Mirjam zuckte unwillkürlich leicht zusammen, denn das war definitiv nicht die Art und Weise, wie sie sich ihren Empfang vorgestellt hatte. Nur zu gern hätte sie als persönliche Assistentin einen besseren ersten Eindruck hinterlassen. Allerdings fragte sie sich, wie sie hätte wissen sollen, dass es Rebecca nach einer solchen Aufmerksamkeit verlangte.
Rebecca war in ihren Augen keineswegs unattraktiv. Aber mit ihren schmalen Lippen, dem kurzen schwarzen Bubi-Haarschnitt und ihrer langärmeligen Bluse, die sie bis zum Hals geschlossen hatte, wirkte sie auf sie eher wie eine gestrenge Lehrmeisterin als eine reife, erfolgsgewohnte Geschäftsfrau.
In diesem Augenblick erschien sie Mirjam trotz all der Attraktivität wie eine legendäre bösartige Königin aus einem Disney-Film: beunruhigend schön, aber zugleich von jener Schönheit, die eine geschmeidige Raubkatze verkörperte, jederzeit bereit zum Sprung, um sich aus einer Laune heraus – ohne jede Reue – auf ihr Opfer zu stürzen. Rebeccas Worte ließen sie ungewollt schlucken und auf der Stelle erstarren. »Ich … Ich bin nicht davon ausgegangen, dass …«, stammelte sie unbeholfen, »ich schon anfange, ehe du mir …«
»… es mich wissen lässt?!« Rebecca schnappte abrupt nach Luft. »Ich lasse es dich wissen! Hilft dir das? … Du hast dich um die Stelle als meine persönliche Assistentin beworben und deshalb erwarte ich so Einiges von dir! Bist du etwa unfähig vorrausschauend zu handeln?« Ihre Stimme klang immer noch so monoton und trocken wie zuvor.
Mirjam entging nicht, welcher herablassende Sarkasmus in der Stimme ihrer Chefin mitschwang. Trotz ihrer Art, Frustration vor Vorgesetzten generell zu verbergen, runzelte sie diesmal die Stirn. »Ich kann dir versichern: Ich bin nicht hohlköpfig und durchaus fähig, das zu tun, was erforderlich ist!« Mit festem Blick schaute sie Rebecca an. »Was steht für meinen ersten Tag auf dem Plan? Ich würde gern mit dem anfangen, wofür ich bezahlt werde!«
Wie frech ist das denn?! Also ehrlich! … Aber gut. Das ist zumindest mal etwas Neues, wenn ich an all die bisherigen Kriecher denke, mit ihrer selbstauferlegten, zuckersüßen Begeisterung! , dachte Rebecca still und wedelte mit einer Haftnotiz vor ihrer Nase, auf der sie all die Dinge aufgelistet hatte, die Mirjam als ihre neue Assistentin bis zum Ende des heutigen Tages für sie erledigen sollte. Dabei schritt sie zu dem ihr gegenüberstehenden freien Schreibtisch hinüber und heftete das Stück Papier an dessen Flachbildschirm.
Erst als sich Mirjam schweigend ihrem neuen Arbeitsplatz näherte, nahm sich Rebecca die Zeit sie sich genauer anzusehen. Sie registrierte deren leichtes Make-up, das unauffällige Lipgloss und die haselnussbraunen Augen. All das empfand sie, abgesehen von ihrer Jugend als nichts Besonderes. Allerdings machte ein kurzer Blick auf ihr Oberteil deutlich, dass entweder die Klimaanlage des Büros zu hoch eingestellt war oder ihr Körper in erregter Weise stark auf die erfahrene Mischung aus Aufregung und Wut reagierte.
Mirjams Brustwarzen hatten sich unter der gelben Bluse keck auf sie gerichtet, als sie sich ihr gegenüber auf Augenhöhe niederließ. Plötzlich durchfuhr sie eine merkwürdige Erregung, gepaart mit einem leichten Bedauern darüber, dass sie mit ihrer neuen Assistentin gerade so hart ins Gericht gegangen war. Ich bin jetzt Mitte vierzig und habe mich die letzten zwei Jahrzehnte ausschließlich dem Immobiliengeschäft gewidmet , ging es ihr durch den Kopf, als sie daran dachte, dass sie ihre Tage nicht mehr so hell und heiter erlebte wie früher. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit so viel Begeisterung zur Arbeit gekommen bin, wie dieses junge Ding … Und ich wüsste auch nicht, wann ich derart viel Mut aufgebracht hätte, wie sie, selbst die härtesten Hindernisse zu überwinden, um den Arbeitstag durchzustehen. Völlig unerwartet fragte sie sich plötzlich, wann sie zum letzten Mal etwas in einer so auffälligen Farbe getragen hatte: Hell und lebendig, wie ein Vogel, bereit jederzeit die Flügel auszubreiten, um in den blauen Himmel aufzusteigen.
