Lost in Seoul
Anna Ljubow
.... Nachts auf der Fensterbank überlege ich, dass Drogen doch keine Lösung sind, dass es bei all diesen bösen Geschlechtskrankheiten Kondome nicht ohne Grund gibt, dass mich dieser Zustand der Unzurechnungsfähigkeit, Bewusstseinserweiterung, Unberechenbarkeit erregt. Mir aber auch furchtbare Angst macht. Und ich ahne, dass all das aus meinem Bewusstsein verschwindet, sobald ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. Und das macht mir am meisten Angst. .....
Eine Ehefrau, verloren in einem fremden Land, in einer Gesellschaft, in der Geld keine Rolle spielt. Der Versuch, dort zurechtzukommen, einen Sinn in diesem privilegierten Leben zu finden. Das Hineinschlittern in eine verhängnisvolle, zerstörerische Affäre mit einem dominanten Mann. Ein langsames Abrutschen in eine Abhängigkeit von Sex, Hingabe, Alkohol und Drogen. Eine Gesellschaft, die wegsieht, beschäftigt mit ihren eigenen Problemen. Die Verschiebung von moralischen Grenzen, das Übertreten dieser Grenzen, das Leben jenseits dieser Grenzen, haltlos in einer fremden Welt. Ein Rausch voller Leidenschaft und dem vorhersehbaren tiefen Fall, der das gesamte Umfeld mitreißt. Ein Ende, das den Leser fassungslos zurücklässt.
Die Autorin hat zusammen mit ihrem Ehemann in Seoul gelebt. Mittlerweile ist sie geschieden und lebt wieder in Deutschland. Sie hat schon einige Kurzgeschichten geschrieben und veröffentlicht.
Anna Ljubow
Lost in Seoul
Roman
Impressum
Lost in Seoul
Anna Ljubow
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2012 Anna Ljubow
ISBN 978-3-8442-3130-4
Would you tell me who you are right now
Don't tell me you don't know
because I know
Every piece of you that breaks
Every time you lie
Every time you say you're fine
(Ghinzu – Blow)
für die drei jotts
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Das wirklich Beste an Korea war die Frischhaltefolie. Das mag ein wenig merkwürdig klingen, vielleicht zu Verwirrung und Unverständnis führen. Aber die Frischhaltefolie war grandios. Eine riesige Packung mit gefühlten 100000 m Folie. Die Packung leicht zu öffnen, mit wirklich scharfen Zähnchen am Rand. Nicht so wie in Deutschland, wo die Packung nach dem Öffnen schon halb kaputt und daher auch nicht mehr zum Abreißen zu gebrauchen war. Die koreanische Folie ließ sich wirklich einfach und ohne zu einer Masse zu verkleben abrollen und abreißen. Erst über der abzudeckenden Fläche klebte sie dann perfekt an zum Beispiel einem Teller oder einer Dose oder einer Plastikschale. Vorher war sie nahezu gerade und fing nicht schon beim Abreißen an, sich mit sich selbst zu verkleben. Die Folie in Deutschland klebte im Grunde nur mit sich selbst – an jedem Teller prallte sie ab, als wollte sie ihren Zweck verleugnen. Die koreanische Folie dichtete jeden Teller luftdicht ab. Man könnte einen Nudelauflauf wahrscheinlich 3 Wochen so stehen lassen. Unter koreanischer Folie würde er niemals verderben. Vorausgesetzt es gäbe Nudelauflauf in Korea. Gibt es nicht. Fände man diesen nicht-existenten Nudelauflauf in tausenden von Jahren würden Spezialisten rätseln, wie die Menschen diese Konservierung hinbekommen hatten. Eine hochentwickelte Spezies von Menschen. Nun mag es Stimmen geben, die auf gefährliche Stoffe in dieser Folie hinweisen. Ich stimme zu: Das kann nicht gesund sein. Aber praktisch! Wirklich praktisch. Wozu kauft man in Deutschland Frischhaltefolie? Zum Ärgern. Zum durch die Küche schmeißen. Auf jeden Fall nicht zum Frischhalten. In Korea jedoch kauft man die Frischhaltefolie genau dazu: Zum Frischhalten. Und da ist es doch wirklich egal, was hinterher im Essen für krebserregende Weichmacher schweben. Das Essen ist frisch. Genau das, was die Folie verspricht. Und so ist Korea: An der Oberfläche hält es, was es verspricht. Was sich wirklich darunter verbirgt, unsichtbar, nicht greifbar, das wird einem erst viel zu spät bewusst.
Ich sitze auf der breiten Fensterbank, habe das Kinn auf die Knie gelegt und atme tief durch. Höhenangst wäre hier fatal. Habe ich das vor einiger Zeit nicht schon genau so gedacht? Als wäre es gestern. Als wäre es in einem anderen Leben. Ich versuche, etwas zu spüren. Bei dem Gedanken an die letzten Monate. Ich fühle nichts. Ich bin innerlich so leer wie das Weinglas in meiner Hand. Was für ein billiger Vergleich. Nichts leichter, als das Weinglas aufzufüllen. Vielleicht werde ich ein letztes Mal an die Bar hinunterfahren. Nicht, weil er dort ist. Ich bin stark. Ich fliege morgen. Fliehe aus diesem Land. Fliehe vor ihm. Aber vielleicht gibt es irgendeinen Geschäftsmann, der mich spüren lässt, dass ich noch am Leben bin. Trotz allem. Morgen werde ich dann in ein Flugzeug steigen. Business Class. Es endet, wie es angefangen hat. Ich werde diesen Abschnitt meines Lebens zurücklassen. Werde versuchen, ihn auszulöschen aus meinen Gedanken. Abstreifen. Wie meine Kleider. Später. In den Armen irgendeines Mannes. Ich weiß, ich werde es nie ganz schaffen. Diese Leere hat sich tief eingegraben in meinen Verstand, in mein Herz. Jeder bekommt, was er verdient. Hat ein Freund immer zu mir gesagt. Was habe ich verdient? Nie mehr schlafen zu können? Albträume, sobald ich die Augen schließe? Nicht zu wissen, ob ich am Leben bin? Ein Leben lang auf der Suche nach dem nächsten Kick, nach immer mehr und mehr? Die Sehnsucht nach diesem Mann ein Leben lang ertragen? Ich muss damit aufhören. Ich muss auf jeden Fall damit aufhören. Es wird mich zerstören. Morgen. Morgen ist alles anders. Morgen, wenn der Flieger startet, werde ich es lassen. Morgen. Welche Verheißung.
Ich stehe auf und fahre mit dem Fahrstuhl in meinem dünnen Sommerkleid, barfuß und in der Hand nur meine Hotelkarte nach unten. Nur ein Drink. Ein Blick von einem Mann. Vielleicht ein Blick von ihm. Dann werde ich damit aufhören. Dann ist morgen.
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