»Ja, auch ihr habt mit zu bestimmen; aber ich habe versprochen, diesmal nicht auf euch zu horchen. Ja, ich habe noch viel, viel mehr versprochen.«
»Noch mehr! Was?«
»Den "großen Mund" und alle seine Leute heimlich zu befreien, indem ich ihre Fesseln durchschneide.«
»Das, das hast du versprochen, das?!« fuhr er mich wütend an. »Wie konntest du wagen, dies zu tun! Wie konntest du ohne unsere Zustimmung - - -«
Er kam nicht weiter, denn Winnetou ergriff ihn so fest beim Arme, daß er vor Schmerz die Rede vergaß, und ermahnte ihn:
»Warum schreit mein roter Bruder wie ein altes Weib, welchem die Zähne schmerzen! Soll der "große Mund" hören, was wir sprechen? Hat er jemals vernommen, daß Old Shatterhand ohne Ueberlegung handelt? Wenn er ein gutes Versprechen gegeben hat, so wird er es halten; ist es aber ein schlechtes, so hat er es gegeben, weil er weiß, daß er es nicht zu halten braucht.«
»Aber Old Shatterhand pflegt jedes Versprechen zu halten!«
»Wenn die Bedingungen erfüllt werden, unter denen er es gegeben hat.«
»So! Bedingungen!« brummte der noch immer zornige Häuptling. Und dann fuhr er mich bissig an: »Behalte deine Bedingungen für dich; ich mag sie nicht wissen!«
Damit wendete er sich von uns ab und warf sich in ziemlicher Entfernung von uns ins Gras nieder. Ueber Winnetous Züge glitt ein Lächeln, doch sagte er nichts. Ich glaubte ihm eine Mitteilung schuldig zu sein, und bemerkte:
»Ich habe das Versprechen gegeben, weil ich ganz genau wußte---«
»Pshaw!« unterbrach er mich. »Was Old Shatterhand thut, ist gut; er hat nicht nötig, sich bei mir zu entschuldigen. Ich weiß, daß er den Yuma betrügen wird, weil dieser ihn betrügen will. Der "starke Büffel" ist ein sehr tapferer Häuptling, aber seinem Auge fehlt die Schärfe, und seine Gedanken reichen nur soweit, wie er den Tomahawk werfen kann. Sein Zorn ist schnell groß und schnell wieder klein. Sein Herz ist gut; er wird Old Shatterhand um Verzeihung bitten.«
Wenn Winnetou sprach, so mußte jeder Zorn weichen und jedes etwaige Gekränktsein sich beschwichtigen. Er beobachtete das Lager, in welchem sich die Aufregung jetzt gelegt hatte. Die Yumas standen in ruhiger Verhandlung beisammen und wendeten sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, um unsere Aufstellung zu betrachten. Noch war die halbe Stunde nicht vergangen, so kehrte einer der drei Boten zurück und meldete:
»Die drei ältesten Yumakrieger wünschen "Old Shatterhand, Winnetou und den "starken Büffel" zu sprechen. Dürfen sie kommen?«
»Ja, aber unbewaffnet.«
»Und werden sie, auch wenn ihr nicht einig werdet und sie lieber kämpfen wollen, nach dem Lager zurückkehren dürfen, ohne daß ihnen etwas geschieht?«
»Sie sind Abgesandte; sie können gehen, woher sie gekommen sind.«
Der Mann lief nach dem Lager, um diesen Bescheid zu überbringen, und bald darauf sahen wir die drei Angemeldeten kommen. Sie hatten ihre Decken und sogar die Oberkleider abgelegt, damit wir sehen sollten, daß sie nicht etwa eine Waffe versteckt bei sich trugen. Der »starke Büffel« hatte, als er sah, um was es sich handelte, sich uns wieder zugesellt.
