Stefan Zweig - Marie Antoinette

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Mit vierzehn wurde sie verheiratet, mit achtzehn Königin von Frankreich und zwanzig Jahre später öffentlich hingerichtet. Marie Antoinette, Frau des Königs Ludwig XVI. und das berühmteste Opfer der französischen Guillotine, porträtiert als eine starke, aber ungewöhnliche Frau, in einer ebenso dramatischen wie tragischen Biographie von Stefan Zweig.

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Die Übergabe Marie Antoinettes soll Abschied von allen und allem veranschaulichen, was sie mit dem Hause Österreich verbindet; auch hierfür haben die Zeremonienmeister ein besonderes Symbol ersonnen: nicht nur darf niemand ihres heimatlichen Gefolges sie über die unsichtbare Grenzlinie begleiten, die Etikette heischt sogar, daß sie keinen Faden heimatlicher Erzeugung, keinen Schuh, keinen Strumpf, kein Hemd, kein Band auf dem nackten Leibe behalten dürfe. Von dem Augenblicke an, da Marie Antoinette Dauphine von Frankreich wird, darf nur Stoff französischer Herkunft sie umhüllen. So muß sich im österreichischen Vorzimmer die Vierzehnjährige vor dem ganzen österreichischen Gefolge bis auf die Haut entkleiden; splitternackt leuchtet für einen Augenblick der zarte, noch unaufgeblühte Mädchenleib in dem dunklen Raum; dann wird ihr ein Hemd aus französischer Seide übergeworfen, Jupons aus Paris, Strümpfe aus Lyon, Schuhe des Hofkordonniers, Spitzen und Maschen; nichts darf sie als liebes Andenken zurückbehalten, nicht einen Ring, nicht ein Kreuz – würde die Welt der Etikette denn nicht einstürzen, bewahrte sie eine einzige Spange oder ein vertrautes Band? – nicht ein einziges von den seit Jahren gewohnten Gesichtern darf sie von jetzt an um sich sehen. Ist es ein Wunder, wenn in diesem Gefühl so jäh ins Fremde-gestoßen-Seins das kleine, von all diesem Pomp und Getue erschreckte Mädchen ganz kindhaft in Tränen ausbricht? Aber sofort heißt es wieder Haltung bewahren, denn Aufwallungen des Gefühls sind bei einer politischen Hochzeit nicht statthaft; drüben im andern Zimmer wartet schon die französische Suite, und es wäre beschämend, mit feuchten Augen, verweint und furchtsam diesem neuen Gefolge entgegenzutreten. Der Brautführer, Graf Starhemberg, reicht ihr zum entscheidenden Gange die Hand, und französisch gekleidet, zum letztenmal gefolgt von ihrer österreichischen Suite, betritt sie, zwei letzte Minuten noch Österreicherin, den Saal der Übergabe, wo in hohem Staat und Prunk die bourbonische Abordnung sie erwartet. Der Brautwerber Ludwigs XV. hält eine feierliche Ansprache, das Protokoll wird verlesen, dann kommt – alle halten den Atem an – die große Zeremonie. Sie ist Schritt für Schritt errechnet wie ein Menuett, voraus geprobt und eingelernt. Der Tisch in der Mitte des Raumes stellt symbolisch die Grenze dar. Vor ihm stehen die Österreicher, hinter ihm die Franzosen. Zuerst läßt der österreichische Brautführer, Graf Starhemberg, die Hand Marie Antoinettes los; statt seiner ergreift sie der französische Brautführer und geleitet langsam, mit feierlichem Schritt das zitternde Mädchen um die Flanke des Tisches herum. Während dieser genau ausgesparten Minuten zieht sich, langsam nach rückwärts gehend, im selben Takt, wie die französische Suite der künftigen Königin entgegenschreitet, die österreichische Begleitung gegen die Eingangstür zurück, so daß genau in demselben Augenblick, da Marie Antoinette inmitten ihres neuen französischen Hofstaates steht, der österreichische bereits den Raum verlassen hat. Lautlos, musterhaft, gespenstig-großartig vollzieht sich diese Orgie der Etikette; nur im letzten Augenblick hält das kleine verschüchterte Mädchen dieser kalten Feierlichkeit nicht mehr stand. Und statt kühl gelassen den devoten Hof knicks ihrer neuen Gesellschaftsdame, der Komtesse de Noailles, entgegenzunehmen, wirft sie sich ihr schluchzend und wie hilfesuchend in die Arme, eine schöne und rührende Geste der Verlassenheit, die vorzuschreiben alle Großkophtas der Repräsentation hüben und drüben vergaßen. Aber Gefühl ist nicht eingerechnet in die Logarithmen der höfischen Regeln, schon wartet draußen die gläserne Karosse, schon dröhnen vom Straßburger Münster die Glocken, schon donnern die Artilleriesalven, und, von Jubel umbrandet, verläßt Marie Antoinette für immer die sorglosen Gestade der Kindheit: ihr Frauenschicksal beginnt.

