»Natürlich! Den berühmten Winnetou vorstellen zu können, ist ein Vorzug, um den mich alle meine Freundinnen lebenslang beneiden werden.«
Es handelte sich also um eine Schaustellung, und ich freute mich schon im voraus auf die Antwort des Apatschen. Uebrigens wurde sogleich schon von zwei anderen Seiten Einwand erhoben. Nämlich der Beamte, welcher gar wohl bemerkt hatte, welchen Eindruck der schöne Indianer auf seine Frau gemacht hatte, mochte eine Anwandlung von Eifersucht empfinden und kam zu ihr herüber, um ihr einige zwar leise, aber eindringliche Bemerkungen in das Ohr zu flüstern. Sie schob ihn, ohne ihn aussprechen zu lassen, einfach zurück. Den andern Einwand erhob der Haziendero, indem er zu mir sagte:
»Bis morgen wollen Sie hier bleiben? Das ist nicht möglich! Sie müssen noch heute mit mir nach der Ha-Hazienda. Sie müssen mir behilflich sein, meine Besitzung zurückzuerlangen!«
Da dies in einem Tone gesprochen war, als ob sich die Erfüllung seines Wunsches ganz von selbst verstehe, als ob er das Recht besitze, eine solche Forderung auszusprechen, so antwortete ich: »Ich muß? Wer behauptet das? Es giebt für mich kein Müssen.«
»Das habe ich auch nicht sagen wollen; aber die Rücksicht auf Ihre Ehre und auf mich erfordert, daß Sie keinen Augenblick zögern, das zu vollenden, was Sie angefangen haben.«
»An die Rücksicht auf meine Ehre brauche ich nicht erinnert zu werden. Nichts, was ich thue, geschieht, ohne daß ich meine Ehre dabei in Betracht ziehe. Ich bin keineswegs entehrt, wenn ich mich jetzt um Ihre Hazienda nicht mehr kümmere. Und sodann reden Sie von einer Rücksicht für Sie. Was oder wer verpflichtet mich denn, Sie zu berücksichtigen? Ich kam zu Ihnen und warnte Sie; Sie jagten mich fort; ich mußte sogar die Beleidigungen Ihres unverschämten Majordomo mit Gewalt von mir weisen, und Sie sahen vom Fenster aus zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich bat Sie, Melton nicht mitzuteilen, daß ich Sie vor ihm gewarnt hatte, und als er kam, hatten Sie nichts Eiligeres zu thun, als ihm Wort für Wort alles mitzuteilen. Diese Schwatzhaftigkeit hätte mich in den sicheren Tod getrieben, wenn ich nicht der gewesen wäre, der ich bin; denn Melton ritt mit uns, um mir aufzulauern und mich umzubringen; aber da ich dies erriet, lief er in meine, anstatt ich in seine Hände.«
»Warum werfen Sie mir das vor?« fragte er. »Vorwürfe können nichts ändern.«
»An dem Geschehenen können sie freilich nichts ändern, aber auf das, was geschehen wird, werden sie jedenfalls Einfluß haben. Ich hoffe sogar, daß meine wohlberechtigten Vorwürfe den von mir beabsichtigten Erfolg haben werden, daß Sie selbst sich ändern.«
»Sennor, Sie werden unhöflich!«
»Nein, sondern nur aufrichtig, und zwar zu Ihrem Besten. Als Sie mich hinausgeworfen hatten, blieb ich doch in der Nähe Ihrer Besitzung. Sie hatten mir verboten, die Grenze derselben zu überschreiten; ich konnte also die notwendigen Beobachtungen nicht bei Ihnen machen und war gezwungen, die Indianer zu belauschen. Dabei geriet ich in die Hände derselben. Ihr Verbot hat mich also in die Gefangenschaft getrieben. Meinen Sie, daß ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet bin? Sie sind übrigens dafür bestraft worden, denn nur meine Gefangenschaft ermöglichte es den Yumas, den Ueberfall glücklich auszuführen. Dennoch behielt ich trotz meiner eigenen Hilflosigkeit Ihren Verlust im Auge, und als ich mich befreit hatte, dachte ich sofort daran, Ihnen wieder zu Ihrem Eigentume zu verhelfen. Daß mir dies gelungen ist, habe ich erzählt. Ihr Eigentum ist gerettet, und Ihre Herden befinden sich unterwegs zu Ihnen. Das habe ich Ihnen gesagt. Aus meiner Erzählung wissen Sie, welche Anstrengung es gekostet hat und in welche Gefahr besonders Winnetou und ich mich begeben haben, um die Yumas und ihre Beute in unsere Gewalt zu bekommen. Sagen Sie einmal, ob Sie dies gewagt und auch fertiggebracht hätten!«
»Wohl schwerlich, Sennor.«
