Doch Robert Taillefer hob stolz sein Haupt und entgegnete ihm: »Was Du für Deine Lichtflamme getan hast, das werde auch ich für die meine zu tun vermögen.«
Raniero war nach Italien gekommen. Er ritt eines Tages über einsame Gebirgspfade hin. Da eilte plötzlich ein Weib auf ihn zu und bat ihn um Feuer von seiner Kerze. »Unser Feuer ist erloschen, meine Kinder hungern. Leihe mir Dein Licht, auf daß ich die Flammen auf meinem Herde entzünden kann, um Brot für sie zu backen!«
Sie streckte die Hand nach der Kerze aus, aber Raniero gab sie ihr nicht, weil er nicht wollte, daß jene Flamme etwas anderes entzünden sollte als die Kerzen vor dem Bildnis der heiligen Jungfrau.
Doch das Weib sprach zu ihm: »Gib mir Feuer, Pilger, denn das Leben meiner Kinder ist die Flamme, die ich brennend erhalten muß!« Und um dieser Worte willen ließ Raniero sie den Docht in ihrer Lampe an seiner Flamme entzünden.
Einige Stunden später ritt Raniero in ein Dorf. Es lag hoch im Gebirge, so daß dort bittere Kälte herrschte. Ein junger Bauer stand am Wege und betrachtete den armen Reiter in seinem zerschlissenen Pilgermantel. Rasch zog er seinen kurzen Mantel aus und warf ihn jenem Armen zu. Aber der Mantel fiel gerade auf das Licht und verlöschte die Flamme.
Da gedachte Raniero jenes Weibes, das Feuer von ihm entliehen hatte. Er ritt zu ihr zurück und entzündete seine Kerze an dem heiligen Feuer.
Als er weiterreiten wollte, sprach er zu ihr: »Du sagtest, daß die Lichtflamme, die in Deiner Obhut steht, das Leben Deiner Kinder sei. Kannst Du mir nun auch den Namen der Lichtflamme nennen, die ich auf langen Wegen hergetragen habe?«
»Wo wurde Deine Lichtflamme entzündet?« fragte das Weib. Und Raniero antwortete:
»Sie wurde an Christi Grab entzündet.«
»Dann kann ihr Name wohl nur Milde und Menschenliebe sein,« erwiderte sie.
Raniero lachte über diese Antwort, denn es dünkte ihn gar zu absonderlich, daß gerade er als Apostel und Träger solcher Tugenden gelten sollte.
Raniero ritt zwischen lieblichen, blauschimmernden Hügelketten dahin. Er merkte, daß er in der Nähe von Florenz war.
Da kam ihm der Gedanke, daß er nun bald von seiner Lichtflamme befreit sein würde. Er gedachte seines Zeltes in Jerusalem, das er voller Kriegsbeute zurückgelassen hatte, und an die tapferen Krieger, die noch immer in Palästina waren, und die sich freuen würden, wenn er wiederum das Kriegshandwerk aufnehmen und sie zu Siegen und Eroberungen führen würde.
Da merkte Raniero, daß er bei diesen Vorstellungen nicht die mindeste Freude empfand, sondern daß seine Gedanken eine ganz andere Richtung einschlugen.
Und er erkannte zum erstenmal, daß er nicht mehr derselbe Mann war, als welcher er Jerusalem verlassen hatte. Denn jener Ritt mit der Lichtflamme hatte ihn gelehrt, sich an all denen zu freuen, die friedfertig, klug und barmherzig waren, und die Wilden und Streitsüchtigen zu verabscheuen.
Er ward frohen Mutes, so oft er an Menschen dachte, die friedlich in ihrem Heim schafften, und plötzlich überkam ihn das Verlangen, wieder in seine einstige Werkstatt einzuziehn, um dort schöne, kunstvolle Arbeiten zu vollenden.
»Wahrhaftig! Diese Flamme hat mich gänzlich verwandelt,« sagte er sich. »Ich glaube, sie hat mich zu einem anderen Menschen gemacht.«
5
Zur Osterzeit ritt Raniero in Florenz ein. Rücklings auf dem Pferde sitzend, die Kapuze tief über das Gesicht herabgezogen und die brennende Kerze in der Hand haltend, war er kaum durch das Stadttor geritten, als auch schon ein Bettler aufsprang und das gewohnte: »Pazzo, pazzo!« rief.
Auf diesen Ruf stürzte sogleich ein Straßenjunge aus einem Torweg herbei, und ein Tagedieb, der schon lange nichts anderes zu tun gehabt hatte, als am Boden zu liegen und in den Himmel zu starren, sprang auf und rief mit den anderen beiden:
»Pazzo, pazzo!«
Da nun ihrer drei schrien, genügte der Lärm, um sämtliche Straßenjungen auf die Beine zu bringen. Diese kamen denn auch aus allen Ecken und Winkeln herbeigerannt, und sobald sie Raniero in seinem zerschlissenen Pilgermantel auf seiner erbärmlichen Mähre erblickten, riefen sie: »Pazzo, pazzo!«
Doch an diesen Ruf war Raniero nun schon lange gewöhnt. Er ritt ruhig durch die Straßen, ohne der Rufenden sonderlich zu achten.
