»Laßt das sein, Sennor! Sie haben eine Dummheit begangen, als Sie ihm entgegengingen. Dadurch wurde er auf uns aufmerksam und wäre uns beinahe entflohen. Das Richtige war, still zu sein und ihn ganz herbeizulassen.«
»Sie scheinen ein Gaudium daran zu finden, andere Leute immer nur zu tadeln! Sie sind ein - -«
Er wollte wahrscheinlich grob werden; ich unterbrach ihn aber in scharfem Tone: »Schweigen Sie auf der Stelle, sonst -«
Ich hatte im Ärger wirklich den Arm erhoben. Da fuhr er erschrocken zurück und retirierte hinter einen Wagen, wo der liebe Juriskonsulto sich zu ihm gesellte und sie sich dann wahrscheinlich gegenseitig ihre Not klagten. Verkannte Genies haben ja immer zu klagen.
Winnetou hatte den Gefangenen indessen an eine Deichsel binden lassen. Die Mimbrenjos umringten ihn und schimpften auf ihn ein. Ich trieb sie zurück, denn was ich mit ihm zu sprechen hatte, brauchten sie nicht zu hören. Nur Winnetou blieb da, um meinem Versuche, dem Gefangenen etwas zu entlocken, beizuwohnen.
Letzterer zeigte ein finsteres, verschlossenes Gesicht und hielt die Augen zu Boden gesenkt. Ich erwartete keineswegs, daß er mir ein umfassendes Geständnis ablegen werde, glaubte aber, ihm doch wenigstens einige Äußerungen zu entlocken, aus denen ich einige Schlüsse ziehen könnte.
»Sie sind erst seit wenigen Minuten bei uns, Sennor Weller,« sagte ich, »und haben also noch nicht Zeit gefunden, über Ihre Lage nachzudenken; ich will Ihnen lieber gleich sagen, daß dieselbe eine gefährliche ist. Es handelt sich um Tod oder Leben. Die Entscheidung wird sich nach Ihrem Verhalten richten. Sagen Sie mir, warum Sie so unvorsichtig gewesen sind, Almaden zu verlassen und uns in die Hände zu reiten!«
Es dauerte eine ganze Weile, ehe er antwortete. Er überlegte wahrscheinlich, ob er überhaupt reden solle oder nicht, und wenn geantwortet werden mußte, wie weit er dann mit seinen Worten gehen dürfe. Als er mit sich ins reine gekommen war, erwiderte er:
»Ich erhielt den Befehl dazu von Sennor Melton.«
»So muß Ihr Ritt einen Zweck gehabt haben?«
»Einen doppelten sogar! Wir warteten auf die Wagen, bei denen wir uns jetzt befinden; sie kamen nicht, und so mußte man sehen, welche Ursache die Verzögerung haben möge.«
»Das war der eine Zweck. Nun der andere?«
Er öffnete schon die Lippen zur Antwort, schloß sie aber wieder. Wahrscheinlich hatte er vorhin mehr gesagt, als er jetzt gutheißen konnte. Endlich antwortete er:
»Das ist etwas, was Sie nicht interessiert.«
»O, ich gestehe Ihnen, daß mich alles, was Sie betrifft, aufs höchste interessiert; habe ich doch die Erfahrung gemacht, daß Sie meiner Person ein gleich großes und gleich eifriges Interesse zuwenden. Bei dieser Gegen- Gegenseitigkeit der Teilnahme halte ich es für meine Pflicht, mich nach Ihrem und Ihrer Freunde Befinden zu erkundigen. Wie geht es in Almaden? Sind die Arbeiter schon unter die Erde gebracht?«
»Ja,« entfuhr es ihm wohl wider Willen. »Arbeiten sie schon?«
»Nein.«
»Ich verstehe; sie müssen erst zahm gemacht und an die quecksilberhaltige Schachtluft gewöhnt werden. Hunger und Durst thun weh; diese beiden Mittel werden sie schon willig machen.«
Da er schwieg und mir nicht widersprach, so durfte ich annehmen, das Richtige getroffen zu haben, und fuhr fort:
»Wie gefällt Ihnen Ihre Wohnung da oben? Sie liegt ungemein versteckt, und da ich beabsichtige, Sie dorthin zurückzubringen, liegt es in Ihrem Interesse, mir sie und ihre Lage zu beschreiben.«
Jetzt antwortete er schnell, ja augenblicklich:
»Das kann mir nicht einfallen.«
»Das werden wir sehen. Sind Sie allein von Almaden fort?« »Ja,« antwortete er ebenso rasch.
