Nervös tritt sie von einem Fuß auf den anderen und wedelt sich mit der Hand Luft zu. Sie wirkt blass und sehr angespannt und ich befürchte, dass sie jeden Moment eine Panikattacke bekommt. Das wäre überhaupt nicht gut. Wahrscheinlich wäre es eine Verletzung ihrer Würde, wenn eine Dienstmagd wie ich sie in einer solchen Verfassung zu sehen bekäme. Oder das Personal draußen vor dem Fahrstuhl, sobald die Türen sich öffnen. Ich muss sie also irgendwie ablenken. Meiner neuen Arbeitsstelle bekäme es wahrscheinlich nicht gut, wenn ich zulassen würde, dass die Queen von England einen Anfall erleidet.
»Männer«, stöhne ich gespielt. »Woher nehmen sie nur den Glauben, dass sie tun und lassen können, was sie wollen? Meine Eltern sind gestorben, als ich 18 war und mein Bruder erst 14. Ich hatte also die Verantwortung für ihn. Es war schwer, sich gegen ihn zu behaupten. Wir haben so ziemlich alles durchgestanden, was ein Junge in dem Alter so anstellen kann, aber wir haben es geschafft. Jetzt studiert er an der NYU.«
Sie sieht mich überrascht an. »Das mit Ihren Eltern tut mir leid. Aber Sie hatten mit so jungen Jahren die Verantwortung für Ihren Bruder? Das ist erstaunlich.«
»Ja, es war nicht einfach. Ich hab mein Studium aufgeben müssen und er hat gegen mich rebelliert. Eine Zeit lang sah es sehr ernst aus, er hat in der Schule abgebaut, hat sich ständig geprügelt und sogar mal ein Auto gestohlen. Aber jetzt wird er Anwalt werden und ich bin sehr stolz auf ihn.«
Sie mustert mich ernst, wirkt aber schon ruhiger, also fahre ich fort, auf sie einzureden.
»Die peinlichsten Augenblicke waren, als er das gesamte Auto des Schuldirektors mit Penissen bemalt hat. Neongrüne Farbe. Der Direktor hat mich in die Schule kommen lassen und ich war der Situation überhaupt nicht gewachsen. Unsere Eltern waren erst ein paar Wochen tot. Damals hatte ich das Gefühl, es niemals schaffen zu können. Emilio schien, als wäre er außer Kontrolle. Es sah nicht gut aus, das Jugendamt stand kurz davor, ihn mir wegzunehmen.«
»Und wie haben Sie es geschafft, dass das nicht passiert ist? Wahrscheinlich waren diese Fehltritte seine Art, mit dem Verlust umzugehen. Verlust braucht ein Ventil und gerade junge Menschen gehen manchmal auf sehr unkonventionelle Weise mit Verlust um.«
»Ich habe klare Regeln aufgestellt. Eigentlich bin ich kein sehr strenger Mensch, aber ihm seine Grenzen aufzuzeigen und ihm die Konsequenzen vor Augen zu führen, war die einzige Möglichkeit, ihn wieder auf den richtigen Weg zu führen. Er brauchte Hilfe dabei, herauszufinden, welche Grenzen er nicht überschreiten durfte«, erkläre ich ihr und lausche dann nervös nach draußen, in der Hoffnung, dort Stimmen zu hören, die unsere nahende Rettung bedeuten könnten.
»Sie können stolz auf sich sein«, sagt sie.
»Danke, Euer Hoheit«, sage ich, drücke noch einmal den Notfallknopf hinter mir ganz still und heimlich, um sie nicht noch mehr zu verängstigen. »Heute ist mein erster Tag hier. Und wahrscheinlich auch mein letzter. Ich war so nervös, dass ich ganz tollpatschig war«, erzähle ich weiter, um sie abzulenken. »Ich hab ein Hemd mit Blumenwasser versaut. Wahrscheinlich war es von Ihrem Sohn«, gestehe ich im Plauderton. »Ich habe es natürlich in die Reinigung gegeben.«
Die Queen zieht die gepflegten Augenbrauen hoch. »Wahrscheinlich wird er es nicht einmal vermissen. Ist Ihnen auch so warm?« Sie legt sich die Hände an die Wangen.
»Nein, alles in Ordnung«, sage ich ruhig. Ein Scharren an den Türen ist zu hören. »Da sind sie, gleich haben wir es geschafft.«
Sie atmet erleichtert aus. »Dank Gott. Haben Sie diesen Beruf gelernt? Im Hotel?«, fragt sie und mustert mich noch einmal. Ich trage eine typische Dienstmädchenuniform in schwarz-weiß mit einem viel zu kurzen Rock, wie sie alle Mädchen hier im Hotel tragen.
