»Mein Bruder mag bedenken, daß die Pferde der Ruhe bedürfen; wir sind einen ganzen Tag und einen halben auf einem Wege geritten, zu welchem man eigentlich über vier Tage braucht. Unsere Rosse halten den Ritt nach Ures wohl auch noch aus; aber die Mimbrenjo-Pferde sind so ermüdet, daß wir ihnen eine weitere Anstrengung unmöglich zumuten können.«
»Ich mute sie ihnen auch nicht zu. Wir beide werden allein reiten, und die Knaben bleiben hier, wo ihre Gegenwart uns förderlich ist, während ihre Begleitung uns nur hindern würde.«
»Mein Bruder meint, daß sie nach dem Player spähen sollen?«
»Ja. Er kehrt jedenfalls zurück, wenn auch in sehr vorsichtiger Weise. Mich hat er nicht gekannt, also weiß er nicht, daß wir uns in einer ihm feindlichen Absicht hier befinden. Er wird unsere Anwesenheit für eine zufällige halten und nicht gleich hinauf nach der Fuente rennen, um dieselbe dort zu melden. Freilich hat er Angst vor dir und wird also nur heimlich zurückkommen, um zu sehen, ob du noch da oder schon fortgeritten bist. Sieht er uns nicht mehr, so wird er sich sicher fühlen, und die beiden Mimbrenjos können ihn beobachten, um zu erkunden, was er treibt und welche Aufgabe ihm hier auf der verwüsteten Hazienda
geworden ist.«
»Es mag geschehen, wie mein Bruder gesagt hat. Sie mögen ihn beaufsichtigen und ihn nicht aus dem Auge lassen, aber vorsichtig und unbemerkt, damit er nicht etwa sie selbst entdeckt. Wenn wir von Ures zurückkehren, können sie uns sagen, wo er steckt, und wir werden ihn festnehmen, um ihn zu zwingen, uns das zu sagen, was wir wissen wollen.«
Winnetou war also mit mir einverstanden. Den Mimbrenjos brauchten wir unsern Entschluß nicht erst mitzuteilen, da sie unsere Worte gehört hatten; doch verstand es sich bei ihrer Jugend ganz von selbst, daß sie in Beziehung auf ihr Verhalten die notwendigen Anweisungen bekamen. Wir beide, Winnetou und ich, ließen unsere Pferde im Bache tüchtig trinken und brachen dann, ohne eigentlich ausgeruht zu haben, nach Ures auf.
Der Weg war mir bekannt; ich hatte ihn ja schon einmal gemacht. Solange es Tag war, ritten wir so rasch wie möglich; als es dunkel geworden war, ließen wir die Pferde drei bis vier Stunden ruhen, bis der Mond aufging und wir wieder in den Sattel stiegen. Der Vortrefflichkeit unserer Pferde hatten wir es zu verdanken, daß wir unser Ziel um die Mittagszeit des folgenden Tages erreichten; aber wir hätten ihnen auch keine weitere Anstrengung zumuten dürfen, denn sie waren nun so ermattet, daß sie uns stolpernden Ganges durch die ersten Gassen trugen und wir, ohne lange zu suchen und zu wählen, vor der ersten besten sich uns bietenden Kneipe abstiegen. So elend dieselbe auch aussah, wir bekamen doch Wein und Tortilla für uns und Mais und Wasser für die Pferde. Um die Zeche brauchte ich nicht zu sorgen. Ich habe zwar bereits gesagt, wie es um meinen Beutel stand; aber Winnetou war stets, wenn nicht mit Geld, so doch mit Goldstaub und Nuggets versehen, sodaß ich in seiner Gesellschaft nicht wohl in Verlegenheit kommen konnte.
