Während Raniero auf einsamen Wegen ritt und nur daran dachte, die Lichtflamme am Leben zu erhalten, fiel ihm plötzlich ein, daß er schon früher einmal etwas Aehnliches beobachtet haben müsse. Er hatte einst einen Menschen über etwas wachen sehen, was ebenso schonungsbedürftig war wie eine Lichtflamme. Das Ganze stand ihm vorerst so unklar vor Augen, daß er sich fragte, ob er es vielleicht nur geträumt hätte. Aber während er einsam durch das Land zog, kam ihm unablässig der Gedanke wieder, daß er bereits früher einmal Aehnliches beobachtet haben müsse.
»Es ist, als hätte ich Zeit meines Lebens von gar nichts anderem reden hören,« sagte er.
Eines Abends ritt Raniero in eine Stadt hinein. Es war Feierabend, und die Frauen standen in den Türen und schauten nach ihren Männern aus. Eine unter ihnen war hochgewachsen und schlank, sie hatte tiefernste Augen. Bei ihrem Anblick dachte er an Francesca degli Uberti.
Und nun wurde ihm plötzlich klar, worüber er vorher nachgegrübelt hatte. Er mußte daran denken, daß Francescas Liebe sicherlich einer Lichtflamme geglichen hatte, die sie stets brennend erhalten wollte, in steter Furcht, daß Raniero sie in ihrem Herzen auslöschen könnte. Er wunderte sich selber über diesen Gedanken, war aber mehr und mehr davon durchdrungen, daß es sich ganz so verhielt. Und er begann zum erstenmal zu begreifen, weshalb Francesca ihn verlassen hatte, und daß Waffenruhm sie ihm nicht wiederzugewinnen vermochte.
Die Reise Ranieros ging nur sehr langsam vonstatten. Und nicht zum wenigsten deshalb, weil er sie bei jedem ungünstigen Wetter unterbrechen mußte. Er saß dann in irgend einer Karawanserei und bewachte die Lichtflamme, das waren sehr schwere Tage.
Als nun Raniero eines Tages über den Libanon ritt, merkte er plötzlich, daß ein Unwetter im Anzug war. Er befand sich hoch oben zwischen und über gefährlichen Schluchten und Abgründen, weit entfernt von allen menschlichen Behausungen. Endlich gewahrte er auf einem Felsenvorsprung ein sarazenisches Heiligengrab. Es war ein kleiner, viereckiger Steinbau mit einem gewölbten Dach. Er hielt es für das beste, dort Zuflucht zu suchen.
Kaum war Raniero eingetreten, als ein Schneesturm losbrach, der zwei Tage raste. Zugleich wurde es so entsetzlich kalt, daß er fast erfroren wäre.
Raniero wußte zwar, daß es draußen auf dem Berge Zweige und Reisig im Ueberfluß gab, so daß es ihm nicht schwer geworden wäre, Brennholz genug für ein tüchtiges Feuer zu sammeln. Er betrachtete jedoch die Lichtflamme, die er trug, als so heilig, daß er nichts anderes damit anzünden wollte als die Kerzen vor dem Altar der heiligen Jungfrau.
Das Unwetter wurde immer heftiger, und schließlich kam ein wütendes Gewitter mit Blitz und Donner.
Und ein Blitzstrahl schlug dicht vor dem Grabe ein und zündete einen Baum. Und dadurch hatte Raniero Feuer für seinen Holzstoß, ohne daß er die heilige Flamme antasten mußte.
Als Raniero dann später durch einen verödeten Teil der Berggegend von Cilicien ritt, ging es mit seinen Kerzen zur Neige. Der Vorrat, den er aus Jerusalem mitgenommen hatte, war längst verbraucht. Er war aber nicht in Verlegenheit geraten, weil er bisher noch immer an christlichen Gemeinden vorbeigekommen war, von denen er sich neue Kerzen erbetteln konnte.
Doch nun war es mit seinem ganzen Vorrat aus, und er fürchtete, seine Pilgerfahrt müsse ein vorzeitiges Ende nehmen.
Als die Kerze so tief heruntergebrannt war, daß die Flamme ihm beinahe seine Hand versengte, sprang er vom Pferde herab, sammelte Zweige und verdorrtes Gras und entzündete dies mit dem brennenden Kerzenstümpfchen. Aber es gab nicht viel Brennbares auf dem öden Berge, und das Feuer schien bald zu verlöschen.
Indessen Raniero sich noch darüber grämte, daß die heilige Flamme nun doch hinsterben solle, vernahm er vom Wege her frommen Gesang und sah, daß eine Prozession von Wallfahrern, mit Kerzen in den Händen, den Berg erstieg. Sie waren auf dem Wege zu einer Felsenhöhle, in der ein heiliger Mann gelebt hatte, und Raniero schloß sich ihnen an. Es war auch eine Greisin unter ihnen, der das Gehen recht schwer wurde. Dieser half Raniero, indem er sie bergan schleppte.
