»Wen?« rief der Fürst.
»Aglaja.«
»Das glaube ich nicht! Das ist nicht möglich! Was sollten sie dabei für eine Absicht gehabt haben?«
Er sprang vom Stuhl auf.
»Auch ich glaube es nicht, wiewohl sichere Anzeichen dafür vorhanden sind. Sie ist ein eigenwilliges Mädchen, ein phantastisches Mädchen, ein verrücktes Mädchen! Und boshaft ist sie, boshaft! Lebenslänglich werde ich behaupten, daß sie boshaft ist! Alle meine Töchter haben sich jetzt in dieser Weise verändert, sogar die mattherzige Alexandra; aber bei Aglaja ist es rein zum Tollwerden. Aber ich glaube es auch nicht! Vielleicht deswegen, weil ich es nicht glauben will«, fügte sie wie für sich hinzu.
»Warum bist du denn nicht zu uns gekommen?« wandte sie sich plötzlich wieder an den Fürsten. »Warum bist du die ganzen drei Tage nicht gekommen?« rief sie ihm ungeduldig zum zweitenmal zu.
Der Fürst begann seine Gründe anzuführen; aber sie unterbrach ihn von neuem.
»Alle halten sie dich für einen Dummkopf und betrügen dich! Du bist gestern nach der Stadt gefahren; ich möchte wetten, du hast auf den Knien gelegen und diesen Schuft gebeten, die zehntausend Rubel anzunehmen!«
»Keineswegs; ich habe gar nicht daran gedacht. Ich habe ihn überhaupt nicht besucht, und außerdem ist er kein Schuft. Ich habe einen Brief von ihm erhalten.«
»Zeig ihn mal her!«
Der Fürst nahm einen Zettel aus seiner Brieftasche und reichte ihn Lisaweta Prokofjewna hin. Auf dem Zettel stand:
»Geehrter Herr! Ich habe freilich in den Augen der Menschen nicht das geringste Recht, Ehrgefühl zu besitzen; nach der Meinung der Leute stehe ich dazu zu niedrig. Aber so ist das nur in den Augen der Menschen, nicht in den Ihrigen. Ich bin zu der bestimmten Überzeugung gelangt, daß Sie, geehrter Herr, besser als andere sind. Ich bin darin nicht Doktorenkos Meinung und trenne mich in diesem Punkt von ihm. Ich werde von Ihnen nie auch nur eine Kopeke annehmen; aber Sie haben meine Mutter unterstützt, und dafür muß ich Ihnen dankbar sein, wenn auch nur aus Schwäche. Jedenfalls sehe ich Sie jetzt mit anderen Augen an und hielt für nötig, Ihnen das mitzuteilen. Des weiteren aber bin ich der Ansicht, daß zwischen uns keinerlei Beziehungen mehr bestehen können. Antip Burdowski.
P.S. Die an den zweihundertfünfzig Rubeln fehlende Summe wird Ihnen im Laufe der Zeit sicher zurückgezahlt werden.«
»So ein Blödsinn!« rief Lisaweta Prokofjewna nach dem Durchlesen und warf dem Fürsten das Blatt wieder hin.
»Es lohnte nicht der Mühe, es durchzulesen. Was schmunzelst du?«
»Geben Sie doch zu, daß auch Sie es mit Vergnügen gelesen haben!«
»Wie? Diesen von Eitelkeit durchtränkten Unsinn? Siehst du denn nicht, daß diese Menschen alle vor Stolz und Eitelkeit geradezu verrückt geworden sind?«
»Ja, aber er hat sich schuldig bekannt, hat mit Doktorenko gebrochen, und je eitler er ist, um so schwerer muß das seiner Eitelkeit gefallen sein. Ach, was sind Sie für ein kleines Kind, Lisaweta Prokofjewna!«
»Du möchtest wohl zum Schluß eine Ohrfeige von mir bekommen, was?«
»Nein, das möchte ich nicht. Ich sage das, weil Sie sich über den Brief freuen und es verbergen. Warum schämen Sie sich Ihrer Empfindungen? So machen Sie es immer.«
»Untersteh dich nicht, je wieder den Fuß über meine Schwelle zu setzen!« rief Lisaweta Prokofjewna und sprang, ganz blaß vor Zorn, auf. »Laß dich nie wieder bei mir blicken!«
»Aber nach drei Tagen werden Sie selbst herkommen und mich zu sich rufen ... Sie sollten sich schämen! Das sind ja Ihre besten Empfindungen; warum schämen Sie sich ihrer denn? Sie quälen sich ja nur selbst damit.«
»Ich will eher sterben, als daß ich dich jemals rufe! Ich werde deinen Namen vergessen! Ich habe ihn schon vergessen!«
Sie stürzte von dem Fürsten weg.
»Es war mir sowieso schon verboten worden, zu Ihnen zu gehen!« rief ihr der Fürst nach.
»Wa-as? Wer hat es dir verboten?«
Sie wandte sich augenblicklich um, wie wenn jemand sie mit einer Nadel gestochen hätte. Der Fürst zauderte zu antworten; er merkte, daß er unbedachtsamerweise sich arg verplappert hatte.
»Wer hat es dir verboten?« rief Lisaweta Prokofjewna wütend.
