Jenseits derselben war es beinahe tageshell. Es brannten mehrere Feuer, an welchen meine Landsleute beschäftigt waren, sich ihre Abendessen zu bereiten. An Stricken, welche über Stangen gezogen waren, hingen
Fleischstücke, welche da trocknen sollten. Man hatte, wie ich sah, mehrere Rinder und Schweine geschlachtet, um Proviant zu machen.
Die große Helle war für meinen Zweck nicht sehr günstig, und doch war es mir nur durch sie möglich, den Herkules zu entdecken. Er hatte sich, wie gewöhnlich und so auch jetzt, von den andern abgesondert und spazierte in sehr unbequemer Entfernung von mir rauchend auf und ab. Es war ganz Unmöglich, mich unbemerkt zu ihm zu schleichen; ich mußte warten und mich in Geduld fassen.
Die Auswanderer waren lustig und guter Dinge. Als sie gegessen hatten, begannen sie zu singen, und zwar ganz selbstverständlich zu allererst dasjenige Lied, welches am unvermeidlichsten ist: Wenn der Deutsche lustig ist, so singt er ganz gewiß: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.« Der Jude Jakob Silberberg sang auch mit, wie ich sah. Seine Tochter, die schöne Judith, bemerkte ich nicht.
Der Goliath ließ sich auch durch den Gesang nicht anziehen; er entfernte sich vielmehr noch weiter von den Singenden und kam mir dadurch näher. Er schien erregt zu sein, wie ich seinen hastigen, unregelmäßigen Schritten und Wendungen anmerkte. Ob er sich wieder einmal über Judith geärgert hatte? Der Haziendero war nicht zu sehen, Melton und Weller senior auch nicht. Der aufgedunsene Major domo aber ging zuweilen ab und zu.
Nach langer, langer Zeit schienen die Gedanken des Herkules eine Richtung zu nehmen, welche mir, der ich noch immer bis unter den Armen im Wasser stand, günstig war. Er kam langsam auf den Bach zu und blieb am Wasser stehen, ungefähr fünfzehn Schritte von mir ent- entfernt. Jetzt galt es, mich ihm bemerklich zu machen, ohne daß er mich in seiner Ueberraschung verriet. Ich rief halblaut seinen Namen. Er stutzte und horchte, da er keinen Menschen sah, verwundert auf. Ich nannte den Namen wieder, den meinigen dazu und fügte hinzu:
»Erschrecken Sie nicht! Ich stehe hier im Wasser und laure auf Sie, um mit Ihnen zu reden. Kommen Sie her!«
Er folgte dieser Aufforderung, aber nur zögernd. Es erschien ihm doch sonderbar, aus den Wellen angesprochen zu werden. Ich richtete mich höher auf, sodaß der Schein der Feuer auf mein Gesicht fiel; da erkannte er mich und sagte, natürlich mit leiser Stimme:
»Sie hier, wirklich Sie? Ist's möglich! Sind Sie ein Nix geworden, oder gehen Sie nur im trüben fischen?« »Keines von beiden. Setzen Sie sich her ins Gras! Wenn Sie stehen bleiben, fällt es auf.« Er setzte sich und meinte:
»Sie haben allerdings alle Ursache, sehr heimlich zu thun. Wenn Sie sich sehen ließen, könnte es Ihnen Meltons wegen schlimm ergehen.«
»Wieso?«
»Sie haben ihn ja hinterrücks überfallen und ausgeraubt! Seine Waffen, sein Geld haben Sie ihm genommen. Er hat nur mit Mühe entkommen können und ist unterwegs in der Dunkelheit mit dem Pferde gestürzt, wobei er sich beide Hände verstaucht hat.«
»Ah - - so!«
»Ja - so! Und dazu kommt, daß Sie auch Pferde gestohlen haben.«
»Das ist freilich wahr; ich gebe es zu, obgleich nicht eigentlich ich es gewesen bin. Ich habe den Pferdediebstahl angestiftet!« »Schöner Mensch, der Sie sind! Aber Scherz beiseite! Wo haben Sie sich denn umhergetrieben, und was ist geschehen, daß Sie Ihre Anstellung als Buchhalter nicht bekommen haben?«
»Ich habe sie nicht bekommen, weil ich sie ausgeschlagen habe, und umhergetrieben habe ich mich da, wo ich mich sehr wahrscheinlich noch einige Zeit umhertreiben werde, nämlich in der Umgegend der Hazienda.«
»Wozu? Sind Sie noch immer mißtrauisch?«
»Ja. Und mein Mißtrauen hat sich als ein sehr begründetes herausgestellt. Meine Vermutungen sind zur Gewißheit geworden. Die Hazienda soll von Indianern überfallen werden -«