Sie räusperte sich leise. »Du trägst eine hübsche Bluse«, bemerkte sie, als sie ihren festen Blick von Mirjams Brüsten über den Schreibtisch vor sich gleiten ließ und so tat, als würde sie etwas in ihrem ledergebundenen Terminplaner überprüfen, der etwas abseits von ihr lag. »Verrätst du mir, woher du sie hast?«
Mirjam hatte Rebeccas auf ihren Brüsten verweilenden Blick Sekunden zuvor nicht bemerkt, sondern ihre Augen aufmerksam über die Anweisungen auf der Haftnotiz huschen lassen. »Ich kann mich nicht mehr erinnern«, antwortete sie ohne zu ihr aufzusehen. »Ich habe sie schon eine ganze Weile.«
Rebecca nutzte das ausbleibende Aufsehen, um ihre neue Assistentin ein weiteres Mal eingehend zu betrachten. Dazu stand sie auf, schritt zum Kaffeeautomaten zur ihrer Linken hinüber und wandte sich ihr leicht zu, während das heiße Getränk in ihre Tasse lief. Ungeniert huschten ihre Augen über Mirjams wohlgeformte Beine und deren straffen Hintern bis hinauf zum recht unordentlichen Pferdeschwanz mit all seinen karamellfarbenen Locken. Sie bewunderte ihre neue Assistentin nicht nur wegen des schlanken Körpers und der zarten Gesichtszüge, sondern schwelgte dabei zugleich der liebenswerten Erinnerung daran, als sie selbst in diesem Alter war: So bereit und eifrig zu tun, was getan werden musste, und zugleich mutig genug, um das zu tun, wonach auch immer ihr der Sinn stand – ganz gleich, was andere darüber dachten und dazu sagten. Schon von ihrer Sekretärin hatte sie einen Hinweis auf Mirjams Hartnäckigkeit erfahren, die sie heute Morgen selbst bereits hatte erleben dürfen. Trotz der verbalen Attacke hatte sie es sich nicht nehmen lassen, ihr direkt die Meinung zu sagen – unabhängig davon, ihre Chefin vor sich zu haben. Sie hat nicht nur das Potenzial zu einer großartigen Assistentin , dachte sie, indessen sie still in sich hineinlächelte, sondern zu viel mehr … Zu einer heißen, äußerst attraktiven Freundin vielleicht? Vielleicht ist dieses süße Ding meine Chance endlich aus meinem Trott herauszukommen. Die Richtige, mit der ich all meine Pläne und Interessen teilen kann … Diejenige, die mir hilft, wieder ich zu sein?

Kapitel 2
A
m Donnerstag kam in Mirjam zum ersten Mal das Gefühl auf, dass Rebeccas Vertrauen in ihre Arbeitsleistung ein wenig gestiegen sei. Inzwischen waren ihr viel umfangreichere Aufgaben, einschließlich unmittelbarer Kontakte mit Kunden, von ihrer Chefin zugeschoben worden. Sie glaubte sogar, dass sich Rebecca ihr gegenüber etwas wärmer und persönlicher gab. Ihr war natürlich bewusst, dass es sich nur um ihre Arbeit handelte, der sie bestmöglich nachkam, freute sich aber dennoch darüber, dass sich der Umgang miteinander inzwischen ein wenig kameradschaftlicher gestaltete.
Die anfallende Arbeit hatte den Vormittag schnell vorbeigehen lassen. Mirjam hatte Rebeccas tägliche Routinen in den letzten Tagen sofort verinnerlicht – auch die, dass jeden Tag pünktlich um zwölf Uhr das Mittagessen anstand.
Nachdem sie einen kurzen Blick auf das Display ihres › iPhones ‹ geworfen und gesehen hatte, dass es gerade elf Uhr zweiundfünfzig geworden war, erhob sie sich vom Schreibtisch ihr direkt gegenüber und war überrascht, dass Rebecca es ihr nachtat. Sie hielt kurz inne und schaute sie an. »Was hast du vor?«, erkundigte sie sich, als diese nach ihrer sündhaft teuren Ledertasche griff.
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