Der Einzug Marie Antoinettes wird eine unvergeßliche Feststunde für das mit Festen schon lange nicht mehr verwöhnte französische Volk. Seit Jahrzehnten hat Straßburg keine künftige Königin gesehen und vielleicht noch nie eine derart bezaubernde wie dieses junge Mädchen. Aschblonden Haars, schlanken Wuchses lacht und lächelt das Kind mit blauen, übermütigen Augen aus der gläsernen Karosse den unermeßlichen Scharen zu, die, in schmucker elsässischer Landestracht aus allen Dörfern und Städten herangeströmt, den prunkvollen Zug umjubeln. Hunderte weißgekleideter Kinder schreiten blumenstreuend dem Wagen vorauf, ein Triumphbogen ist aufgerichtet, die Tore sind bekränzt, auf dem Stadtplatz fließt Wein aus dem Brunnen, ganze Ochsen werden auf Spießen gebraten, Brot aus riesigen Körben an die Armen verteilt. Abends werden alle Häuser illuminiert, feurige Lichtschlangen züngeln den Münsterturm empor, durchsichtig erglüht das rötliche Spitzenwerk der göttlichen Kathedrale. Auf dem Rhein gleiten, Lampions wie glühende Orangen tragend, zahllose Schiffe und Barken mit farbigen Fackeln, in den Bäumen schimmern, von Lichtern angestrahlt, bunte Glaskugeln, und von der Insel her flammt, allen sichtbar, als Abschluß eines grandiosen Feuerwerks, inmitten mythologischer Figuren das verschlungene Monogramm des Dauphins und der Dauphine. Bis tief in die Nacht zieht das schaulustige Volk die Ufer und Straßen entlang, Musik dudelt und dröhnt, an hundert Stellen schwingen Männer und Mädchen sich munter im Tanz; ein goldenes Zeitalter des Glücks scheint mit dieser blonden Botin aus Österreich gekommen, und noch einmal hebt das verbitterte, verärgerte Volk Frankreichs sein Herz heiterer Hoffnung entgegen.

Aber auch dieses großartige Gemälde birgt einen kleinen versteckten Riß, auch hier hat ebenso wie in die Gobelins des Empfangssaales das Schicksal symbolisch ein Unheilszeichen eingewoben. Als am nächsten Tage Marie Antoinette vor der Abfahrt noch die Messe hören will, begrüßt sie am Portal der Kathedrale statt des ehrwürdigen Bischofs dessen Neffe und Koadjutor an der Spitze der Geistlichkeit. In seinem flutenden violetten Gewände etwas weibisch aussehend, hält der mondäne Priester eine galant-pathetische Ansprache – nicht umsonst hat ihn die Akademie in ihre Reihen gewählt –, die in den höfischen Sätzen gipfelt: »Sie sind für uns das lebendige Bildnis der verehrten Kaiserin, welche seit langem Europa ebenso bewundert, wie die Nachwelt sie verehren wird. Die Seele Maria Theresias vereint sich nun mit der Seele der Bourbonen.« Ehrfürchtig ordnet sich nach der Begrüßung der Zug in den blauschimmernden Dom, der junge Priester geleitet die junge Prinzessin zum Altar und hebt mit feiner, beringter Liebhaberhand die Monstranz. Es ist Louis Prinz Rohan, der als erster in Frankreich ihr Willkommen bietet, der spätere tragikomische Held der Halsbandaffäre, ihr gefährlichster Gegner, ihr verhängnisvollster Feind. Und die Hand, die jetzt segnend über ihrem Haupte schwebt, ist dieselbe, die ihr Krone und Ehre später in Schmutz und Verachtung schleudern wird.

Nicht lange darf Marie Antoinette in Straßburg, im halbheimatlichen Elsaß, bleiben: wenn ein König von Frankreich wartet, wäre jedes Zögern Verstoß. An brausenden Ufern des Jubels vorbei, durch Triumphpforten und bekränzte Tore steuert die Brautfahrt endlich dem ersten Ziel entgegen, dem Walde von Compiègne, wo mit riesiger Wagenburg die königliche Familie ihr neues Mitglied erwartet. Hofherren, Hofdamen, Offiziere, die Leibgarden, Trommler, Trompeter und Bläser, alle in neuen schimmernden Kleidern, stehen in bunter Rangordnung geschart; der ganze mailichte Wald leuchtet von diesem flackernden Farbenspiel. Kaum künden Fanfaren beider Gefolge das Nahen des Hochzeitszuges, so verläßt Ludwig XV. seine Karosse, um die Frau seines Enkels zu empfangen. Aber schon eilt mit ihrem vielbewunderten leichten Schritt Marie Antoinette ihm entgegen und kniet mit anmutigstem Knicks (nicht umsonst Schülerin des großen Tanzmeisters Noverre) vor dem Großvater ihres zukünftigen Gatten nieder. Der König, von seinem Hirschpark her ein guter Kenner frischen Mädchenfleisches und höchst empfänglich für graziöse Anmut, biegt sich zärtlich-zufrieden herab zu dem jungen blonden appetitlichen Ding, hebt die Enkelsbraut empor und küßt sie auf beide Wangen. Dann erst stellt er ihr den zukünftigen Gemahl vor, der, fünf Fuß zehn Zoll hoch, steifleinen und tölpelig-verlegen zur Seite steht, jetzt endlich die verschlafenen kurzsichtigen Augen hebt und ohne sonderliche Beflissenheit seine Braut, der Etikette gemäß, formell auf die Wange küßt. In der Karosse sitzt Marie Antoinette zwischen Großvater und Enkel, zwischen Ludwig XV. und dem zukünftigen Ludwig XVI. Der alte Herr scheint eher die Rolle des Bräutigams zu spielen, angeregt plaudert er und macht ihr sogar ein wenig den Hof, indes der zukünftige Gatte sich gelangweilt und stumm in seine Ecke drückt. Abends, da die Verlobten und per procurationem bereits Vermählten in ihren abgesonderten Zimmern schlafen gehen, hat der triste Liebhaber noch kein einziges zärtliches Wort zu diesem entzückenden Backfisch gesprochen, und in sein Tagebuch schreibt er als Resümee des entscheidenden Tages einzig die dürre Zeile: »Entrevue avec Madame la Dauphine.«

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