»Ich erinnere mich aber, gesehen zu haben, daß Sie einen Wink nach rückwärts gaben?«
»Das kann nur Täuschung gewesen sein. Vielleicht habe ich irgend ein Geräusch gehört und deshalb zurückgeblickt.«
»Mag sein. Aber warum schrieen Sie so laut während Ihrer Flucht?« »Vor - - Angst.«
»Ein solches Geständnis fällt Ihnen wohl sehr schwer, und Sie machen es vielleicht auch nur, um die Wahrheit zu verbergen. Sollte jemand dagewesen sein, für dessen Ohren Ihre Rufe bestimmt waren? Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie den Ritt so ganz allein unternommen hätten. Man kann so gar leicht in die Lage kommen, einen Gefährten zu brauchen. Sie wohnen mit Ihrem Vater doch bei Sennor Melton?«
»Thun Sie doch keine überflüssigen Fragen! Sie können sich ja sagen, daß ich Ihnen dieselben nicht beantworten werde.«
»Wenn nun Ihr Leben davon abhängt, ob Sie antworten oder nicht?«
»So bekommen Sie trotzdem keine Auskunft. Es kann mir nicht einfallen, meinen Vater zu verraten. Und was mein Leben betrifft, so steht dasselbe zwar augenblicklich in Ihrer Hand, aber ich weiß, daß Sie kein Mörder sind, und bin auch außerdem überzeugt, daß ich es auf hohe Jahre bringen werde.«
»Ganz wie Sie denken oder wollen! Ich werde Sie nicht länger belästigen und die Wohnung Ihres Vaters jedenfalls auch ohne Ihr Zuthun finden.«
Der Umstand, daß er einen Wink nach rückwärts gegeben und nachher unsere Namen so laut gerufen hatte, erregte doch mein Bedenken. Seine Spur mußte noch zu sehen sein; die Mimbrenjos, welche sein Pferd geholt hatten, mußten sie gesehen haben, doch als ich mich bei ihnen erkundigte, erklärten sie, es sei eine einfache und keine Doppelfährte gewesen. Das beruhigte mich wenigstens einstweilen.
Ich hatte übrigens mehr zu thun als mich ausschließlich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Es gab soviel Fragen in Beziehung auf den Wagen und ihren Inhalt. Ich sollte alles wissen und alles entscheiden und hielt es für das beste, jetzt noch keine Bestim- Bestimmung zu treffen. Wir gesellten uns zu dem Wagenzuge und konnten uns später nach den Umständen richten. Soviel aber stand schon jetzt fest, daß ich
in den fünf Wagenführern eine höchst brauchbare und zuverlässige Unterstützung gefunden hatte.
Vom Augenblicke unseres Aufbruches an war Wellers Fährte meine Wegweiserin. Ich ritt voran, um sie zu lesen, was vorerst nicht möglich war, da wir sie bei der Verfolgung verwischt hatten. Als wir aber über die Stelle, an welcher sein Pferd stehen geblieben war, hinausgelangten, besaß sie die vollste Deutlichkeit. Da erblickte ich denn zu meiner Ueberraschung eine dreifache Spur. Zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer war zurückgeritten. Natürlich machte ich Winnetou darauf aufmerksam, und er war augenblicklich derselben Ansicht, welche ich darüber hegte: Weller hatte einen Begleiter gehabt. Er war aus irgend einem Grunde demselben eine kurze Strecke vorausgeeilt, hatte uns gesehen und war auf uns zugekommen. Dem Begleiter hatte er einen Wink gegeben, daß er die gesuchten Wagen vor sich sehe und ihn später durch seine Rufe zur schleunigen Flucht angetrieben, und von unserer Anwesenheit benachrichtigt.
Als wir unsere Ansicht weitersprachen, stellte es sich heraus, daß, während unser aller Aufmerksamkeit auf Weller und den Haziendero gerichtet gewesen war, einer der Polizisten einen zweiten Reiter, auch einen Weißen, gesehen hatte, welcher an derselben Stelle erschienen, dann aber schnell wieder verschwunden war. Daß der Polizist und Pfiffikus uns diese Mitteilung erst jetzt machte, konnte ihm kaum verziehen werden, denn der andere Reiter war entweder Wellers Vater, oder gar Melton selbst gewesen. Ihn zu verfolgen, hielt ich nicht für ratsam. Dies hätte durch mich und Winnetou geschehen müssen, und wenn wir uns entfernten, konnte hinter uns unsere ganze, so sonderbar zusammengewürfelte Gesellschaft auseinanderfliegen. Wir waren gezwungen, bei den Wagen zu bleiben, und mußten also langsamer reiten; der Mann kam uns also weit voran und machte gewiß durch die Nachricht von unserm Kommen ganz Almaden rebellisch. Es war uns also nicht mehr möglich, unsere Gegner zu überraschen. Ja, ich begann im Gegenteile schon mit dem Umstande zu rechnen, daß sie unsere Ankunft dort gar nicht abwarten, sondern uns entgegenziehen und sich in den Hinterhalt legen würden, um uns an einem dazu passenden und für sie günstigen Orte zu überfallen und aufzureiben.
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