»Weil er mit dir gegangen ist? Zu sehen, ob die Yumas sich in der Schlucht befinden, das ist kein Heldenstück. Einen Feind ausspähen, das kann jeder Mimbrenjoknabe.«
»Aber einen Feind niederschlagen und gefangen nehmen, kann das auch jeder eurer Knaben? Der deinige hat es gethan. Hier vor dir steht der Yuma, welchen er gefangen hat.«
»Rede die Wahrheit! Du selbst hast ihn gefangen und dann meinem Knaben geschenkt, wie du demselben
auch schon mein Leben geschenkt hast.«
»Nein. Er hat es gethan, er allein. Ich ging fort; er lauerte dem Yuma auf, schlug ihn nieder und band ihn mit dem Lasso. Als ich wiederkam, war alles geschehen, sodaß ich nichts mehr dabei zu thun hatte.«
Da ging dem Alten doch das Herz auf. Er erhob sich, legte seinem zweiten Sohne die Hand auf das Haupt und sprach:
»Du bist mein jüngerer Sohn, brauchst aber deinen älteren Bruder nicht um seinen Namen und seine Tapferkeit zu beneiden, denn Old Shatterhand ist bei uns und wird dir die Wege zeigen, auf denen du auch einen solchen Namen zu erlangen vermagst. Der Gefangene ist dein und wird am Marterpfahle von dir den Todesstreich erhalten.«
»Sorge dafür, daß sie alle auch wirklich an den Marterpfahl kommen,« bedeutete ich ihm. »Wir müssen die Gefangenen jetzt deiner Aufsicht übergeben, und lassen dazu die Hälfte deiner Krieger bei dir zurück.«
»Mit der andern Hälfte wollet ihr die andern Yumas fangen? Und ich soll hier bleiben und nicht mit euch gehen? Warum wollet ihr mich nicht mitnehmen?«
»Weil einer von uns dreien, du, Winnetou und ich, hier bleiben muß und wir wissen, daß deine Wachsamkeit größer als die unserige ist. Die Gefangenen gehören dir, also mußt du sie auch bewachen.«
»Mein weißer Bruder hat recht. Solange ich hier bin, wird es keinem der Hunde gelingen, uns zu entkommen. Ihr könnt ohne Sorge gehen.«
»Das thun wir auch. Halte dich bereit, uns nachzukommen, sobald wir dir einen Boten senden!«
Nun wurden diejenigen, welche uns begleiten sollten, bestimmt; dann stiegen wir zu Pferde und ritten, bis wir am Ausgange der Schlucht angekommen waren, wo wir abstiegen und die Pferde einigen Wächtern übergaben.
Geritten waren wir, um schneller anzukommen, sonst wäre die Ablösung vor uns dagewesen, hätte den Posten vermißt und Lärm geschlagen. Die Ankunft der Ablösung mußte nun jeden Augenblick erfolgen. Da der Mann die Pferde vielleicht hören konnte, ging ich ihm mit Winnetou entgegen. Die Richtung wußte ich ja. Einige hundert Schritte von der Schlucht blieben wir stehen, um zu warten. Es dauerte kaum zwei Minuten, so hörten wir ihn kommen. Wir gingen auseinander, ich nach links, Winnetou nach rechts, und als der Yuma zwischen uns hindurch wollte, wurde er von beiden Seiten gepackt und in die Schlucht zu den Wächtern der Pferde geschafft.
Darauf ging ich mit Winnetou, die Yumas zu beschleichen. Sie hatten noch immer keine Feuer brennen; dennoch waren wir schon nach einer halben Stunde wieder zurück, um unsere Leute zu holen und ihnen ihre Anweisungen zu geben. Die Feinde hatten es uns leicht gemacht. Sie saßen alle in der ungefähren Mitte ihres jetzigen Weideplatzes beisammen, und nur vier von ihnen patrouillierten außerhalb des Platzes hin und her, um die Tiere zusammenzuhalten. Wenn es uns gelang, die vier ohne Lärm aufzuheben, so konnten wir die andern leicht umzingeln, so daß sie sich ohne Gegenwehr ergeben mußten. Im andern Falle aber waren wir gezwungen, auf sie zu schießen.
Glücklicherweise stellte sich heraus, daß dies nicht notwendig war. Die vier wurden unschwer überwältigt; einem von ihnen teilte ich alles mit, was geschehen war und schickte ihn, als wir die andern umzingelt hatten, zu diesen, um ihnen den Stand der Dinge klar zu machen und ihnen zu sagen, daß wir nur zehn Minuten auf ihren Entschluß, sich zu ergeben, warten, im Weigerungsfalle aber dann auf sie schießen würden. Sie waren so klug oder auch so feig, die zehn Minuten gar nicht verstreichen zu lassen, bevor sie sich uns auslieferten.
