von der Hazienda aus nur vier hatten, so standen die Posten eigentlich nur einen Zweidritteltagesritt auseinander, und wenn wir so ritten, wie Winnetou und ich es gewohnt waren, mußten wir heute schon vor Abend auf den ersten treffen, was aber nicht in meinem Plane lag. Ich wollte die fünf Roten des Abends in der Dunkelheit überrumpeln, und so mußten wir also entweder schnell reiten und irgendwo Halt machen, oder einen so langsamen Schritt annehmen, daß wir erst mit der Dunkelheit bei dem Posten anlangten. Ich entschloß mich aus guten Gründen für das erstere.
Was nun die Mimbrenjos betraf, auf deren Hilfe ich hoffte, so war leicht zu berechnen, wann sie bei uns eintreffen konnten. Wenn unser Bote sich beeilte, was gar nicht zu bezweifeln war, und die dreißig Mann seiner Anweisung sofort folgten, worauf ich jedenfalls auch rechnen konnte, so war es für sie möglich, in drei Tagen bei der Hazienda zu sein und dann an irgend einem Punkte, an welchem wir sie erwarten würden, genau nach derselben Zeit einzutreffen, die wir selbst brauchten, um von der Hazienda aus dorthin zu gelangen.
Ob sie den Weg kannten, wußten wir nicht, konnten uns aber auf ihre Findigkeit verlassen; dennoch aber, und damit sie sich nicht mit unnötigem Suchen aufzuhalten brauchten, machten wir eine Fährte, welche noch nach Tagen zu sehen war, und sorgten außerdem für verschiedene Zeichen, aus denen sie erkennen konnten, daß sie sich auf unserer Spur befanden. Die Zeichen bestanden in Steinen, welche wir in auffälliger Weise unterwegs zusammenlegten und in Aesten, welche wir an Stellen, wo es gesehen werden mußte, abbrachen und an einen andersartigen Baum befestigten. Ein Eichenzweig z. B. an einer Tanne, oder ein Fichtenast an einer Buche ist für den Indianer und wohl auch für jeden nachdenkenden Weißen, wenn er offene Augen hat, ein untrüglicher Beweis, daß sich jemand da befunden und den Ast oder Zweig als einen Fingerzeig zurückgelassen hat.
Der Player ritt zwischen Winnetou und mir, der junge Indianer hinter uns. Wenn ich zurückblickte, sah ich, daß der letztere den ersteren scharf im Auge hatte, damit es diesem, trotzdem er sich zwischen uns befand, ja nicht gelingen möge, auf irgend eine Weise seine Fesseln zu lockern.
Die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, würde zu Weitläufigkeiten führen. Sie steigt nach der hohen Sierra auf und ist destomehr bewaldet, je höher man kommt. An Wasser hat man keine Not zu leiden, denn wenn es auch hier und da ein unfruchtbares Felsenplateau giebt, so ist man doch bald darüber hinweg.
Ich war noch niemals hier gewesen. Ob Winnetou den Weg kannte, den wir heute zurückzulegen hatten, wußte ich nicht; er sagte nichts. Der Player aber mußte annehmen, daß er uns bekannt sei, da wir ihn nicht nach demselben fragten. Eine solche Frage war ganz unnötig, weil wir die Spur noch sahen, welche er gestern zurückgelassen hatte. Ob er selbst sie noch sehen konnte, bezweifelte, da sie auf längeren Strecken so schwer zu erkennen war, daß Augen, wie Winnetou sie besaß, dazu gehörten, sie zu unterscheiden.
