Ihr Mann lachte sie aus.
»Ich weiß wirklich nicht, warum er so etwas von dir verlangen sollte,« versetzte er. »Aber es ist etwas an dem, was du sagst. Am liebsten würde ich sagen, ich glaube, unser Sohn ist wie einer von den Steinen, die am Strande liegen, und von jeder Woge hin und her gerollt werden. Er wird von all den Stößen, die er bekommt, so schön und so abgeschliffen, daß er bald gar keine Ecken und Kanten mehr haben wird.«
Tatsächlich machte sich der Mann ebensoviel aus seinem Sohne wie die Frau. Aber er war nicht nur glücklich über ihn, sondern seinetwegen auch beunruhigt. Es schien ihm, als ob der Sohn dazu neigte, sich dem Zwang, der gegen ihn ausgeübt wurde, zu beugen und sich von den Menschen zurückzuziehen. Sven wollte die Grimö kaum noch verlassen. Aber auch hier auf der Insel hätte es ihm nicht an Gelegenheit gefehlt, mit Menschen zusammenzutreffen, falls er es gewünscht hätte. Joel war dreißig Jahre lang Schöffe gewesen, und während der vielen Gerichtsverhandlungen in allen diesen Jahren hatte er sich eine Menge Gesetze und Verordnungen eingeprägt. Unaufhörlich kamen die Leute zu ihm auf die Insel herüber und baten ihn um Hilfe beim Aussetzen eines Kaufvertrages oder eines Testamentes, bei Vermögensaufnahmen und Erbteilungen.
»Was soll er tun?« fragte die Frau, als ihr der Mann seine Besorgnisse mitteilte. »Erstens kann er noch nicht ordentlich Schwedisch, und zweitens meiden ihn die Leute, wie wenn er ein menschenfressender Haifisch wäre.«
Joel warf den Kopf zurück, zog die Luft hörbar ein und sprach Worte, deren ganze Tiefe zu fassen der Frau schwer wurde.
»Wenn nun jemand von mir verlangte, ich sollte Spielmann werden, dann müßte er mir wohl etwas verschaffen, worauf ich spielen könnte.«
»Ja natürlich,« erwiderte Mutter Thala, »aber was willst du damit sagen?«
»Wenn Sven, wie ich glaube, zu einem Augenspiegel und Vorbild und Beispiel für die Menschen bestimmt ist, so darf er nicht hier auf der Schäre bleiben und ein Eigenbrödler werden.«
Die Frau sah ihren Mann an, und aus ihren Augen leuchtete ein zärtlicher Glanz.
»Du selbst hast dein ganzes Leben lang auf der Grimö gewohnt, und es ist den Leuten doch nicht schwer gefallen, dich ausfindig zu machen und dir mit allem möglichen zur Last zu fallen.«
Der Mann machte eine abwehrende Handbewegung.
»Was bin ich, verglichen mit Sven? Ich habe nichts gelernt in meiner Jugend. Sven aber hat beizeiten mit dem Lernen angefangen. Ihm steht nichts im Wege.«
»Außer dem einen.«
»Ja, natürlich.«
»Und das ist überall, auch wo man es am wenigsten erwartet. Das ist eine Katze, die da, wo er geht und steht, auf der Lauer liegt, und ehe er sich's versieht, springt sie ihm an die Kehle.«
»Jawohl, gerade das ist das größte Unglück,« stimmte Joel bei. »Und geschehen ist geschehen. Und kein noch so großes Wunder könnte diese Katze hindern, ihn anzuspringen.«
»Aber eins darfst du nicht vergessen, Joel: wenn dieses Unglück nicht auf ihm läge, wäre er nie mehr zu uns zurückgekommen.«
Immer wieder kam sie auf diese Tatsache zurück. Es machte sie überaus glücklich, den Sohn zu Hause zu haben, und sie konnte kaum begreifen, warum er und Joel dem Widerwillen der Menschen so großes Gewicht beimaßen. – »Kümmere dich doch nicht darum!« sagte sie zu ihrem Sohne. »Du bist viel besser als sie. Der Kerl, der dir heute auf der Post ins Gesicht gegrinst hat, ist ein Wechselfälscher. Der hat keine Ehre, mit der er sich brüsten könnte.«
Aber wie die Zeit verging, konnte sie doch nicht umhin zu merken, daß Joel recht hatte und der Sohn nahe daran war, menschenscheu zu werden. Und damit nicht genug. Er gewöhnte sich ein übermäßig, fast lächerlich unterwürfiges Betragen an. Am liebsten hätte er sich selbst von der Erde vertilgt, so zerknirscht war er.