»Die Rothäute mögen kommen! Sie werden sich wundern, wenn sie mir so von ungefähr zwischen meine Fäuste geraten.«
»Nehmen Sie die Sache nicht scherzhaft und leicht; ich spreche sehr im Ernste. Giebt es nicht einen gewissen Weller hier?«
»Ja. Er kam heute gegen Mittag hier an.«
»Was will er da?«
»Man munkelt davon, daß er die Absicht hat, die Hazienda zu kaufen. Don Timoteo fällt es aber nicht ein, zu verkaufen.«
»Kennen die beiden einander?« »Ich glaube, schwerlich.«
»Haben Sie vielleicht Weller und Melton zusammengesehen?«
»Nein. Aus dem sehr einfachen Grunde, weil Melton sich überhaupt nicht sehen läßt. Er soll das Bett hüten, weil er Fieber hat. Der Teufel hole das Fieber!«
»Warum nur das Fieber und nicht den Kranken auch?«
»Meinethalben kann er beide holen, das Fieber und den Kerl dazu. Und wenn er auch Sie mitnimmt, so habe ich auch nichts dagegen!«
»Sehr verbunden! Was habe ich Ihnen denn zu leid gethan, daß Sie mir einen solchen Wunsch aussprechen?«
»Das können Sie noch fragen! Ich möchte aus Aerger über Sie zerplatzen, und da fragen Sie noch ganz ruhig und vergnügt, was Sie mir gethan haben! Wissen Sie vielleicht, wo Judith ist?«
»Nein. Wie kann ich das wissen! Aber warum fragen Sie so? Ist sie denn fort?«
»Fort? Sie ist da; sie ist sogar sehr da; sie ist ganz außerordentlich am Platze!«
»Reden Sie doch deutlicher! Wo steckt sie denn; was thut sie, und was ist's mit ihr?«
»Wo sie steckt?« knirschte er. »Drin bei Melton. Was sie thut? Sie pflegt ihn. Und was es mit ihr ist? Aus ist's mit ihr, ganz und vollständig aus! Denken Sie sich das Mädchen als Pflegerin dieses Menschen! Können Sie sich das überhaupt denken?«
»Warum nicht? Oder hat sie kein Geschick zur Krankenpflege?«
»Fragen Sie nicht so dumm! Das Mädchen hat Geschick zu allem, was es nur geben kann, das meiste aber dazu, die Männer verrückt zu machen.«
»So sind Sie sehr wahrscheinlich auch ein wenig verrückt?«
»Sehr wahrscheinlich! Und ich befürchte, daß ich in dieser Verrücktheit etwas thue, was man sonst nicht alle Tage zu thun pflegt, nämlich dem Melton den Kopf auf den Rücken drehen.«
»Das kann Ihnen leicht den eigenen Kopf kosten!«
»Schadet nichts. Ich habe ihn ja schon halb verloren. Sie sehen also, daß ich zornig auf Sie sein muß. Hätten Sie Melton in Ruhe gelassen, so wäre er nicht krank geworden und brauchte keine Pflegerin!«
»Kann ich dafür, daß die Jüdin so barmherzig ist? Warum giebt sie sich dazu her?«
»Doch nur, um mich zu ärgern; ich weiß es ja. Und ihr Vater hat seine Einwilligung dazu gegeben, um sich bei Melton einzuschmeicheln. Ich wollte, Sie hätten wirklich recht mit Ihren Indianern. Ich wünsche sehr, daß die Roten kommen und das ganze Pack zusammenhauen!«
»Und Sie mit! Nicht? Sie können übrigens in dieser Beziehung vollständig unbesorgt sein. Ihr menschenfreundlicher Wunsch wird in Erfüllung gehen; die Indianer werden kommen; ja, sie sind sogar schon da.«
»Sie scherzen doch nur?«
»Nein. Ich habe sie gesehen und beobachtet. Und unser Kajütenwärter befindet sich bei ihnen.« »Alle Wetter! Dann hätten Sie ganz richtig vermutet!« »Allerdings. Hören Sie!«
Ich erzählte ihm von dem, was ich gesehen und gehört hatte, soviel, wie ich für gut hielt, und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß seine Zweifel schwanden. Er begann, die Sache ernst zu nehmen, und sagte, als ich geendet hatte:
»Sie sind, bei meiner Seele, ein sonderbarer Mensch. Ich nahm erst an, daß Sie mit sehr viel überflüssiger Phantasie begabt seien und infolgedessen Drachen sähen, wo eigentlich nicht einmal eine Mücke vorhanden ist. Jetzt aber muß ich mein Urteil ändern, denn ich sehe ein, daß Sie planmäßig denken und planmäßig handeln. Meine
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