Als sie ihm dankte, bat er sie durch Zeichen um ihre Kerze, die sie ihm alsogleich gab, worauf auch noch mehrere andere ihm die Kerzen schenkten, die sie in ihren Händen trugen.
Schnell löschte er alle aus, eilte den Pfad hinab und entzündete eine der Kerzen an der letzten Glut des Feuers, das durch die heilige Flamme entstanden war.
Eines Tages war es um die Mittagsstunde sehr heiß geworden, und Raniero hatte sich im dichten Gebüsch zum Schlafen niedergelegt. Er war fest eingeschlafen, und seine brennende Kerze stand zwischen mehreren Steinen neben ihm. Bald nachdem er eingeschlummert war, begann es zu regnen, und es dauerte ziemlich lange, bis er erwachte. Als er endlich aus dem Schlaf emporfuhr, war der Boden ringsumher naß, und er wagte kaum, nach der Kerze hinzublicken, aus Furcht, daß sie erloschen sein könnte.
Aber sie brannte still und gleichmäßig im Regen, und Raniero erkannte auch bald den Grund dieser Erscheinung: Zwei kleine Vöglein flogen flatternd über der Flamme hin und her. Sie schnäbelten sich und hielten ihre kleinen Schwingen ausgebreitet, wodurch sie die Lichtflamme vor dem Regen schützten.
Raniero nahm sofort seine Kappe ab und hängte sie über die Kerze. Dann streckte er die Hand nach den kleinen Vögeln aus, weil er sie gern streicheln wollte. Und sie flogen nicht fort, sondern ließen sich ruhig von ihm haschen.
Raniero war sehr verwundert, daß die Tierchen keine Furcht vor ihm hatten, und er sagte sich: »Es rührt daher, daß sie wissen, wie ich nunmehr keinen anderen Gedanken habe, als das zu schützen, was das am meisten Verletzliche ist, und deshalb ängstigen sie sich nicht vor mir.«
Raniero kam auf seinem Ritt in die Nähe von Nicäa. Dort begegnete er einigen Rittern aus dem Abendlande, die ein neues Hilfsheer nach dem heiligen Lande führten. Unter ihnen befand sich Robert Taillefer, der ein Troubadour war und als wandernder Ritter die Welt durchzog.
Als Raniero in seinem zerschlissenen Pilgermantel, mit der Kerze in seiner Hand, dahergeritten kam, riefen die Kriegsleute, wie gewöhnlich alle, die ihm begegneten: »Ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger!« Doch Robert Taillefer gebot ihnen Schweigen und fragte den Reiter:
»Bist Du solchermaßen weit hergezogen?«
Und Raniero antwortete: »So wie Du mich hier siehst, reite ich von Jerusalem daher.«
»Und ist auf diesem lange Wege Deine Kerze nicht oftmals erloschen?«
»An meiner Kerze brennt noch dieselbe Flamme, die in Jerusalem entzündet ward,« antwortete Raniero.
Da sprach Robert Taillefer zu ihm: »Auch ich bin einer von jenen, die eine Flamme tragen, und ich möchte sie ewig brennend erhalten. Vielleicht vermagst Du, der seine Kerze brennend von Jerusalem bis hierher getragen hat, mir zu künden, was ich tun muß, auf daß sie nimmer erlösche.«
Und Raniero erwiderte: »Herr, das ist ein gar mühselig Tun, wiewohl es geringfügig erscheinen mag. Ich möchte Euch nie und nimmer zu solch einem Beginnen zureden, denn diese kleine Flamme fordert von Euch, daß Ihr gänzlich unterlasset, an irgend etwas anderes zu denken. Sie gestattet Euch nicht, eine Herzliebste zu haben, so Ihr danach Verlangen traget, auch dürfet Ihr um der Flamme willen nimmer wagen, an einem Trinkgelage teilzunehmen. Ihr dürfet an nichts anderes denken als an diese Flamme, und keine andere Freude darf Euch erfüllen. Aber warum ich Euch am allermeisten widerrate, die gleiche Pilgerfahrt zu unternehmen, die ich jetzt versucht habe, das ist der Gedanke an das Gefühl der beständigen Unsicherheit. Wie vielen Gefahren Ihr auch die Flamme entrissen haben möget, so könntet Ihr Euch doch keinen Augenblick sicher wähnen, sondern müßtet in steter Angst schweben, daß der nächste Augenblick Euch dennoch ihrer berauben könnte.«
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