»Schön! Und nachdem Sie das alles erfahren haben, fordern Sie mich auf, Ihnen weiterzuhelfen. Sie bitten nicht, sondern Sie fordern. Nun frage ich Sie, welches Interesse ich für Sie oder an Ihnen habe? Sie haben gehört, was wir für Sie gethan haben; aber haben Sie auch nur ein einziges Wort des Dankes hören lassen? Ich wurde von Ihnen beleidigt, hinausgeworfen, in die Gefangenschaft getrieben, habe für Sie mein Leben gewagt und soll es wohl auch ferner wagen, und Sie sagen mir kein einziges Wort, während ich mich herzlich bedanke, wenn mir jemand einen Schluck Wasser bietet! Das meinte ich, als ich davon sprach, daß Sie sich zu ändern haben. Ich bin hier ein deutscher Barbar genannt und sogar gefragt worden, ob ich lesen kann, mache aber die Erfahrung, daß man hier nicht einmal weiß, daß einer, für den ein anderer sein Leben in die Schanze geschlagen hat, die heilige Verpflichtung besitzt, sich bei diesem zu bedanken. Und ich habe für Sie noch mehr gethan! Das war eine lange Rede; der kurze Sinn derselben ist: Sehen Sie nun selbst, wie Sie weiterkommen! Ich habe keine Lust, mich als Dank für meine Güte an meine Pflicht und Ehre erinnern zu lassen!«
Ich that, als ob ich gehen wolle; da ergriff er mich beim Arme und bat:
»Bleiben Sie doch, Sennor, bleiben Sie! Was ich unterließ, ist aus Vergeßlichkeit unterblieben!«
»Da kennen Sie sich nicht so gut, wie ich Sie trotz der kurzen Zeit kennen gelernt habe. Es ist nicht Vergeßlichkeit, sondern etwas anderes. Sie halten sich für so erhaben über einen deutschen Barbaren und sogar über einen Mann, wie Winnetou, daß Sie nicht zu bitten, sondern nur zu fordern und zu gebieten haben. Gehen Sie doch einmal hinüber nach Deutschland, um zu erfahren, daß dort jeder Knabe mehr weiß und mehr gelernt hat, als Sie in ihrem ganzen Leben jemals wissen und lernen werden! Und die Herrschaften, welche sich hier so bequem in ihren Matten schaukeln, mögen die finsteren und blutigen Gründe des wilden Westens aufsuchen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das kleinste Glied des kleinen Fingers von Winnetou mehr Kraft, Geschick und Adel besitzt, als in euerm Ures überhaupt zu finden ist.
Ich bin hier nicht heute, sondern schon vorher von oben herab behandelt worden; jetzt schaut einmal von unten herauf, ob ich nicht die Veranlassung und das Recht besitze, euch zur Anklage zu bringen! Ich habe hier um Schutz für die Einwanderer nachgesucht und bin abgewiesen worden. Ihr habt den Kauf abgeschlossen und damit die braven Leute mit ihren Kindern in die Gewalt eines Verbrechers getrieben. Sagt mir einmal, was ich eigentlich hiernach zu thun hätte!«
Ich bekam keine Antwort; sie schwiegen. Da steckte der Apatsche den Kopf zur Thür herein und fragte: »Ist mein Bruder fertig? Winnetou hat keine Lust, hier länger zu verweilen.« Rasch war der Haziendero bei ihm, nahm seine Hand und bat:
»Kommen Sie noch einmal herein, Sennor! Ich bitte Sie dringend. Sie wissen, daß ich ohne Ihren Rat nichts machen kann.«
Der Apatsche trat herein, sah ihn ernst an und meinte:
»Hat das Bleichgesicht sich bei meinem Bruder Shatterhand bedankt?«
Es war wirklich, als ob er allwissend sei! Mit seiner kurzen Frage brachte er ganz denselben Vorwurf, über den ich eine so lange Rede gehalten hatte.
»Es fand sich noch keine Gelegenheit dazu. Wir haben uns ja noch nicht ausgesprochen,« lautete die Entschuldigung. »Sie wollen bis morgen hier bleiben?«
Winnetou nickte. Und doch hatte ich es nicht mit ihm verabredet. Aber es verstand sich ganz von selbst, daß wir auch hier die gleichen Gedanken hatten.
»Darüber vergeht aber eine kostbare Zeit, in welcher Wichtiges gethan werden könnte!« erinnerte der Haziendero.
»Das Wichtigste ist, daß unsere Pferde Kräfte bekommen,« entgegnete Winnetou. »Von welchen Leistungen redet überhaupt das Bleichgesicht? Old Shatterhand und Winnetou haben nichts dagegen, wenn es seine Absicht ist, noch heute etwas zu leisten. Er mag es immerhin thun, aber selbst!«
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