Sie aber begnügten sich nicht damit, zu rufen, sondern einer von ihnen sprang empor und wollte die Kerze ausblasen.
Raniero erhob die Hand mit der Kerze und suchte gleichzeitig sein Pferd anzutreiben, um der Bande zu entkommen.
Sie aber hielten gleichen Schritt mit ihm und taten, was sie nur vermochten, um die Kerze auszulöschen.
Je mehr Raniero sich bemühte, die Flamme zu schützen, desto hitziger wurden sie. Sie sprangen einander auf den Rücken, pusteten ihre Backen auf und bliesen mit aller Kraft. Sie warfen ihre Mützen nach der Kerze. Einzig und allein weil ihrer so viele waren, die sich gegenseitig hin und her drängten, gelang es ihnen nicht, die Lichtflamme zu verlöschen.
Ein tolles Treiben herrschte auf der ganzen Straße. In den Fenstern lagen lachende Menschen als Zuschauer. Niemand empfand Mitleid für den Wahnsinnigen, der seine Lichtflamme schützen wollte. Es war Kirchzeit, und viele Kirchenbesucher begaben sich zur Messe. Auch diese blieben stehen und schauten lachend dem Spiel zu.
Raniero stand nun aufrecht im Sattel, um die Kerze zu schützen. Er sah verwildert aus. Die Kapuze war herabgeglitten, und man sah sein Antlitz, das abgezehrt und bleich wie das eines Märtyrers war. Die Kerze hatte er emporgehoben, so hoch er es vermochte.
Die ganze Straße war ein einziges wüstes Gewimmel. Auch die älteren Leute begannen an dem Spiel teilzunehmen. Die Weiber wehten mit ihren Kopftüchern, und die Männer schwangen ihre Baretts. Alle bemühten sich, die Kerze auszulöschen.
Raniero ritt an einem Hause vorüber, das einen Balkon aufwies. Dort stand eine Frau. Sie neigte sich über das Geländer, entriß ihm die Kerze und eilte damit in ihre Zimmer.
Die ganze Menschenmenge brach in schallendes Gelächter und in Jubelrufe aus, Raniero aber wankte im Sattel und stürzte zu Boden.
Als er nun zerschlagen und ohnmächtig dalag, zog sich die ganze Volksmenge sogleich zurück.
Niemand wollte sich des Ohnmächtigen annehmen. Nur sein Pferd blieb neben ihm stehen.
Sobald die Straße menschenleer war, trat Francesca degli Uberti, mit einer brennenden Kerze in der Hand, aus ihrem Hause. Sie war noch immer schön, ihre Züge hatten einen sanften Ausdruck, und ihre Augen waren ernst und tief.
Sie trat auf Raniero zu und neigte sich über ihn. Er lag bewußtlos da, aber sobald der Lichtschein sein Gesicht traf, bewegte er sich und fuhr empor. Es war, als stehe er gänzlich im Bann dieser Lichtflamme. Da Francesca sah, daß er wieder bei Bewußtsein war, sprach sie: »Hier hast Du Deine Kerze. Ich habe sie Dir entrissen, weil ich erkannte, wie sehr Dir daran lag, sie brennend zu erhalten. Ich wußte nicht, wie ich Dir auf andere Weise helfen sollte.«
Raniero hatte sich bei dem Sturz vom Pferde übel zerschlagen und zerschunden. Doch nun konnte ihn nichts mehr zurückhalten. Er richtete sich langsam auf. Er wollte gehen, schwankte jedoch und wäre fast hingestürzt. Da versuchte er sein Pferd zu besteigen. Francesca half ihm dabei. »Wohin willst Du reiten?« fragte sie, als er wieder im Sattel saß. »Ich will zur Domkirche,« antwortete er. »Dann will ich Dich geleiten, denn ich will zur Messe gehen,« sprach sie, faßte den Zügel und führte das Pferd durch die Straßen.
Francesca hatte Raniero sofort wiedererkannt. Er aber sah nicht, wer sie war, denn er nahm sich nicht Zeit und Muße, sie zu betrachten. Er blickte nur unablässig auf die Lichtflamme hin.
Auf dem ganzen Wege schwiegen sie. Raniero dachte nur an seine Lichtflamme und wie er sie wohl in diesen letzten Augenblicken sicher behüten könnte. Francesca aber konnte kein Wort hervorbringen, weil sie innerlich fühlte, daß sie keinen klaren Bescheid über das haben wollte, was sie fürchtete. Sie konnte nur annehmen, daß Raniero als Wahnsinniger heimgekehrt sei. Doch obwohl sie fast überzeugt davon war, mochte sie doch lieber nicht mit ihm reden, um nicht die volle Bestätigung dessen zu erlangen.
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