Die drei gingen an ihrem Häuptlinge vorüber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen, was aber keineswegs ein Zeichen der Verachtung war. Sie kamen jetzt als Bevollmächtigte ihrer Kameraden, weshalb es in diesem Augenblicke keinen Häuptling für sie gab. Bei uns dreien stehen bleibend und sich leicht verneigend, grüßten sie uns, dann wendete sich der eine, welcher wahrscheinlich der älteste von ihnen war, mit den höflichen Worten an mich:
»Der "große Mund", der Häuptling der Yumas, ist gefangen und hat uns befohlen, uns auch zu ergeben. Old Shatterhand hat die Bedingungen mit ihm besprochen. Soweit das Gedächtnis unserer ältesten Krieger reicht, ist ein solcher Fall nicht vorgekommen; darum sind die Yumas zusammengetreten, um ohne ihren Häuptling einen Entschluß zu fassen, und haben uns zu dir gesandt, um uns zu überzeugen, ob der Befehl, den wir erhalten haben, nicht abzuändern ist. Wirst du mit deinen beiden berühmten roten Brüdern uns die Erlaubnis geben, die Krieger zu sehen, welche uns eingeschlossen haben und wie sie aufgestellt worden und bewaffnet sind?«
»Kein Anführer zeigt dem Feinde das, was ihr zu sehen begehrt,« antwortete ich ihnen. »Auch ist soeben die Zeit vorüber, welche ich euch gegönnt habe; ich hätte also das Recht, das Feuer beginnen zu lassen; aber ich achte eure Gründe und weiß, daß es für euch keine Rettung giebt; darum sei euch euer Wunsch erfüllt. Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, wird euch unter seine
Obhut nehmen, damit euch unterwegs kein Leid geschieht. Geht also jetzt, und kehrt spätestens nach einer Viertelstunde wieder, um mir euern Entschluß mitzuteilen. Das ist die letzte Frist, welche ich euch geben kann.«
Sie wendeten sich ab, um Winnetou zu folgen, der ihren Führer machte. Sie gingen unsere ganze Linie, auch die im Walde liegende, ab. Als sie zurückkehrten, kämpfte das Tagesgrauen schon mit dem Mondeslichte. Auch in den Gesichtern der drei Männer gab es einen Kampf, dessen äußere Spuren sie nicht sehen lassen wollten und doch nicht ganz zu unterdrücken vermochten; es war der Kampf zwischen Stolz und Notwendigkeit. Sie blieben mit gesenkten Blicken eine Weile schweigend vor uns stehen; dann sagte derjenige, welcher schon vorher gesprochen hatte:
»Old Shatterhand befand sich in unserer Gewalt, und es ist ihm doch nichts geschehen. Wird er jetzt nun seine ganze Strenge gegen uns walten lassen?«
»Daß mir nichts geschehen ist, das habe ich nicht euch zu verdanken. Was nützen die Worte? Die Krieger der Yumas mögen mir sagen, was sie beschlossen haben!«
»Wir haben erkannt, daß der "große Mund", unser Häuptling, nicht anders beschließen konnte, als er beschlossen hat. Die Läufe eurer Gewehre sind von allen Seiten auf uns gerichtet, und unsere Pferde, deren Schnelligkeit uns hätte forttragen können, habt ihr uns genommen, während wir schliefen.«
»So ergebt ihr euch?«
»Wir sind deine Gefangenen.«
Er betonte das Wort »deine« besonders, jedenfalls nicht ohne Grund. Er wollte mein Gefangener sein, weil ich versprochen hatte, sie freizulassen.
»So geht jetzt, um die Waffen abzuliefern, doch einzeln. Es darf keiner eher kommen, als bis der vorherige abgefertigt ist.«
»Dürfen wir nicht wenigstens unsere Heiligtümer behalten?«
»Der große Geist hat gewollt, daß ihr in unsere Hände fallt; sein Angesicht ist von euch gewendet, und so sind eure Heiligtümer wertlos geworden; aber ich will euch nicht so tief erniedrigen und kränken. Ihr sollt eure Kalumets und Medizinen behalten dürfen.«
Das war wenigstens eine Erleichterung für ihre niedergeschlagenen Seelen. Ist schon der zufällige Verlust der Medizin ein schwer auszugleichender Schaden, so bedeutet es geradezu eine unauslöschliche Schande, wenn ein Indianer seinem siegreichen Feinde die Medizin und dazu gar das Kalumet übergeben muß.
Sie schickten sich an, nach dem Lager zurückzukehren. Als sie zehn oder fünfzehn Schritte gegangen waren, blieb der Sprecher stehen, wendete sich um und sah zu mir zurück. Es lag in seinem Blicke eine deutliche Aufforderung für mich, zu ihm zu kommen, da er mir etwas zu sagen habe. Ich wußte, was es
war, und ging ihm nach.
»Old Shatterhand mag verzeihen, daß ich noch einmal rede!« sagte er. »Ich weiß, daß die beiden andern Anführer es nicht hören dürfen.«
»Sprich, aber fasse dich kurz!«
»Ist es wahr, daß Old Shatterhand versprochen hat, uns heimlich freizulassen?«
»Ja, wenn euer Häuptling sein Versprechen erfüllt.«
»Welches?«
»Er hat mir nicht erlaubt, es euch zu sagen.« »Aber wenn er es nicht erfüllt?«
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