Um die Mittagszeit machten wir an einem Wasser kurzen Halt, um die Pferde zu tränken; dann ging es wieder weiter bis um die Mitte des Nachmittages, wo wir an einer Waldesecke anhielten, weil wir da nach drei Seiten offene Aussicht hatten. Der Player wurde vom Pferde genommen und ins Gras gelegt. Wir setzten uns zu ihm, um zu essen, und er erhielt auch seinen Teil. Wir hatten unterwegs kein Wort mit ihm gesprochen; jetzt war anzunehmen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befanden; es galt, genau zu erfahren, wo derselbe lag, und so machte ich dem bisherigen Schweigen ein Ende, indem ich sagte:
»Als Ihr gestern hier vorüberkamt, habt Ihr wohl nicht gedacht, Master, daß Ihr Euch schon heute wieder hier befinden würdet, und zwar als Gefangener?«
»Ich hier vorübergekommen?« antwortete er. »Wenn Ihr das annehmet, so befindet Ihr Euch sehr im Irrtume.«
»Macht keine Flausen! Ich weiß nicht nur, daß Ihr hier gewesen seid, sondern ich sehe aus Eurer Fährte, daß Ihr Euch hier umgedreht habt, um zurückzublicken. Besinnt Euch nur! Eure Augen sind nicht scharf genug, die Spur noch zu sehen; die meinigen aber bemerken recht wohl, daß Ihr das Pferd gewendet habt.«
»Es ist nicht wahr!« behauptete er. »Ich bin noch niemals hier an dieser Ecke gewesen.«
»Hm! Ihr scheint vergessen zu haben, was Euch bevorsteht, falls Ihr auf den dummen Gedanken kommen solltet, uns täuschen zu wollen! Ich bin nichts weniger als ein Menschenfresser; aber wenn jemand mich für einen Dummrian hält, so nimmt er mich von einer Seite, welche meine schwache ist, und muß gewärtig sein, daß ich explodiere. Merkt Euch das! Ihr seid ein schlauer Gast und habt schon manchen Mann übertölpelt; bei uns aber gelingt Euch dieses nicht. Wollt Ihr also eingestehen, daß Ihr hier gewesen seid und hier angehalten habt?«
Er wußte nicht, ob er gestehen oder leugnen solle, und schwieg also.
»Soll ich Euch den Mund wieder öffnen, so wie ich Euch heute früh zum Reden gebracht habe? Um Euch Eure Lage klar zu machen, will ich Euch aufrichtig sagen, daß es uns nicht in den Sinn kommt, Euch etwas zu thun, falls ihr den Verstand besitzt, Euch in dieselbe zu schicken; falls Ihr aber meint, uns betrügen zu können, so habt Ihr Euch eine Rechnung gemacht, welche wir mit einem einzigen Querstriche quittieren. Von mir will ich nicht sprechen; aber meint Ihr etwa der Mann zu sein, der einen Winnetou irre zu führen vermag? Wir wissen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befinden. Wir würden ihn auch ohne Euch entdecken; wir brauchen ja nur Eure Spur weiter zu verfolgen, doch können wir dadurch Zeit gewinnen, daß Ihr uns die Stelle sagt.«
»Das darf ich nicht; es wäre ein Verrat,« antwortete er.
»Gebt Euch doch nicht auf einmal das Ansehen eines ehrlichen und gewissenhaften Mannes! Wer soviel auf dem Gewissen hat, wie Ihr, dem pflegt es auf etwas mehr oder weniger nicht anzukommen. Uebrigens verlange ich nichts Böses von Euch. Was ich von Euch fordere, ist keine Schande, sondern eine gute That. Entschließt Euch kurz; wir haben keine Zeit! Seid Ihr uns zu Willen, dann gut; wo nicht, so werdet Ihr sehen, was geschieht! Wollt Ihr uns nun sagen, wo der Posten sich befindet?«
Bei dieser Frage ergriff ich eine seiner Hände und drückte dieselbe, daß die Knöchel knackten.
»Haltet ein, haltet ein!« rief er. »Ich will es sagen!«
»Dann gut! Aber redet die Wahrheit! Bis jetzt haben wir keinen Grund, Euch ans Leben zu gehen, und darum versicherte ich Euch, daß es nicht unsere Absicht ist, Euch etwas zu thun; aber falls Ihr uns durch Lügen Fatalitäten bereiten solltet, so gebt Ihr uns die Veranlassung, welche wir jetzt noch nicht haben, und das Messer oder eine Kugel ist Euer Lohn! Wo steht der Posten?«
»Nicht weit von hier,« antwortete er, den Blick starr und bang auf meine Hand gerichtet, mit welcher ich die seinige noch fest umschlossen hielt.
»Wie lange reitet man bis dorthin?«
»Eine gute halbe Stunde.«
»Beschreibt die Gegend! Aber ein einziger unwahrer Buchstabe oder Laut kostet Euch das Leben!«
»Von hier aus geht es über das Grasland, welches Ihr hier vor Euch liegen seht. Dann kommt man wieder an einen Wald, welcher sich bergauf zieht. Jenseits der Höhe giebt es einen Wassertümpel, und an diesem liegt der Posten.«
»Ist der Wald dicht?«
»Ja. Aber es führt ein lichter Streif, fast wie ein ausgehauener Weg nach der Höhe und nach dem Tümpel.«
»Kann man von der Höhe aus den offenen Plan, über den wir reiten müssen, überblicken?«
»Nein. Die Bäume sind zu hoch.«
»Haben die fünf Indianer an dem Tümpel zu bleiben?«
»Natürlich; aber da sie sich durch die Jagd mit Fleisch versorgen müssen, ist es leicht möglich, daß einer von ihnen sich diesseits der Höhe befindet und uns kommen sieht.«
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