die Schublade befördert hatte, statt sie einzuschließen, wie es sich gehörte.
Alles klar. Alles in Butter. Wenigstens soweit.
„Sehen wir uns heute Abend?“
Kai nickte mit geschlossenen Augen und steckte die Pistole ein.
„Klar, was denkst du…“
Dass er sich wieder mit Dirk und Dirks Problemen rumschlug, das dachte sie. Man konnte nie wissen, wie lange es ging. Wie spät es heute wieder wurde.
Su strich ihm sanft über die Schulter.
„Sieh zu, dass du bald nach Hause kommst. Okay?“
*
Es wurde nicht spät, denn das Krankenhaus, das keine allzu große Lust darauf zu haben schien, erfolglose Selbstmörder zu beherbergen, setzte Dirk gerade vor die Tür, als Kai nach Dienstschluss bei ihm auftauchte. Er packte Dirk ins Auto und auf sein Sofa. Dirk ließ alles mit sich geschehen, auch, dass Su ihn nach Kräften bemutterte.
Das Wochenende über diskutierten sie. Nicht über den Sinn des Lebens, das wäre zu weit hergeholt gewesen. Nur über das Überleben. Ob es erlaubt war, Andrea zu vergessen.
Dirk wollte nichts von alledem.
„Warum machst du das?“ krähte er Kai an. „Verfolgst mich? Nervst mich… Warum hängst du mir stündlich auf der Pelle? Was willst du von mir?“
„Hör schon auf“, erwiderte Kai und verlor im Stehen beinahe das Gleichgewicht. Er lehnte sich zum Weitersprechen gegen die Wand: „Du weißt doch genau, was ich mache, und warum ich das mache!“
„Oh, ja“, höhnte Dirk spöttisch. „Freundschaft! Freundschaft! Freundschaft. Rein aus Freundschaft! Bleib mir doch weg mit deiner Freundschaft…“
Kai hielt es nicht aus und verschwand aus dem Zimmer. Als er aus der Küche zurück kam, kniete Su hinter Dirk und streichelte seinen Rücken. Dirk hockte auf dem Boden, die Hände vor dem Gesicht, und weinte.
*
„Was ist mit diesem Autofahrer? Hast du was gehört?“
Von einem Polizisten erwartete jedermann, dass ihm stets bekannt war, was an den Gerichten des Landes vor sich ging. Sogar Su hatte Kai dies in Monaten nicht abgewöhnen können. Kaum zu fassen, dass sie nun schon so lange zusammen waren!
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