Sie blieben halten, nicht etwa infolge meines Befehls, sondern vor Schreck, und starrten mir mit weit geöffneten Augen in das jetzt unverhüllte Gesicht.
»Uff!« stieß der Sprecher hervor. »Das ist Old Shatterhand!«
»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« wiederholten die beiden andern.
»Ja, Old Shatterhand ist's,« nickte ich, das Gewehr mit der Mündung noch immer auf sie richtend, »Wendet nicht um, sonst schieße ich! Ihr wollt mich fangen und seid nun selbst gefangen. Ich will euch aber frei lassen und euch die Erlaubnis geben, zu eurem Häuptling zurückzugehen. Laßt eure Gewehre fallen!«
Sie hatten ihre Flinten, wie Indianer bei jeder fremden Begegnung zu thun pflegen, in den Händen, doch nicht schußbereit. Sie wagten nicht, sie gegen mich zu erheben, gehorchten aber doch nicht sogleich.
»Schnell, sonst schieße ich! Ich warte nicht!« donnerte ich sie an. »Eins - zwei ---«
Ich hatte noch nicht »drei« gesagt, so ließen sie die Gewehre aus ihren Händen und von den Pferden herab auf die Erde fallen.
»Steigt ab, und tretet auf die Seite!«
Sie gehorchten aus Angst vor der Mündung meines Stutzens.
»Jetzt lauft zurück! Wer von euch sich umsieht, solange ich ihn zu sehen vermag, bekommt die Kugel!«
Sie rannten augenblicklich in vollstem Laufe davon. Es war eigentlich zum Lachen, wie sie so davonschossen. Als sie mich noch fest hatten, spotteten und höhnten sie über mich; jetzt aber liefen sie wie die Hasen.
Ich brauchte gar nicht zu warten, bis sie verschwunden waren, denn ich war überzeugt, daß sie nicht wagen würden, sich umzudrehen. Ich stieg ab, um ihre Gewehre aufzunehmen und mich ihrer Pferde, welche beim Verschwinden ihrer Herren unruhig geworden waren, zu versichern. Da sah ich auch schon meinen Mimbrenjo im vollen Galoppe aus dem Busche geritten kommen, um mir zu helfen.
»Uff, uff!« rief er mir schon von weitem zu. »Old Shatterhand ist ein großer Zauberer; ihm gelingen alle, selbst die schwersten Medizinen!«
»Das war nicht schwer,« antwortete ich.
»Ohne Kampf drei Feinde zu entwaffnen und ihnen noch dazu die Pferde abzunehmen? Das soll nicht schwer sein! Wer hätte das vorhin gedacht! Als du sagtest, daß du mit ihnen reden wollest, war ich voller Sorge um dich!«
»Ich hatte einen Verbündeten.«
»Ja, du hattest einen, denn ich stand mit deinem Bärentöter, den ich aber nicht halten konnte, sondern auf die Gabel eines Busches legen mußte, bereit, sofort zu schießen, falls sie Miene machen sollten, sich gegen dich zu wehren.«
»Das war sehr brav, wenn auch unnötig. Ich meine einen andern Verbündeten, nämlich die Ueberraschung. Durch diese wurde die Angst verdoppelt, welche sie vor meinen Gewehren haben. Doch wir müssen fort, denn ihre Kameraden können jeden Augenblick erscheinen.«
Wir befestigten die drei Gewehre an den Sattelknöpfen der erbeuteten Pferde; der Mimbrenjo nahm ein Pferd, ich zwei am Zügel, dann ritten wir davon, erst langsam durch den Busch und, als wir ihn hinter uns, vor uns aber freies Land hatten, im Galopp. Diese Schnelligkeit hielten wir aber nur solange ein, bis wir weit genug entfernt waren, um nicht gefährdet zu werden. Als wir die Büsche nur noch als dünnen Streifen hinter uns liegen sahen, blieben wir halten, und zwar in wohl erwogener Absicht. Es kam uns ja darauf an, die Verfolger hinter uns her zu locken, und so mußten wir uns zuweilen von ihnen sehen lassen, um ihre Energie neu zu beleben.