Wo aber nun hin, um Melton und den Haziendero zu finden? Eine überflüssige Frage! Wer in der Wildnis jeden, den er sucht, zu treffen versteht, für den kann es nicht schwer sein, in einer Stadt von neuntausend Einwohnern zwei Personen zu finden, welche als Fremde sicher die Aufmerksamkeit der Bürger auf sich gezogen hatten. Es fiel mir übrigens nicht ein, lange zu fragen und zu suchen, sondern ich begab mich, als wir für unsere Pferde gesorgt und die fladenartige Tortilla gegessen hatten, mit Winnetou direkt zu dem famosen Beamten, bei dem ich während meiner vorigen Anwesenheit in dieser guten Stadt gewesen war. Der Polizist, welcher mich damals zurechtgewiesen hatte, lungerte wieder vor der Expedition herum, und als wir diese betraten, lag die Sennora wieder in ihrer Hängematte. Hinter ihr hing, wie damals, ihr Gemahl; neben ihr aber war heute eine dritte Hängematte angebracht, in welcher zu meiner Freude einer der beiden Gesuchten saß; nämlich der Haziendero, welcher eine der famosen Cigaretten zwischen den Lippen hielt und sich gemächlich schaukelte. Er schien sich neben der ebenso rauchenden Dame sehr behaglich zu fühlen. Als er uns eintreten sah, rief er, ohne unsern Gruß abzuwarten, mir entgegen:
»Per Dios, der Deutsche! Was wollen denn Sie hier? Ich denke, Sie sind Gefangener der Indianer! Wie kommt es, daß man Sie freigelassen hat?«
»Auch Sie waren gefangen,« antwortete ich, »und ich sehe Sie frei. Welchem Umstande haben Sie das zu verdanken?«
»Meine Dankbarkeit gehört Sennor Melton, ohne den ich noch, heute gefangen oder wohl tot sein würde. Er wußte den Roten solche Angst vor den Folgen und der Strafe zu machen, daß sie uns freiließen. Hatten Sie auch einen solchen Fürsprecher?«
»Ja, mein Messer.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß ich mich selbst freigemacht habe. Einen Sprecher wie Melton brauchte ich nicht, hätte ihm auch meine Freiheit nicht verdanken mögen. Uebrigens irren Sie sich, wenn Sie meinen, daß Sie ihm Dankbarkeit schuldig sind. Ich habe Sie vor ihm gewarnt und damals mit meiner Warnung vollständig recht gehabt.«
»Vollständig unrecht, wollen Sie sagen, Sennor! Sennor Melton hat als Ehrenmann an mir gehandelt, und nach dem, was er an mir gethan hat, möchte ich es fast als Böswilligkeit bezeichnen, daß Sie ihn noch immer verleumden, nachdem ich Sie schon einmal zurechtgewiesen habe!«
»Wenn Sie den Menschen einen Ehrenmann nennen, so ist der größte Schuft ein Caballero. Nennen Sie es denn wirklich eine Ehrenhaftigkeit, wenn er die Indianer auf Sie hetzt, um Ihre Besitzung zu verwüsten?«
»Er? Sie haben diesen unbegreiflichen Gedanken schon einmal gegen mich ausgesprochen, und da meine damalige Entgegnung erfolglos gewesen zu sein scheint, werde ich Ihnen auf das schlagendste beweisen, wie unrecht Sie diesem braven Manne thun. Wie Sie dazu kommen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen und mir Ratschläge zu erteilen, welche ich gar nicht von Ihnen verlangt habe, das will ich dahingestellt sein lassen und Ihnen nur das Eine sagen, was Sie jedenfalls noch nicht wissen, nämlich daß er mir meine Hazienda abgekauft hat.«
»Das? Das weiß ich!«
»So? Sie wissen es? Und dennoch wagen Sie es, den Sennor zu verdächtigen! Und Sie erkennen nicht, welch ein edler Zug es von ihm ist, daß er sich zu diesem Kaufe entschlossen hat?«
»Ein edler? Wieso?«
»Durch die Verwüstung, welche die Roten angerichtet haben, hat die Besitzung beinahe allen Wert verloren. Es hätte großer Kapitalien und langer Jahre bedurft, sie wieder in den vorigen Stand zu bringen. Ich war mit einem Schlag ein armer Mann geworden, und kein Mensch hätte mir auch nur einen Centavo für die Hazienda geboten. Dieser Herr aber fühlte sich durch meine hilflose Lage in seinem guten Herzen gerührt und bot sich mir, als wir wieder frei waren, als Käufer an.«
»So! Und Sie waren sehr erfreut über diese außerordentliche Barmherzigkeit?«
»Spotten Sie nicht! Es war wirklich Barmherzigkeit von ihm, daß er mir eine Summe zahlte, welche er binnen zehn Jahren mit dieser Besitzung nicht verdienen kann. Was sage ich, zehn Jahre! Zwanzig und dreißig muß ich sagen! Solange hat er sein schweres Geld hineinzustecken, ohne daß er einen Centavo herauszieht.«
»Darf ich fragen, wieviel er gegeben hat?«
»Zweitausend Pesos. Mit diesem Gelde kann ich neu beginnen, während ich auf der verwüsteten Hazienda hätte verhungern müssen.«
»Der Kauf ist nun gerichtlich abgeschlossen und nicht mehr rückgängig zu machen?«
»Nein. Ich würde übrigens der dümmste Mensch sein, wenn ich den Gedanken hegen könnte, dies zu thun.«
»Er hat die zweitausend Pesos bezahlt?«
»Ja, gleich nachdem wir den Handel besprochen hatten.«
Читать дальше