»Ich habe eigentlich gar keinen Beruf gelernt, aber ich hatte das Glück, für einen sehr netten Herren als persönliche Assistentin arbeiten zu dürfen. Gleich nachdem unsere Eltern gestorben sind. Ohne ihn hätten mein Bruder und ich es wohl nicht geschafft. Er ist verstorben, vor ein paar Wochen«, erkläre ich ihr.
»Das tut mir auch leid«, sagt sie wieder. Ich nicke nur, denn der Kloß in meinem Hals verhindert, dass ich reden könnte. Ich habe gern für David gearbeitet, ein Schriftsteller und Künstler und CEO eines großen Verlags, der mit meinem Vater befreundet war, seit er für ihn als Fahrer arbeitete, und mir diesen Job wohl nur aus Mitleid gegeben hatte.
»Oh schauen Sie nur, ein Lichtspalt«, stößt sie plötzlich aufgeregt aus, als sich graues Metall zwischen die Türen schiebt und sie dann aufgedrückt werden.
»Euer Majestät, es tut mir sehr leid«, sagt der Manager des Hotels, der mich heute Morgen kurz begrüßt und dann an die Chefin der Zimmermädchen weitergereicht hat. Als er mich im Fahrstuhl entdeckt, wirft er mir einen sehr grimmigen Blick zu, bevor er mich wieder ignoriert und der Queen aus dem Fahrstuhl hilft.
Die Queen dreht sich zu mir um. »Es war nett, Sie kennenzulernen …«, sagt sie und runzelt fragend die Stirn.
»Entschuldigen Sie, Euer Hoheit, Maya Calas.«
Sie lächelt, dann wird sie von zwei breitschultrigen Männern in Empfang genommen, die sie wegführen. Mein neuer Arbeitgeber sieht mich wieder an und verzieht das Gesicht. »Dieser Fahrstuhl ist tabu.«
»Ich habe ihn nur gereinigt. So wurde es mir aufgetragen.«
»Des Nachts, wenn ihn niemand benötigt«, sagt er streng. »Es heißt, Euer Majestät. Sie ist die Königin. Hoheit wäre die korrekte Anrede für ihre Söhne.« Er wendet sich ab, dann bleibt er stehen. »Sie sind gefeuert.«
»Ja, Sir«, sage ich geknickt, aber nicht überrascht.
William
»Eine persönliche Assistentin? Ich benötige keine Assistentin? Die letzte hat sich von Alexander ficken lassen. Und sie war 15 Jahre älter als er«, fahre ich meine Mutter an, als sie nervös auf die Uhr blickt. Sie zögert den Start unseres Flugzeugs jetzt schon seit zehn Minuten heraus, weil sie noch auf diese neue Assistentin warten möchte. »Sie schafft es ja nicht einmal, pünktlich zu erscheinen.«
»Das ist nicht ihre, sondern meine Schuld. Sie wusste bis vor ein paar Minuten noch nichts von ihrer neuen Stelle«, erklärt meine Mutter. »Ich habe Johann erst vorhin zu ihr geschickt. Und Johann hat mir eben geschrieben, dass sie zugesagt hat.«
»Eine Amerikanerin?«, will ich wissen und rümpfe die Nase. Amerikanerinnen sind gut für einen schnellen Fick, aber nicht für eine Anstellung im Palast. Aber wahrscheinlich ist sie auch nicht zu alt, um gut für einen schnellen Fick zu sein.
»Um genau zu sein, scheint sie mir Mexikanerin zu sein.«
Ich schnaube. »Sie kann noch nicht einmal englisch?«
Meine Mutter lacht und schüttelt den Kopf. »Sie kann viel mehr als das, habe ich den Eindruck.« Sie mustert mich abfällig. Diesen enttäuschten Blick in ihrem Gesicht kenne ich. Etwas anderes als das hat sie für meinen Bruder und mich nicht mehr übrig. Schon eine Weile nicht mehr. Seit Vaters Tod nicht mehr. Egal, was wir tun, wie sehr wir uns bemühen, es ist nie genug. Also haben wir aufgegeben, uns zu bemühen und tun, wonach uns ist. Auf diesem Weg können wir zumindest eine Spur von dem schmecken, was Freiheit bedeutet. Denn Freiheit haben wir nie besessen. Wir gehören der Krone und nicht die Krone uns.
»Wie alt ist sie? 70?«, fahre ich sie an, denn ich ahne Schlimmes.
»Johanns Recherchen nach ist sie 25.«
»25? Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Alexander wird sie in spätestens einer Woche verbraucht haben.« Ich lache düster auf. Ich habe keine Lust auf eine neue Assistentin, aber natürlich weiß ich, dass ich eine brauche, wenn ich Mutter Johann nicht weiter abtrünnig machen will. Ich habe den Eindruck, dass Johann mich in letzter Zeit immer weniger leiden kann. Weil ich es ihm zugegebenermaßen nicht gerade einfach mache.
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