Indem wir jetzt ruhig nebeneinander auf den Pferden saßen, bemerkte ich, daß der Mimbrenjo verstohlene, verlangende Blicke auf mich richtete, und erriet, daß er gern wissen wollte, was ich mit den drei Yumas gesprochen hatte. Ich erzählte es ihm. Als Knabe konnte er eine solche Vertraulichkeit nicht verlangen, umsomehr aber war er stolz darauf, daß ich ihm diese Mitteilungen machte. Als ich zu Ende war, blickte er sinnend vor sich nieder und sagte dann:
»Bei Old Shatterhand lernt man von Stunde zu Stunde immer mehr. Hat man die Vorteile erfahren, welche ein Krieger sich zu nutze machen muß, so hört man bald darauf wieder, wie man es anzufangen hat, von jemand das zu erfahren, was er einem nicht sagen soll. Wir wissen nun fast alles!«
»O, noch lange nicht! Die Hauptsache ist mir verborgen geblieben.«
»Will Old Shatterhand mir mitteilen, welche Sache das ist?«
»Gern. Zunächst wissen wir, daß wir fünfzig Verfolger hinter uns haben, und zwar unter Anführung des Häuptlings selbst. Was wird daraus zu schließen sein?«
»Daß die Herden und die verwundeten Krieger bis zur Rückkehr dieser fünfzig nicht weiter ziehen, sondern da liegen bleiben, wo wir sie verlassen haben.«
»Richtig! Ferner wissen wir, daß Melton und die beiden Weller frei sind, daß auch der Haziendero nicht mehr gefangen ist und daß sogar die weißen, fremden Einwanderer freigelassen worden sind.«
»Ist das nicht genug?«
»Nein.«
»Aber es kam dir doch eigentlich wohl nur darauf an, sie zu retten! Nun sind sie frei.«
»Sie sind frei, aber wo? Sie sollen von den Brüdern der Yumas, also von andern Yumas, in die Berge geführt werden. Das kommt mir verdächtig vor. Welche Berge sind gemeint? Was sollen sie dort? Sie kamen doch aus ihrer Heimat in dieses Land, um auf der Hazienda del Arroyo zu arbeiten. Wozu schafft man sie da, noch dazu durch feindliche Indianer, in unbekannte Berge?«
»Das vermag ich nicht zu sagen,« meinte der Knabe in drolliger Aufrichtigkeit.
»Tröste dich darüber, denn ich weiß es auch nicht, werde aber nicht ruhen, bis ich es erfahren habe. Ferner: Der Haziendero hat mit Melton nach Ures gewollt. Was treiben sie dort? Ich würde unter andern Umständen diese Reise für eine ganz unverdächtige Sache halten; aber Melton hat die Indianer herbeigelockt und von ihnen die Hazienda überfallen, ausrauben und einäschern lassen.
Nun reitet er mit dem zu Grunde gerichteten Besitzer nach Ures, während die fremden Arbeiter desselben, welche bei dem Ueberfalle auch alle ihre geringe Habe verloren haben, von Indianern in die Berge geführt werden. Der Haziendero gehört dahin, wo sie sind; warum trennt man sie?«
»Glaubst du, das erfahren zu können?«
»Ja. Ich werde, sobald wir die Herden gerettet haben, unbedingt nach Ures reiten. Und nun endlich, wo sind die Yumas, welche da, wo ich getötet werden sollte, zur Bewachung der gefangenen Weißen zurückgelassen worden sind? Sind die Gefangenen wirklich frei, so können die Wächter ihrem vorangezogenen Häuptlinge nachfolgen. Sie können schnell reiten, während wir wegen der Herden nur langsam vorwärts kamen; sie könnten also hier sein.«
»Vielleicht begegnen wir ihnen heute noch!«
»Das ist möglich, und darum müssen wir uns vorsehen, damit wir ihnen nicht in die Hände laufen. Doch, schau hinter uns! Siehst du unsere Verfolger?«
»Ja; sie kommen. Sie bleiben vor den Büschen halten. Meinst du, daß sie uns sehen?«
»Ja. Sie müssen uns ebensogut bemerken, wie wir sie sehen. Paß auf! Sie kommen uns im Galoppe nach. Wir können nun wieder weiter, denn nun sie uns sehen, fällt es ihnen nicht ein, umzukehren. Höchstens mußten sie die drei zurückschicken, denen wir die Pferde genommen haben und die infolgedessen nicht mit ihnen fortkommen können.«
Wir jagten weiter, über die bereits halb durchquerte Ebene hin, dann durch mehrere Thäler, über einige niedrige Berge und kamen nun wieder auf ebenes Land. Dort lag ein Wald, an welchem wir auf dem Herwege gelagert hatten und den wir bis zum Abende erreichen konnten. Wir zwei legten jetzt natürlich ganz andere Strecken zurück, als vorher mit den wie die Schnecken ziehenden Weidetieren, deren Spuren noch sehr deutlich zu sehen waren. Die Fährte war so breit und deutlich ausgesprochen, daß man sie recht gut eine Straße nennen konnte.
Читать дальше