»Aglaja Iwanowna hat es mir verboten ...«
»Wann? So – re-de – doch!«
»Heute vormittag hat sie mir die Weisung zugehen lassen, ich möchte mich nie wieder erdreisten, zu Ihnen zu kommen.«
Lisaweta Prokofjewna stand wie versteinert da; aber sie suchte sich die Sache zurechtzulegen. »Was hat sie dir geschickt? Wen hat sie geschickt? Den dummen Jungen? Mit einer mündlichen Bestellung?« rief sie wieder.
»Ich habe ein Billett erhalten«, versetzte der Fürst.
»Wo ist es? Gib es her! Augenblicklich!«
Der Fürst überlegte einen Augenblick, zog dann aber aus der Westentasche ein gewöhnliches Stückchen Papier heraus, auf dem geschrieben stand:
»Fürst Ljow Nikolajewitsch! Wenn Sie nach allem, was vorgefallen ist, beabsichtigen sollten, mich durch einen Besuch in unserem Landhaus in Erstaunen zu versetzen, so mögen Sie wissen, daß ich nicht zu denjenigen gehören werde, die sich darüber freuen. Aglaja Jepantschina.«
Lisaweta Prokofjewna dachte ein Weilchen nach; dann stürzte sie plötzlich auf den Fürsten zu, ergriff ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her.
»Komm! Sofort! Nun gerade sofort, augenblicklich!« rief sie in einem Anfall starker Aufregung und Ungeduld.
»Aber Sie setzen mich ja der Gefahr aus ...«
»Was für einer Gefahr? Du harmloser Tropf! Gerade als ob du kein Mann wärst! Na, jetzt werde ich selbst alles mit eigenen Augen sehen ...«
»Aber lassen Sie mich doch wenigstens meinen Hut nehmen ...«
»Da ist dein garstiger Hut, komm! Du hast nicht einmal so viel Geschmack gehabt, dir eine ordentliche Fasson auszusuchen ...! Das hat sie ... das hat sie infolge des Auftritts von heute vormittag getan ... in der Aufregung«, murmelte Lisaweta Prokofjewna, indem sie den Fürsten hinter sich herzog und seine Hand keinen Augenblick losließ. »Vorhin habe ich dich noch verteidigt und habe laut erklärt, es sei dumm von dir, daß du nicht kämst ... Sonst hätte sie ja auch nicht einen so sinnlosen Brief geschrieben! Einen so unpassenden Brief, ganz unpassend für ein anständiges, wohlerzogenes, kluges, kluges Mädchen ...! Hm«, fuhr sie fort, »oder ... oder vielleicht ... vielleicht hat sie sich selbst darüber geärgert, daß du nicht kamst, und nur nicht recht bedacht, daß man an einen Idioten so nicht schreiben kann, weil er es wörtlich auffaßt, wie es ja auch geschehen ist. Warum horchst du denn?« rief sie, da sie merkte, daß sie zu viel gesagt hatte. »Sie braucht einen Hansnarren, wie du einer bist; so einen hat sie schon lange nicht gesehen; darum lädt sie dich ein zu kommen! Und ich freue mich, ich freue mich, daß sie dich jetzt bei den Ohren kriegen wird, ich freue mich! Das geschieht dir ganz recht! Und sie versteht das, oh, das versteht sie vorzüglich!«
Es wird bei uns fortwährend darüber geklagt, daß es keine Praktiker gebe; Politiker zum Beispiel gebe es eine Menge, desgleichen eine Menge von Generalen; auch könne man Direktoren aller Art auf der Stelle so viele finden, als man nur irgend wolle; aber an Praktikern mangle es. Wenigstens ist es die allgemeine Klage, daß es daran mangle. Selbst bei manchen Eisenbahnen ist, wie man sagt, kein ordentliches Personal vorhanden; bei einer Dampfschiffahrts-Gesellschaft einen halbwegs erträglichen Betrieb herzustellen, ist, wie es heißt, ein Ding der Unmöglichkeit. An einer Stelle sind, wie man hört, auf einer neu eröffneten Strecke ein paar Züge zusammengestoßen oder mit einer zusammenbrechenden Brücke hinabgestürzt; an einer andern Stelle hat, wie man in der Zeitung liest, ein Zug mitten in einem Schneefeld beinah überwintern müssen: die Passagiere waren ausgefahren in der Erwartung, daß die Fahrt einige Stunden dauern werde, und mußten fünf Tage im Schnee zubringen. Wieder an einer andern Stelle faulen, wie erzählt wird, viele tausend Pud Ware auf ein und demselben Fleck, zwei, drei Monate lang in Erwartung des Abtransports, und der betreffende Expedient hat dem Vernehmen nach (es ist übrigens kaum zu glauben) dem kaufmännischen Kommis, der auf die Absendung seiner Ware drang, statt sein Verlangen zu erfüllen, einen Schlag ins Gesicht versetzt und dann sein Benehmen damit entschuldigt, daß er sagte, er sei »in Eifer geraten«. Im Staatsdienst haben wir, wie es scheint, so viele Ämter, daß es einem angst und bange wird, wenn man nur daran denkt; alle Leute haben Ämter bekleidet, tun es jetzt oder beabsichtigen, es zu tun; warum ist es da nicht möglich, aus einem so großen Menschenmaterial ein anständiges Betriebspersonal bei einer Dampfschiffahrts-Aktiengesellschaft zu bilden?
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