Nun wurden zunächst einige Feuer angebrannt und die Pferde herbeigeholt; dann schickten wir dem »starken Büffel« einen Boten, um ihm sagen zu lassen, daß er mit seinen andern Mimbrenjos und den Gefangenen kommen solle. Als dies geschehen war, entwickelte sich ein sehr reges Lagerleben. Wir betrachteten das geraubte Vieh als Eigentum des Haziendero, nahmen uns aber dennoch die Freiheit, einige Stücke davon zu schlachten, um Fleisch zu haben. Das kleine Opfer konnten wir verlangen, da wir gesonnen waren, ihm den Raub zurückzubringen. Zwischen mir und Winnetou wurde beschlossen, gleich morgen mit den Herden nach der Hazienda aufzubrechen. Als wir dies dem Häuptlinge der Mimbrenjos sagten, fragte er:
»Was soll indessen mit den Gefangenen geschehen?«
»Sie sind dein. Mache mit ihnen, was du willst,« antwortete Winnetou.
»So werde ich sie sofort nach den Weideplätzen meines Stammes bringen, wo wir über sie Gericht halten werden.«
»Dazu brauchst du Leute; ich aber kann doch mit Old Shatterhand die Herden nicht allein nach der Hazienda treiben!«
»Ich werde euch fünfzig Männer mitgeben, welche euch helfen.«
Das hatten wir erwartet und nahmen das Anerbieten natürlich augenblicklich an. Für mich galt es nun, mit dem »großen Munde« zu sprechen, um das Nötige über den Mormonen und seine Absichten zu erfahren. Ich war freilich überzeugt, daß er sich hüten werde, mir die Wahrheit zu sagen, hoffte aber, indirekt wenigstens soviel zu erfahren, daß ich das übrige durch Schlüsse zu ergänzen vermochte. Ich brauchte das Gespräch mit ihm gar nicht zu beginnen, ihm gar nicht merken zu lassen, wieviel mir an der Sache lag; ich war vielmehr überzeugt, von ihm angeredet zu werden, sobald er mich in seiner Nähe sehen würde. Darum gab ich mir den Anschein, die Fesseln der Gefangenen untersuchen zu wollen, und kam dabei auch zu ihm.
Als ich seine Riemen betastete, fragte er in zornigem Tone, doch so, daß nur ich es hörte:
»Warum hast du meine Krieger überfallen?«
»Weil sie unsere Feinde sind.«
»Aber warum thust du es, da du doch dein Versprechen halten und sie wieder freigeben mußt?« »Ich mußte ihnen doch die geraubten Tiere abnehmen, da ich sie dem Haziendero zurückbringen will.« »Dem Don Timoteo Pruchillo?« »Ja.«
»Der ist ja gar nicht mehr Haziendero!« lachte er. »Wer denn?«
»Das Bleichgesicht, welches ihr Melton nennt.« »Melton? Wie kommt der dazu, Haziendero zu sein?«
»Er hat die Hazienda dem Don Timoteo abgekauft. Willst du etwa ihm die Tiere bringen?«
»Fällt mir nicht ein! Ich schaffe sie zu Timoteo Pruchillo.« »Den findest du nicht. Er ist aus dem Lande hinaus.« »Woher weißt du das?«
»Von Melton, der es so mit Weller beschlossen hatte.«
»Also befindet sich Melton jetzt als Besitzer auf der Hazienda?«
»Nein.«
»Wo ist er denn?« »Auf - in - -«
Er hielt stockend inne; er hatte mir eine Antwort geben wollen, sich aber anders besonnen, und als ich meine Frage wiederholte, äußerte er:
»Ich weiß es nicht.«
»Soeben wolltest du es mir doch sagen! Dann sage mir, was aus den weißen Einwanderern geworden ist!« »Sie müssen - - sie sind - - sie befinden sich - -« Er stockte wieder.
»So rede doch!« forderte ich ihn auf.
»Ich weiß auch dieses nicht.«
»Aber ich hörte es dir an, daß du es weißt!«
»Ich kann es unmöglich wissen. Alle die Männer und Leute, von denen du redest, waren meine Gefangenen. Du weißt, daß ich sie freigelassen habe. Wie kann ich wissen, was sie dann gethan haben und wo sie sich befinden!«
»Du mußt es wissen, denn du hast die Pläne Meltons kennen gelernt. Er hat dich aufgefordert, die Hazienda zu überfallen.«
»Wer hat dir diese Lüge gesagt?«
»Es ist keine Lüge, sondern die Wahrheit. Als Melton mit den Einwanderern unterwegs war, hast du ihn mit Weller aufgesucht und das Nötige verabredet.«
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