»Nein, das geht nicht so weiter,« dachte sie. »Es muß anders werden. Der liebe Gott kann uns doch nicht vollständig verlassen.«
Das Kirchspiel Applum, zu dem die Grimö gehörte, umfaßte nicht nur das auf dem Festlande liegende Kirchdorf, sowie einige Dutzend rundum im Meere verstreute Holme und Schären, sondern auch das Fischerdorf Knapefjord, das sich mit seinen Speichern und Bootshäusern, seinen langen Landungsstegen, seinen Hafenbauten, seinem großen Badehaus und den Schwimmbehältern nebst Booten und Bojen, ebensosehr im Wasser wie auf dem Lande auszubreiten schien.
Mutter Elversson pflegte mit Eiern und Butter hier herüber zu rudern, und sie machte allerlei Versuche bei den Hausfrauen, die ihre langjährigen Kunden waren und alle ihre Verhältnisse genau kannten, den heimgekehrten Sohn zu rühmen.
Aber sie fand bald, daß das vergebliche Liebesmühe war. Man sagte ihr zwar kein unhöfliches Wort, sondern tat nur, als ob man nichts höre, etwa so, wie wenn ein sonst vernünftiger Mensch plötzlich mit irgendeinem ungereimten Einfall daherkommt.
»Ach, diese gottseligen Weiber!« legte Mutter Thala los, als sie nach Hause kam. »Ihre Herzen sind so erfüllt von Glauben und Gerechtigkeit, daß für Barmherzigkeit kein Platz mehr darin ist.«
Und auch Joel hatte nicht mehr Glück.
Er pflegte nunmehr, wenn die Leute zu ihm kamen und Hilfe suchten, hinzuwerfen, er werde für Derartiges zu alt und sein Sohn Sven könne jetzt bald an seine Stelle treten. Aber er traf nur auf völlige Verständnislosigkeit. Die Fischer und die Bauern, mit denen er sprach, zeigten sich ebenso taub, wie die gestrengen Frauen der Schiffskapitäne in Knapefjord.
Am Weihnachtsabend saßen Joel und Thala mit ihrem Sohne in der niederen Stube auf der Grimö und sprachen von der Zukunft.
»Hör', Mutter,« sagte Sven Elversson, der an diesem Abend außergewöhnlich froh und leichten Herzens zu sein schien, »findest du es nicht auch kalt und finster hier in der alten Küche? Wie wär's, wenn wir in das große Haus übersiedelten?«
»Bewahr' uns Gott!« rief sie. »Es hat ja weder Fußböden noch ein Dach.«
»Das kann alles gemacht werden,« sagte der Sohn. »Ich habe mir die Wände angesehen, die sind völlig unbeschädigt. Dort sind helle und freundliche Zimmer mit der Aussicht aufs Meer. Es ist doch schade, wenn wir das alte Kapitänshaus völlig verfallen lassen.«
Natürlich waren Vater und Mutter mit ihm ganz gleicher Meinung, aber es fehlte an Geld.
Nun erklärte ihnen der Sohn, daß er Geld habe. Es sei kein Geld, das er von seinen Pflegeeltern erhalten habe, sondern es sei von ihm selbst redlich verdient. Als er auf seine Nordpolreise ausreiste, waren ihm bei der Heimkunft tausend Pfund versprochen gewesen, und die waren ihm jetzt ausbezahlt worden.
Da sah der Vater, der alte Joel, der selbst keinen Augenblick Ekel empfunden hatte, wie sich die alten verabschiedeten Seekapitäne, die früher diese Insel bewohnt hatten, mit Abscheu im Grabe umdrehten.
»Nicht mit dem Geld!« stieß er hervor. »Ich möchte gerne das alte Haus wieder hergerichtet haben, aber nicht für dieses Geld.«
Erstaunt sahen Mutter und Sohn den Alten an. Aber beide begriffen rasch, was ihn anfocht, und es wurde von etwas anderem gesprochen.
Der Vater dachte an die alten Seekapitäne mit ihren wettergebräunten Gesichtern, ihren teerigen Fäusten und ihren durstigen Gurgeln, an die gutmütigen, lustigen Männer, die in der Wahl ihrer Worte durchaus nicht wählerisch und auch in der Wahl ihres Umganges keineswegs engherzig gewesen waren. Seine Vorfahren waren wohl von derselben Art gewesen, und nun hatte er seinem Sohne gesagt, er sei nicht gut genug, in ihre Wohnung zu ziehen. Er hatte ihm gesagt, sein Geld, das er mit Einsatz seines Lebens auf demselben Meer verdient hatte, auf dem die alten Seebären umhergefahren waren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sei nicht gut genug, ihr verfallenes Haus wieder damit aufzurichten.
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