Maggie hatte inzwischen alles getan, was sie ausgemacht hatten. Sie traf sich mit ihrer Mitverschwörerin am vereinbarten Treffpunkt. Sie waren sehr nervös, aber auch irgendwie erregt. Es war ein grosses Abenteuer. Wenn es gelang, diese Kinder zu retten, wären sie echte Heldinnen. Maggie hatte sich immer wie ein Mauerblümchen gefühlt. Neben den tollen Mädchen mit denen sie zusammen gewesen war, verschwand sie fast vollständig. Ihre Eltern hatten Angst um sie gehabt und wollten sie vor allem bewahren. Sie war das Sorgenkind gewesen. Jetzt konnte sie endlich beweisen, was in ihr steckte, es war als hätte sie ihr Superheldenkostüm übergestreift und wäre unbesiegbar. Obwohl sie nicht sicher war, ob Superhelden auch so ein Kribbeln in den Beinen verspürten. Das kam sicher von der Aufregung. Sie wunderten sich, dass Maria nicht kam und auch nicht auf ihre Nachrichten reagierte. Eigentlich war sie doch ihre Anführerin, es musste schon etwas Wichtiges dazwischen gekommen sein. Aber sie konnten es nicht riskieren zu warten. Sie hatten sich mit ihrem Schlauchboot in der Nähe des Hafens postiert, von hier aus würde es losgehen. Sie lagen auf dem Boden des Bootes und schauten vorsichtig über den Rand. Und tatsächlich fuhren nacheinander drei kleinere Boote aufs Meer hinaus. Sie hatten die Positionslichter an, so dass die Frauen ihnen aus sicherer Entfernung folgen konnten. Das Motorengeräusch der Schlauchboote fiel bei dem Lärm der grösseren Boote sicher gar nicht auf. Die Luft wurde frischer auf dem offenen Wasser und der Wind nahm zu, die Gischt spritzte ihnen ins Gesicht. Was am Anfang noch eine angenehme Erfrischung gewesen war, wurde mit der Zeit unangenehm kühl. Es war noch kein Sommer und die Nächte kühlten empfindlich ab. Maggie zog den Reissverschluss ihrer Jacke bis obenhin zu. Das Superheldengefühl war der kalten Realität gewichen, ihre Beine konnte sie fast nicht mehr spüren. Es wurde ihr klar, dass das hier kein Planspiel aus dem Sozialarbeiterhandbuch war. Hier würden sie echten Terroristen und Verbrechern begegnen, die mit Sicherheit nicht erbaut waren von dem ungebetenen Publikum. Aber sie konnten doch auch nicht einfach wegschauen, wenn so grosses Unrecht geschah. Irgendjemand musste jetzt handeln. Und wenn sie dabei sterben würden, wären sie wenigstens für eine gute Sache gestorben. Clara musste wohl ähnlich empfinden, denn sie rückte näher auf der Bank hinten im Boot und hielt sich an Maggie fest. Dieses Schlauchboot war gar nicht gebaut für die offene See und den beiden Frauen wurde bei mancher Welle mulmig, die über Bord schlug. Sie konnten froh sein, wenn sie nicht schon vor dem Ereignis kenterten und sich jämmerlich blamierten. Nach einer gefühlten Ewigkeit waren sie anscheinend am Ziel. Bei den Booten, die sie verfolgten gingen die Positionslichter aus, sie näherten sich also dem Treffpunkt. Kurze Zeit später machten sie den Motor aus und liessen sich vom vorhandenen Schub treiben. Um keinen Preis durften sie zu früh auffallen. Jede bereitete sich nun für ihren Einsatz vor. Das vorhandene Transparent wurde parat gelegt, das Megaphon in die Hand genommen, und die Kamera lief schon und war auf sie gerichtet, eine starke Leuchte war ebenfalls vorhanden. Es war schnell klar, dass es zu zweit viel schwieriger war, all die geplanten Abläufe zu managen. Transparent und Megaphon oder Kamera und Megaphon? Und wer würde nach der kurzen Aktion schnell den Motor starten, damit sie das Überraschungsmoment für die Flucht nützen konnten? Sie kamen unbemerkt bis auf 100 Meter heran, ihr Scheinwerfer leuchtete auf, das Transparent wurde entrollt, das Megaphon erschallte auf Italienisch: „Lasst die Sklavinnen frei! Nie mehr Menschenhandel!“ Sie konnten auf die Entfernung nicht erkennen, was auf dem grösseren Boot vor sich ging, mit dem sich die drei anderen getroffen hatten, aber eine Reaktion liess nicht lange auf sich warten. Bevor Maggie den Motor starten konnte, ertönte eine Reihe von Maschinengewehrsalven. Durch die Leuchte boten sie auch auf 100 Meter Entfernung ein unverfehlbares Ziel. Maggie sah vor ihren Augen einen Film in Zeitlupe ablaufen, der überhaupt nicht real erschien. Ihre Freundin wurde von mehreren Geschossen getroffen, das Blut spritzte in alle Richtungen, Maggie zuckte zusammen, als die Spritzer sie trafen. Clara sank zu Boden. Eine Kugel zerfetzte die Haut des Schlauchbootes, das auf diese Attacke zischend pfiff. Aber die Kugeln hagelten weiter auf die verletzliche Hülle ein bis sie ganz welk da lag, dann zersplitterte ein Geschoss den Scheinwerfer in ihrer Hand. Erschreckt liess sie ihn ins Wasser fallen und spürte gleich danach einen stechenden Schmerz im Bauch, heisses Blut quoll hervor und sie taumelte und ging zu Boden. Auf einmal war es wieder still. Der Tod hatte sein Werk getan und fuhr in Gestalt des grösseren Bootes zügig davon. Das Geräusch des Motors hörte sich an wie ein unterdrücktes, kaltes Lachen. Dann nichts mehr - sie waren zum Sterben zurückgelassen worden. Sie hatten ihr Leben als Märtyrer geopfert und keiner würde es jemals erfahren. Unaufhörlich quoll das Blut aus ihrem Bauch und sie konnte zuschauen, wie das Leben sie verliess. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie verschwommen, wie drei Männer auf das zerschossene Schlauchboot herabstiegen. Sie schauten nach den Frauen. Claras lebloser Körper wurde hinübergetragen. Die Kamera, die Ausrüstung, alles landete im Wasser. Einer kam auf sie zu und beugte sich zu ihr hinab – es war Cello. Er seufzte besorgt: „Maggie, Liebste, wo bist du verletzt?“ Maggie deutete schwach auf ihren Bauch, aus dem immer noch Blut quoll. Cello nahm sie vorsichtig auf den Arm und brachte sie auf sein Boot. Maggie konnte nicht verstehen, was er gerade hier an diesem Ort machte, warum er genau zur richtigen Zeit hier auftauchte. Aber sie war auch zu schwach, um ihn zu fragen. Während sie den heimatlichen Hafen ansteuerten, legte Cello ihr einen Druckverband an. Als er die Kompresse in den Wundkanal hineindrückte, wurde Maggie schwarz vor Augen.
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